SONNTAG, 29. Oktober 2000, 23:00. - 24:00, Ö1

KUNSTRADIO - RADIOKUNST



RE-PLAY UPDATE #1: "HÖRWEITE / EARSHOT"



eine Livesendung von und mit gal, Bernhard Loibner, Tom Sherman, u.a.




"RE-PLAY Update" schließt an die Ausstellung
"RE-PLAY Anfänge der internationalen Medienkunst in Österreich"
in der Generali Foundation in Wien im Frühjahr/Sommer 2000 an.

 



PLAY

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Listen
Dauer: 54'15"
A CASSETTE OF THIS PROGRAM CAN BE ORDERED FROM THE "ORF TONBANDDIENST"

(english version)

Herwig Kempinger "Hörweite":
"Hörweite als räumliches Phänomen bezeichnete lange Zeit jene Distanz, innerhalb welcher ein akustisches Signal eindeutig wahrgenommen werden konnte. Zunehmende sinnliche Institutionalisierung veränderte dieses spezifisch "räumlich-akustische" Phänomen in ein "real-abstraktes". Durch Radio, Tonband, Film, TV etc. befindet sich zwar der Vermittelnde in Hörweite des Rezipienten, dieser aber nicht in derjenigen des Ersteren (eine Ausnahme bildet der telefonische Kontakt, der in jede Richtung möglich ist). Die Einwegkommunikation ist festgesetzt, die Vermittlung verläuft institutionalisiert. Hörweite existiert nunmehr als Metaphänomen, und somit exemplarisch für Kommunikationsrituale. Das englische Wort "sound" bedeutet, nebenbei bemerkt, auch "unversehrt, ungestört, fehlerfrei", der Prozeß schließt sich mit Schallgeschwindigkeit."

Dieser Text, der gemeinsam mit einem kurzen, auf Kassette gesprochenen Satz ein Projekt des Österreichers Herwig Kempinger aus den 70er Jahren bildet (_Hörweite_), bildet die Ausgangssituation für das Stück, das gal/Loibner/Sherman über 20 Jahre später realisieren. Wieder geht es um die Beschreibung einer medialen Situation:

"wir versuchen einen konzeptionellen remix, reflektieren über diesen text bzw. wie sich die veränderung dieses "räumlich-akustischen" phänomens in ein "real-abstraktes" aus unserer sicht des 'hier' und 'jetzt' darstellt: die explosionsartige entwicklung des telekommunikationssektors und des www, die ein (vermeintlich) grenzenloses, ent-institutionalisiertes kommunizieren ermöglichen; webcams und live-streams lassen uns ohne vermittlungsinstanz bilder und klänge von praktisch beliebigen geographischen orten wahrnehmen. wir kommunizieren in jeder lebenslage schnell und direkt miteinander, trotz alledem sind wir als individuen einsamer als je zuvor.

in der grenzenlosen kommunikationswelt wird jeder zum sender und empfänger, aber auch zum gut beobachteten user. gezwungenermaßen hinterlassen wir unsere spuren überall in logfiles und datenbanken, entdecken aber auch selbst die lust am beobachten, z.b. auf den unzähligen seiten mit privaten oder öffentlichen webcams. kein thema ist im vorherrschenden medienszenario so umstritten wie die frage nach dem schutz der privatsphäre des einzelnen. sobald wir im web surfen, erweitert sich unser wahrnehmungshorizont quasi ins grenzenlose, zugleich sind wir immer auch in 'hörweite' eines möglichen überwachers.

der ausgangspunkt der live-sendung sind zwei öffentliche webkameras und die stimme eines beobachters. er ist zu hause in seinem kokoon, auf sich selbst zurückgeworfen. als protagonist des mythos der grenzenlosen kommunikation ist er 'connected' und zugleich allein vor seinem bildschirm. auf seinem PC beobachtet er das geschehen in seiner stadt (wie jeder webuser das tun kann) und kommuniziert mit uns via telefon.

für uns ist er ein stellvertreter, einer von zahllosen webusern; eines von millionen von telefongesprächen, die im gleichen moment über den satellit laufen. seine stimme ist ein stream im globalen kommunikationsrauschen. wir filtern sie heraus, machen sie öffentlich, klammern uns an sie, verlieren sie in der interferenz mit anderen klangquellen; sie taucht wieder auf, um bald wieder im rauschen zu versinken...

in dem stück werden quellen/streams von verschiedenen realen und virtuellen orten zusammengeschlossen. die stimme des beobachters, texte, streams, sounds werden über telefon und das netz ins studio transportiert, in echtzeit verarbeitet und in den medialen/virtuellen raum (radio/netz) zurückprojiziert. die hörweite des rezipienten wird quasi ins unendliche erweitert. das studio, in dem alle informationen zusammenlaufen, wo sie weiterverarbeitet und ins radio bzw. netz gespeist werden, ist der katalysator in diesem prozess." (B. Loibner)


English Version

Herwig Kempinger, "Earshot":
"Earshot as spatial phenomenon used to define the specific distance within which an acoustic signal could be perceived and identified. Increasing institutionalization of our senses changed this specifically "spatial-acoustic" phenomenon into a "real-abstract" one. Perceiving media like radio, tape, film, TV etc., the sender is within earshot of the recipient, but this is not the case vice versa (an exception is the telephone which is bi-directional). The one-way communication is determined, the switching gets institutionalized. Earshot only exists as a meta-phenomenon and thus is exemplary for communication rituals. By the way: the english word "sound" also means "intact, unimpaired, error-free". The process closes with the speed of sound."

This text, together with a short sentence recorded on tape, forms a project by Austrian artist Herwig Kempinger from the 1970's (_Earshot_). It is the starting point for the piece developed more than 20 years later in a collaboration by gal, Bernhard Loibner and Tom Sherman. Again, Hörweite/Earshot describes a media situation:

"We try to remix this concept, reflect the text and how this transformation of the "spatial-acoustic" phenomenon into a "real-abstract" one works 'here' and 'now': The explosion of the telecom sector and the world wide web enables us to (allegedly) communicate without any limitation. Through webcams and live streams we can perceive pictures and sounds from virtually any geographical location bypassing an institutionalized mediator. We can get in "touch" with each other, regardless of time or location. Still, as individuals we experience the physical separation from our communication partner to a higher degree than ever.

In a world which promises borderless communication, everybody is a sender and receiver, but also becomes a well observed user. It is inevitable that we leave footprints everywhere in logfiles and databases. At the same time, we ourselves experience the desire to eavesdrop e.g. on one of the countless web sites with private or public web cams. Privacy issues are the hot topic in the current media scenario. As soon as we surf the web our perception extends infinitely (in theory), at the same time we are always within earshot of a potential observer.

The starting point for the live piece are two public web cams and the voice of an observer. He is at home, in his cocoon, on his own. A protagonist of the myth of global communication, he is "connected", within our earshot, and still remains lonely in front of his PC. He communicates with us via telephone, on the screen he watches the scenery in his hometown, in our studio, listens to our audio stream (as any web user can do).

For us he is a place-holder, one of the countless web users, one out of millions of telephone calls being relayed simultaneously by the same satellite. His voice is a stream in the global noise of communication. We filter it, make it public, lose it in interferences with other sounds; it disappears and reappears within our earshot.

During the piece, sources/streams from different real and virtual locations get united. The observer's voice along with other sounds, texts, streams will be received in the studio via telephone and the net, processed in real time and projected back into media/virtual space (radio/network). The recipient's earshot gets extended infinitely. The studio is the hub and catalyst in this process, information is gathered, processed and fed back into the radio network and the web." (B.Loibner)

bernhard loibners homepage: http://ww.allquiet.org



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