MERZmuseum / Schwittradio / Schwittcd - Heidi Grundmann

Now that the war was over, he was able to make contact with old friends too. In June 1946, he heard from Raoul Hausmann, now living in Limoges, and an enthusiastic correspondence soon develop-ed. They exchanged photographs and poems, began discussing their theories of language, and before too long, Hausmann was suggesting that they collaborate on "a little booklet, a thing of fantasy to be called 'Schwittmail' or 'Pinhole-Mail'", with poems by each of them and illustrations in the form of Hausmann's photograms. John Elderfield, Kurt Schwitters, London 1985, S. 207

So wie viele erfolgreiche on line-on site-on air Projekte, entwickelte sich das von Hank Bull initiierte MERZmuseum schneeballartig und gestaltete sich vielfältiger als ursprünglich geplant. Zunächst motivierte Hank Bull, noch bevor er zu dem impulsgebenden Projekt "Art Barns" nach Lancashire aufbrach, KünstlerInnen in Vancouver zur Teilnahme an dem auf zwölf Stunden angelegten Event.

Die geplante Zeitspanne erwies sich schließlich als zu kurz für die KünstlerInnen in Vancouver: sie organisierten schon vor Beginn des eigentlichen vernetzten zwölf Stunden Live-Events eine Eröffnungsparty ("Technollage") zu einer für sie abendlichen, für Euro-päer aber nachtschlafenden Zeit. Deshalb gab es in Vancouver dann - innerhalb der zwölf Stunden - auch noch eine Matinée im traditionsreichen Lux-Theater von Western Front, das schon Anfang der 80er Jahre als einer von vielen Knoten jener Telekommuni-kationskunst-Projekte fungierte, an denen Hank Bull als einer der Pioniere dieser Kunst beteiligt war. In Vancouver wurde von Sandra Wintner/FirstFloor Eastside auch eine erste Homepage für das MERZmuseum entworfen. Als das Kunstradio sich schließlich entschloss, auch in Wien eine mehrere Stunden dauernde on site-Veranstaltung im Radio-café des Radiokulturhauses zu organisieren, die in eine Live-Ausgabe der wöchentlichen Radiokunstsendung Kunstradio münden sollte, wurde es notwendig, auch bei Kunstradio On Line eine eigene Homepage für die beim Kunstradio üblichen Live-Webcasts und ihre Dokumentation anzusiedeln. Robert Adrian, der damals noch Kunstradio On Line leitete, nahm dafür Anregungen des Designs von Sandra Wintner auf. Aus der Seite für den Wiener Beitrag wurde letztlich eine Homepage für das Gesamtprojekt, hatte das Kunstradio doch nicht nur KünstlerInnen in Wien zur Teilnahme an MERZmuseum eingeladen, sondern auch KünstlerInnen an anderen Orten von dem Projekt verständigt. Sie alle waren aufgefordert, Exponate für das MERZmuseum beizusteuern.

Für das Live-Event wurde bei Kunstradio On Line ein Interface gestaltet, auf dem alle Streams und Webcams genauso erreichbar waren, wie die Audiofiles von per Snail Mail eingelangten Beiträgen. Ausserdem wurden in Wien während der gesamten zwölf Stunden Audiostreams aus allen beteiligten Locations aufgenommen und wieder ins Netz gestellt: das Material aller Streams sollte für alle Beteiligten zugänglich sein, egal, zu welcher Zeit sie in das Projekt einstiegen. Manche der KünstlerInnen im Wiener Radio-café waren besonders daran interessiert, solche Livestream-Exzerpte sowie Ausschnitte aus Audiofiles anderer KünstlerInnen in ihre Live-Mixes einfließen zu lassen. Die MERZmuseum Page bei Kunstradio On Line bot allen Beteiligten - sozusagen als Leitmotiv für das Gesamtevent - auch ein Audiofile der Ursonate an. Dass es sich bei diesem File höchstwahrscheinlich nicht um eine Aufnahme einer der berühmten Interpretationen der "Sonate in Urlauten" durch Kurt Schwitters selbst handelt, erfuhr das Kunstradio erst nach dem Event durch eine Mail von Hans Burkhard Schlichting (siehe S. 34). Der Beitrag aus dem Wiener Radiocafé, der dem vierteiligen Aufbau der Ursonate folgte, erhielt den Titel SCHWITTRADIO, u. zw. unter bezug auf die oben zitierte Passage in John Elderfiels Schwitters-Monographie. SCHWITTRADIO wiederum ist als ein vielteiliges Exponat des MERZmuseums zu verstehen, genauso wie alle anderen Subprojekte mit ihren jeweils eigenen Titeln.

Das MERZmuseum ist immer noch on line. Ein wesentliches Exponat dieses Museums ist die Dokumentation des zwölf Stunden Live-Events. Manche der Links sind in der Zwischenzeit nicht mehr aktiv, aber weitere Exponate sind willkommen - und eines davon ist die on line-Version dieser CD. Wie sich auch aus der CD ablesen lässt, auf der keineswegs alle Exponate vorkommen, sind die MERZmuseumstücke sehr unterschiedlich; manche von ihnen sind nur on line nachzuvollziehen, andere erfahren on line wichtige visuelle und/oder textliche Ergänzungen. Auch ausführliche Biografien der beteiligten KünstlerInnen und die Dokumentation von Vorläuferprojek-ten des MERZmuseums finden sich bei https://kunstradio.at.

Es war wohl kein Zufall, dass ausgerechnet in Vancouver und Wien, den beiden Locations, an denen KünstlerInnen mit einem durchstrukturierten Programm auch vor einem realen Publikum agierten, mit Christopher Butterfield und Gerhard Rühm zwei Künstler auftraten, die mit ihren Interpretationen von Schwitters "Ursonate" längst in die Diskographie der Lautpoesie oder, wie Gerhard Rühm es nennt, 'auditiven Poesie' eingegangen sind. Mit ihren Auftritten bereicherten sie gemeinsam mit allen anderen Beteiligten einmal mehr die virtuelle Stadt WIENCOUVER, die - 1979 von Hank Bull proklamiert - bereits Schauplatz zahlreicher Radio- und Telekommunikationskunst-Projekte war, und nun - wiederum auf Initiative von Hank Bull - auch über ein Museum verfügt.

In einem abschließenden performativen Höhepunkt des internationalen Live-MERZmuseum-Events meldete sich via Telefon mit Hartmut Geerken ein weiterer Autor beim SCHWITTRADIO, der eine wichtige Position innerhalb einer auditiven Poesie einnimmt, die sich in vielen Medien manifestiert, nicht zuletzt im Medium Radio. Hartmut Geerken war wie Hank Bull 1982 an dem von Robert Adrian initiierten Projekt "Die Welt in 24 Stunden" beteiligt. Und wie diese Pioniere repräsentiert bei näherer Betrachtung eine Mehrheit der mindestens vier Generationen angehörenden TeilnehmerInnen an MERZmuseum aufregende Knotenpunkte in der Geschichte einer als Telekommunika-tionskunst verstandenen Radiokunst. Für deren Theorie und Praxis liefert Schwitters mit seinen Vorstellungen von Collage, "Entformeln" usw. Leitmotive und Metaphern, die sich offensichtlich immer noch und selbst im digitalen Zeitalter ausgezeichnet als Wegweiser bewähren.

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SCHWITTRADIO
     The Project

MERZmuseum / Schwittradio / Schwittcd
     Heidi Grundmann

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     Hank Bull

SchwittCD
     Bernhard Loibner

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     Hans Burkhard Schlichting

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