Was
ist ein Sprechchor? „Ein Sprechchor ist ein Chor, der nicht
singt, sondern im Chor spricht. Manchmal alle gleichzeitig dasselbe,
dann wieder ist der Chor halbiert und die beiden Teile des Chors
sprechen wie Rede und Antwort, manchmal flüstert die Hälfte
des Chores, die andere Hälfte spricht den Text laut in einem
anderen Rhythmus, manchmal reden alle kurz durcheinander, aber
denselben Text, manchmal sprechen die einen den Text und die anderen
sprechen den Text zeitversetzt wie ein leises Echo“, sagt Bruno
Pisek. Er wurde 1962 geboren, er ist Komponist, Drehbuchautor, Sprecher
und Sänger. Er bringt gerne Texte zum Klingen, wie er sagt,
sprechkompositorisch und lautpoetisch. Ausgehend von seiner eigenen
Stimme, vervielfältigt mit Mikrophonen, Effektgeräten,
Computer, Verstärkern und Lautsprechern, hat Pisek das
Instrumentarium ausgeweitet, durch den Einsatz von Chören.
„Ich suche vermehrt nach künstlerischen Ausdrucks- und
Erzählformen, die nicht so sehr vom Stromverbrauch
abhängen“, sagt Pisek, „mich interessieren reale
Gemeinschaften“. Eine solche Gemeinschaft hat Pisek mit der
Gründung des Sprechchors ins Leben gerufen, eine Gruppe von 25
Menschen, die insgesamt sieben Sprachen sprechen. Die Zusammensetzung
spiegelt die Vielfalt des Ensembles: Krankenschwester, Billeteurin,
bildende Künstler, Schauspieler und Schauspielerinnen,
Deutschleher, MedienwissenschaftlerInnen, Dokumentarfilmerin,
Beleuchterin, Studenten, Studentinnen, Übersetzerin, Sänger,
Jurist, Dolmetscherin, Kuratorin, Ingenieur. Im April 2014 wurde der Sprechchor gegründet und im Mai die Probenarbeit wurde aufgenommen. Eingeübt wurden Textpartituren, die Pisek für diesen Zweck verfasst hat und die auf großen Tafeln statt auf individuell zu haltenden Zetteln angebracht waren, freilich mit einigem Freiraum für Entwicklungen innerhalb der Gruppe. So wurden einige Texte in geteilten Chören aufgeführt, als Kanon, als Wechselrede oder als Überlagerung. Bruno Pisek: "Vakuum. Das Ziel ist klar: Wir formulieren Gedanken, die uns wichtig sind und die in dieser Form sonst nirgends formuliert werden können. Was uns charakterisiert ist klar: Mehrsprachigkeit, sprechkompositorische Vielstimmigkeit, ungewöhnliche Partiturformate, bewegliche Chorfigur / beweglicher Chorkörper." Video 1 Video 2 Fragestellungen:
Ablauf:
Chormitglieder:
Solisten des Stückes „Es steht 0 zu 1 für uns“ (ab Minute 25) in der Reihenfolge ihres Auftretens:
Textmaterial: Erste Erzählung. Von Malena Martinez, Lima, Peru. »Letztes Mal, als ich meinen Vater besuchte, merkte ich gleich, dass ein wichtiger Teil in der kargen Landschaft seines Wohnzimmers abwesend war. Der wunderschöne große Radiokasten mit Plattenspieler aus lackiertem Edelholz. "Wo ist er jetzt?" fragte ich meine Schwester und sie erzählte mir die Geschichte. Sie haben Mitten in der Nacht angeklingelt. Papa glaubte, dass es unser Bruder Juanjo war und öffnete den zwei Maskierten die Tür. Sie schlugen ihn und kamen herein. Es gab nicht viel zum Mitnehmen. Sie schauten das Radio an. Mein Vater sagte: Nehmt es euch, ich gebe euch auch mein ganzes Geld - aber um Gottes Willen, weckt meine Tochter nicht auf. Meine Schwester bemerkte es erst in der Früh und erfuhr dann alles beim Frühstück. Wir wussten was für ihn dieses Radio bedeutete. Während seiner Universitätszeit hatte er mit Freude gespart um sich dieses Radio zu schenken. Mit diesem Radio hatte er 1973 mit seinen Freunden auch die letzte Rede Salvador Allendes aus La Moneda gehört und auf Band aufgenommen. Wir wussten um den Wert dieses Radios und waren traurig. Papa nicht. Für Papa - war es ein einfacher Deal.« Vierte Erzählung. Von Pjeter Logoreci, Skoder, Albanien. »Mein Onkel Anton war der Chef für die osteuropäische Sektion der BBC. Und er war dort auch der Sprecher der albanischen Nachrichten. Wegen der Diktatur war es in Albanien damals verboten ausländisches Radio zu hören. Jedoch schloss meine Familie damals alle Türen und Fenster um aus Sehnsucht heimlich seine Stimme zu hören. Da es auch nicht erlaubt war ins Ausland zu telefonieren, geschweige denn Briefe zu schreiben, war das tägliche heimliche Radiohören die einzige Möglichkeit, zu wissen beziehungsweise zu hören ob es ihm gut geht. Weil er jedoch die grausame Realität über die kommunistische Diktatur berichtete - welche den Kommunisten gar nicht passte - nahmen sie seinen jüngeren Bruder gefangen, der durch Folterungen im Gefängnis starb.« Zehnte Erzählung. Von HeeJong Kim, Seoul, Korea. »Bei uns in Korea wurde wöchentlich eine Radiosendung über Auslandsreisen und Kulturen ausgestrahlt. Diese Sendung war für mich so bedeutsam, dass ich rechtzeitig alle Aktivitäten unterbrach, und auch Freunde früher verließ, nur um diese eine Radiosendung zu hören. Der Radiosprecher, selbst ein vielgereister Mann, hat autobiographisch seine Erlebnisse vorgetragen. Zu dieser Zeit waren Reisen und speziell Auslandsreisen für uns in Korea fast unmöglich. Es lag mehr an den politischen Hintergründen dieser Zeit, nicht an den finanziellen Möglichkeiten. Deshalb war das Medium Radio ein so wichtiges Instrument, um an Informationen über ausländische Kulturen und Reiseberichte zu gelangen. Ich hatte zu dieser Zeit bereits entschieden, ich war gerade einmal 14 Jahre alt, die Welt zu bereisen, sobald ich erwachsen bin und mein eigenes Geld verdiene. Um dieses Ziel später zu erreichen, sollte ich Englisch lernen, als auch einen Job finden, welcher international gefragt ist. Das ist mir gelungen. Und jetzt kann ich selbst im Radio erzählen.« Videos und Fotos auf dieser Seite sind von Helmut Wimmer
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