MAX NEUHAUS
RUNDFUNK ARBEITEN und AUDIUM

MAX NEUHAUS: SOUND DESIGN


Zu Beginn meines Vortrags möchte ich auf ein Phänomen eingehen, das ich für erstaunlich halte - auf den eingebauten Klanganalysator und die Klangquelle, die wir alle besitzen. Und besonders erstaunlich daran ist, daß wir uns dieses Phänomens kaum bewußt sind.

Während ich hier zu Ihnen spreche, ist nur wenigen von Ihnen bewußt, daß Sie hören. Denn was ich sage, hören Sie nicht als Geräusche: Sie erfassen diese beschränkte Gruppe von Phonemen unmittelbar als die englische Sprache. Ihr Gehörsinn kümmert sich um all die komplizierten Schritte dazwischen, so daß Sie sich ganz darauf konzentrieren können, über die Bedeutung der Wörter nachzudenken.

Mich fasziniert auch das hohe akustische Unterscheidungsvermögen, das wir mit unserem Gebrauch der Sprache demonstrieren. Betrachten wir unsere sprachlichen Laute im Kontext des gesamten Spektrums an wahrnehmbaren Klängen, dann erkennen wir, daß die Klänge, mit denen wir unsere Ideen und Gedanken mitteilen, nur einen winzigen Teil dieses Spektrums ausmachen und daß die Unterschiede zwischen den einzelnen Lauten so gering sind, daß ein Nicht-Muttersprachler viele von ihnen nur mit Mühe auseinanderhalten kann. In unserer Muttersprache gehen wir aber weit über das bloße Unterscheiden von Phonemen hinaus: zum Beispiel verraten uns feine Sprachnuancen die geographische Herkunft des Sprechenden. Obwohl diese Unterschiede fast nicht meßbar sind, erkennen wir sie doch ganz mühelos, fast automatisch.

Ein weiteres Phänomen, dessen wir uns beim Sprechen meist nicht bewußt sind, ist die Überlagerung der verbalen Sprache mit einer anderen Sprache. Diese Sprache entwickeln wir bereits in einem sehr frühen Stadium - manche behaupten sogar, daß wir mit ihr geboren werden -, und sie ist kulturübergreifend.

Es handelt sich dabei nicht um eine eigenständige Sprache, die aus einzelnen Wörtern besteht wie unsere verbale Sprache, sondern um Tonfall und Satzmelodie beim Aussprechen dieser Wörter. Die Intonation ist eine hervorragende Informationsquelle: sie sagt uns viel über die Person, der wir zuhören, und hilft uns zu verstehen, was sie uns sagen will. Durch sie verstehen wir die Informationen zwischen den Zeilen, sie ist das Glied in der Kommunikationskette, das uns fehlt, wenn wir das gesprochene Wort zu Papier bringen.

Mit der Intonation ist es ähnlich wie mit der Mimik: Auch die Intonation erkennen wir, ohne nachzudenken, und auch sie liefert uns höchst präzise Informationen, so daß es dem Sprechenden schwerfällt, uns auf überzeugende Weise zu manipulieren. Und oft ist sie ausschlaggebend für unsere Beurteilung der Bedeutung der Wörter.

Diese Sprache wurde bisher von Wissenschaft und Technik weitgehend vernachlässigt. Die Fernsprechtechniker leugneten sogar jahrelang ihre Existenz in Theorie und Praxis, indem sie die Bandbreite für den Sprechverkehr so stark einschränkten, daß sie größtenteils eliminiert wurde und nur die Wörter als solche verständlich blieben. Auch die neueren Technologien, mit denen die Sprachsignale bei einem Telefongespräch nicht vollständig übertragen werden, sondern nur genügend Informationen zur Wiederherstellung der Wörter am anderen Ende der Leitung, werden ihr nicht gerecht.

Gerade im digitalen Zeitalter, in dem die Wissenschaftler versuchen, Computern das Sprechen beizubringen, scheint es merkwürdig, daß diese Sprache so hartnäckig übergangen wird. Denn auch Computer sprechen ohne Intonation. Andererseits können wir aus der Betonung von Wörtern auf den Gefühlszustand des Sprechenden schließen - und in der hyperobjektiven Welt der Wissenschaft sind Emotionen natürlich tabu.

Nicht so im kulturellen Bereich.

Ich sollte Ihnen einige Informationen über meine Einstellung zu Rundfunk und Telefonie geben. Im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert, im digitalen Zeitalter, mögen Radio und Telefon als recht primitive Technologien erscheinen. Dennoch sind sie die verbreitetsten Technologien für die Live-Kommunikation, über die wir verfügen - und sie werden es noch lange bleiben.

Das globale Telefonnetz umfaßt derzeit ca. 500 Millionen Teilnehmer. Es ist damit die größte Maschinerie, die wir je geschaffen haben. Dahinter steht das Konzept eines Gesprächs zwischen zwei Menschen ohne geographische Grenzen: Die Leitungsqualität ist heute so gut, daß ich bei Überseegesprächen meine Gesprächspartner oft überzeugen kann, daß ich in New York bin, obwohl ich in Paris sitze. Nur wenn ein Polizeiauto vorbeifährt, macht sie der unterschiedliche Heulton der Sirenen stutzig ... Max, du bist doch nicht ... wo bist du eigentlich?

Das Telefon bildet einen virtuellen Zweiwege-Raum in der akustischen Dimension; beim Telefonieren funktionieren wir akustisch so, als ob wir in einem realen Raum wären, der aber physisch gar nicht existiert. Das Radio wiederum ermöglicht uns einen akustischen Live-Einblick in einen Raum, der überall und nirgends, oder auch rein elektronisch sein kann.

Diese Eindimensionalität der Räume in Rundfunk und Telefonie wirft einige interessante Aspekte auf. Anders als die mehrdimensionalen virtuellen Realitäten, die wir uns für die Zukunft erträumen (viele begrüßen sie als besser als das wirkliche Leben, einige verurteilen sie als gefährlichen Ersatz dafür), nimmt uns ein eindimensionaler virtueller Raum nicht ganz und gar in Beschlag. Er beläßt uns in unserer realen Welt, erweitert aber ihre Grenzen. Ebenso, wie uns das Radio weniger beansprucht als das Fernsehen, bietet uns ein virtueller Hör-Raum immer wieder neue Perspektiven und regt die Phantasie an, anstatt sie zu ersetzen. Durch die Kombination von öffentlichem Telefonnetz und Rundfunk können wir einen virtuellen Hör-Raum schaffen, in dem sich sehr viele Menschen gleichzeitig aufhalten können.

Das gelang mir mit "Public Supply I".

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