Sonntag, 22. November 2020, 23:03 - 0:00, Ö1

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RADIOKUNST - KUNSTRADIO





HÖRFELD, ABGESTECKT.
A farewell to electronics


von Bruno Pisek und Denisa Angheluţă

PLAY

Dauer: 50’30“

Stimmen: Denisa Angheluță, Nahoko Fort, Bruno Pisek
Klarinette: Yoshiki Tatara
Shakuhachi: Dieter Strehly
Klingende Stäbe, Tamtam, Gong, japanische Fächertrommel, Violoncello, Perkussion, Wassertropfen, Schilf, Elektronik: Bruno Pisek
Text: Bruno Pisek & Denisa Angheluță
Übersetzungen: Japanisch: Patrick Hiehs, Nahoko Fort Rumänisch: Denisa Angheluță Englisch: Denisa Angheluță, Bruno Pisek
Kompositionen: Bruno Pisek
Aufnahme, Tonschnitt: Bruno Pisek
Mastering: Martin Leitner
Zeichnungen: Denisa Angheluță

I

Hörfeld, abgesteckt.
Abgesteckt als unplugged, nicht elektrifiziert.
Und abgesteckt als begrenztes, definiertes Areal, in diesem Fall durch die Hörweite.

Das p.t. Hörpublikum möge beim Hören dieses Hörfelds auch den eigenen Atem als Bezugspunkt heranziehen. Vor allem in den Pausen.

Auf Grund des Themas ist das Hörstück auch formal in die Nähe japanischer Traditionen gerückt. Die drei Teile folgen der Idee von Jo, Betrachtung, Ha, Aufbruch und Kyu, in Bewegung, in der japanischen Musik. Die Musik bleibt vorwiegend monophon, die akustischen Ereignisse bleiben reduziert, die Verwendung der Wassertropfen folgt der Tradition des Suikinkutsu - Wassertropfeninstrument - und der Tradition des Hinhörens auf den einzelnen Klang, dem Hören in die Tiefe.

Und selbstverständlich stellt das Stück dem Hören neben unseren Sprachen Deutsch und Rumänisch auch den Klang des Japanischen durch Übersetzungen zur Verfügung.

Auf Grund des Themas ist das Hörstück auch formal in die Nähe der Kernschmelze gerückt. Aus musikalischen Kernen entstehen immer wieder größere Strukturen.

Das Stück ist von Ruhe und Langsamkeit bestimmt, einer Referenz an das „Farewell“ als Nachdenklichkeit. Die Reduktion folgt auch der Erkenntnis, dass die Reduktion der Mittel und des Verbrauchs eine Folgerung aus der Entstehung dieses Hörstücks sind.

II

Angefangen hat dieses Hörstück am 11. März 2011 mit dem Tohoku-Erdbeben und der Nuklearkatastrophe von Fukushima.
Diese beiden Ereignisse haben Fragen aufgeworfen.
Wofür brauche ich wieviel elektrische Energie? Um wieviel kann ich den Stromverbrauch für meine Radioarbeiten und für meine Performances reduzieren?

Ich habe daraufhin den sprechchor gegründet, nur mehr für akustische Instrumente komponiert und bei Performances auf jede Form von elektrischer Verstärkung verzichtet.
Die gesamte Musikelektronik blieb seither unberührt. Bevor ich die Geräte entsorge, wollte ich diese Klangwelt noch mit einem Requiem verabschieden, ein Abschiedsdenkmal setzen: Farewell for (Music) Electronics. Im Laufe der Recherchen und der Weiterentwicklung der Idee kommt es aber anders: Der Anspruch der Müllreduzierung stellt sich dem Wegwerfen entgegen. Das wird bestimmend für die weitere Arbeit. So entstand nun ein Hörstück, das in drei Abschnitten diese Entwicklungen, Gedankengänge und Erfahrungen beschreibt.

Es führt von der Nuklearkatastrophe von Fukushima, die noch immer anhält, nicht nur durch ein radioaktiv verseuchtes Gebiet, auch in Form von aktuellen Nachrichten, dass das kontaminierte Wasser nun doch ins Meer abgelassen wird, weil kein anderer Platz mehr dafür zu finden ist, über den Wunsch nach Veränderung durch reduzierten Energieverbrauch, mit einem Besuch in Agbogbloshie, weiter über die Freude am Habitathören, dem Hören auf Einzelstimmen, akustischem Vordergrund, Mittelgrund und Hintergrund, der Vielstimmigkeit geophoner Klänge und Tierstimmen und dem Zusammenklang aller akustischen Elemente, sowie dem Erschrecken darüber, dass das gar nicht mehr so erfreulich ist, bis zum Versuch, über die Grenzen unserer Sprache hinauszugehen und aus der Sicht des Schilfs oder des Schilfrohrsängers weiterzuerzählen, eine Idee, die während eines Aufenthalts an der Biologischen Station in Illmitz entstanden ist. Ein weiter Bogen, ein langer Zeitraum.





During the researches and the development of the idea, some points became clear: the need for sustainability opposes with the throw-away habits. The actual holes in the e-waste management system continue to fuel social and environmental injustice especially in developing countries, with devastating impacts upon all forms of life.

On the other side, electricity production on a large scale is not as environment-friendly as it may seem at a first look. Once an electronic device has been produced, the damage it does to the planet cannot be completely eliminated. Therefore, the only thing that remains ecologic in this case is the carefully considered usage of electricity. And each decision we make is a drop that makes a difference: to the better or to the worse, depending on our choice.

The constant search for places in nature that make habitat-listening possible made us face again and again the reality: such wild areas have been severely amputated by human activities. „Many natural and semi-natural habitats only exist as isolated, fragmented patches in a largely artificial landscape. This badly affects the conservation status of habitats and species.” “Agricultural activities and urbanisation are the major pressures for habitats and species, followed by pollution”. The “State of nature in the EU” report, published on 19.10.2020 by the European Environment Agency, brings this to an up-to-date summary.



satellite views of regions in Lower Austria, 2020


We are not opposite to nature nor separated from it, we are part of nature.


In the last part of the piece we switch from our usual points of view to the perspectives of reeds. This simple angle shift allows us to grow intangible roots to the life forms whose points of view we embrace. The impossibility of finding an appropriate language to describe these experiences, one which is not altered by our subjective thoughts and preconceptions, brings us to a “joyful failure”. One which proofs that the world is not limited to what we humans can perceive. Empathy can reveal angles which human language alone is not able to translate. It is widening connection possibilities.



Listening field, reconnected.



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III

Zum Abschluss ein Zitat aus dem Hörstück:

Stimme 2
Nu pot să stau liniștită! I can’t keep calm!
Habitatele lor: transformate în câmpuri pustii. Wildlife homelands: turned into deserted fields.
Ultimele lor refugii: insule izolate de verde sălbatic. Last retreats: isolated islands of wild green.
Și chiar și acolo: urmărite și vânate. And even there: chased and hunted.
Nu pot să stau liniștită! I can’t keep calm.

Stimme 3
じっとしていられない!
生活空間が砂漠にされた
最後の避難所、孤立した緑地
そこにいても狩られ射倒される
じっとしていられない!

Stimme 1
Wir haben getauscht. Zwischen den Aufnahmen von Georg Jappe und Martin Leitner Ende der 90er Jahre und den Aufnahmen von Walter Tilgner am selben Ort, aber 15 Jahre davor, liegt ein Bruch. Der Seewinkel ist leerer geworden. Wir haben getauscht.
Lebensraum gegen das Simulacrum. Die 2nd hand Umwelt. Potemkinsche Natur.
Die Erde ist nackt geworden. Und wir mit ihr. Wir hören nicht. Blind auf den Ohren. Wir wollen es nicht hören.

Stimme 3 + 2
地球は裸になってしまった。
Pământul a devenit pustiu.
[Die Erde ist nackt geworden.]

Stimme 3 + 2
私たちは聞こえないだけ
Nu auzim.
[Wir hören nicht.]

Stimme 1
Seit der Industrialisierung wird die Erde gehäutet. Agrarwüsten sind unsere Realität geworden.

Stimme 2
Concepția eronată: aici omul, dincolo natura, ne-a distrus propria temelie. De fapt, ne distrugem pe noi înșine, pentru că noi trăim din natură,
ca parte a ei.[Der Irrglaube, hier Mensch, dort Natur, hat unser eigenes Fundament zerstört. Tatsache ist, dass wir uns selbst zerstören. Denn wir hängen von der Natur ab. Wir sind Teil davon.]

Stimme 1
Es gibt eine Orientierung im Klang. Das ist wie Landkarten lesen. Ich vermisse das. Ohne Klang wird die Orientierung schwieriger.
Der fehlende Klang gibt zugleich Klarheit über das Ausmaß der Verwüstung um uns. Über das hörbare Miteinander.

Stimme 3
共存が聞こえてくる生活空間
[Ein Lebensraum mit hörbarem Miteinander.]
Atempause

Stimme 1
Die Habitate gibt es nur mehr in amputierter Form. Die verbliebenen Grüninseln sind isoliert, ausgedünnt, ein nur mehr schwaches Echo, meist
unterbrochen und überlagert von mehreren Schichten aus Maschinenklängen. Es ist äußerst beunruhigend.






Danke an: Christian Krönes und Florian Weigensamer, Blackbox Film
Jürgen Kloihofer und Felix Sturmberger von „Heimwerk.audio“ für die Originaltöne aus Agbogbloshie aus dem Film „Welcome to Sodom“
Martin Leitner und Georg Jappe für die Aufnahmen von der CD „Mit tausend Zungen“

Links:
Holes in the Circular Economy
How Green is Green Energy?
Agbogbloshie / Blackbox Film
Rotten eggs
Mit tausend Zungen von Georg Jappe und Martin Leitner
European Environment Agency
Suikinkutsu