ANDRES BOSSHARD
KLANGRAUMARCHITEKTUR III




stimme: RAUM (erzählend)

die möglichkeit, in irgend einem buchladen eine weltkarte kaufen zu können, auf der keine weissen flecken verzeichnet sind, sollte uns auf keinen fall dazu verleiten anzunehmen, wir be-sässen ein lückenloses bild unseres terrestrischen lebensraumes. ich wage sogar die befreiende feststellung, dass wir keine ahnung haben. unser kleines aktives bewusstsein suggeriert unserem ich ein zusammenhängendes bild, unbekanntes erscheint als lücke, die "geschlossen" werden soll. meiner ansicht nach wurden die meisten maschinen gebaut, um solche lücken noch schneller und noch besser zu schliessen. dabei kann ich aus meiner erfahrung mit sicherheit sagen, dass maschinen keine probleme lösen, sondern erzeugen. wenn wir also kommunikationsmaschinen vor allem dazu einsetzen, um information zu speichern, zu reproduzieren oder allenfalls zu verviefältigen (auszustrahlen), dann heisst das, dass wir unser weltbild geschlossen halten wollen, wir REPARIEREN ständig. beim einatmen erscheinen mir zeit und raum anders als beim ausatmen. nochmals anders bei den beiden drehpunkten da-zwischen. wenn ich mich auf eine zeit hier konzentriere, spüre ich eine andere dort und noch andere dazwischen. ich habe klänge gefunden, die zwischen diesen zeiten hin- und hergleiten, die räume durchqueren und davon klingen, wenn sie hier und jetzt ankommen, um weiter zu ziehen.

ich konnte sie nicht einfangen, das, was auf dem tonband elektromagnetisch aufgezeichnet wurde, sind bloss deren schatten. wie tief ist gegenwart, in zeit und raum? ich baute eine KLANGBRÜCKE, weil ich erwartete, dass dieser raum gross sei, mindestens ganze städte umfasse und voller lebendiger gegenwart sei.

ich habe mich geirrt, das einzige was ich bewirkte, waren löcher. löcher in der gegenwart.

klangexpedition

konzertantes geländehörspiel klangbrücke BERN, vierstündige ununterbrochene liveübertragung der klanginstallation am eisenbahnviadukt "lorraine" und deren rückgekoppelte übertragung in den ausstellungssaal des kunsthauses BERN.

es ist kurz vor 22 uhr. ich verlasse, wie abgesprochen, mein matrixmischpult im kunsthaus, verlasse den reellen und den virtuellen klangraum der übertragung, bin in deren hintergrund, in der klanglandschaft der stadt, steige in mein auto, drehe das radio an und höre, wie die musiker, die schon an der brücke angekommen sind, denen antworten, die noch im kunsthaus spielen. ich fahre hinunter zur brücke; da ich weiss, wie die mikrofone gerichtet sind, kann ich mein hupen im radio hörbar machen, ich hupe, kurze zeit später höre ich mein echo im autoradio, ich hupe dreimal kurz, dreimal kurz die antwort. noch lauter allerdings das hupen des autos neben mir und unmissverständlich das handzeichen des fahrers, ich lache, weil auch sein signal landesweit zu hören ist. ich biege ab und fahre hinunter zum fluss, grossartig das solo von phil oben im kunsthaus, das "abschiedsolo". da das kunstmuseum um 22 uhr schliesst, müssen alle zuhörer das "konzert" verlassen, müssen davonlaufen, zuerst den alltagslärm der stadt durchqueren, um dann angelockt von den klängen an der brücke, wieder einzutauchen in das andauernde kontinuum unseres klangstroms.

bevor ich aussteige, bleibe ich einen moment im auto sitzen, ich höre hier drin also das, was da vor mir und weiter vorne über mir klingt.

ich habe aber keine zeit, mich zu verlieren, denn ich sehe butch morris unten das mikrofon prüfen, und oben, über dem gewölbe, christian buess sich verzweifelt übers dortige mischpult beugen.

ich renne los an den überall herumstehenden zuhörerinnen vorbei, die steile ungesicherte treppe hinauf, um keuchend oben, 35m über dem schwarzen nächtlichen wasser der aare anzukommen. der 22.30 intercity donnert nur 20cm über mir durch den konzertraum, die brücke schwankt vernehmlich, tiefe resonanzen aus den inneren betonkammern begleiten das sich in der umgebung verspiegelnde geräusch der rollenden wagen.

unten beginnt butch, seine klänge vervielfachen sich im gewölbe des viadukts, drehen eine runde im nun leeren kunsthaus, und tauchen verhallt wieder auf. er scheint diese zeitwellen zu hören, denn seine klänge steuern die auseinandergleitenden klangfächer. hier oben, dem kühlen nachtwind ausgesetzt, hört sich das an, als ob grad unter mir eine riesige klangkugel entstünde, die das ganze, 150m tiefe, gestreckte gewölbe der brücke ausfüllte. ich spüre, dass die dimension der kugel von den stellungen der schieberegler unter meinen fingern abhängt, und dass butch auf die kleinsten veränderungen meinerseits reagiert. wir vergessen alles um uns herum.

jacques widmer denkt sich was und steigt mit einem grossen gong ins zwischendeck der betonträger. nur von einer grubenlampe beleuchtet, befindet er sich in einem bergwerkartigen stollen, der, rund gebogen, immer steiler nach unten führt. niemand denkt hier daran, dass er sich 35m über boden befindet und dass nur durch wenige zentimeter beton getrennt ein nächtliches publikum anwesend ist. jacques findet das mikrofon, das die inneren resonanzen der klangbrücke aufnimmt. in diesen kammern fand ich einen nachhall von über 9 sekunden, die echos rollen so lange in der brücke hin und her.
jacques, ziemlich skeptisch, denkt, dass dieses mikrofon sowieso wieder nicht funktioniere, er hört auf seinem eingeschmuggelten transistorradio in die übertragung rein und wartet eine leisere stelle ab, um auch sicher zu sein dass, wenn -... mindestens 32 lautsprecher heulen auf, die tonmeister reissen sich die kopfhörer weg, das klangbeben bringt fast die brücke zum einstürzen, die ausläufer erreichen mit licht-geschwindigkeit das ganze land, während die echos in der akustischen umgebung verebben, ziehen die elektromag-netischen spuren weitere kreise, übermittelt von den sendeleitungen, verstärkt von den sendeanlagen und gerichtet von den antennen wurden sie ins all projiziert, wo sie nun 4 lichtjahre entfernt weiterfliegen.

niemand weiss, was all unsere klänge, bilder, träume, unsere nachrichten dort ausrichten.

offenbar haben wir keine zeit, uns das zu überlegen. wir nachrichten weiter drauflos, obwohl unsere sendeanlagen einen wirkungsgrad von sicher unter 7% aufweisen, was die sicherheit angeht, dass diese menschliche nachricht auch wieder auf ein menschliches ohr trifft. stellen sie sich die geringe chance vor, auf ein menschliches ohr zu stossen, das das versteht was wir senden, geschweige denn geniesst...

bei einem so grossen aufwand und einem solch geringen ertrag können wir mit sicherheit davon ausgehen, dass wir einen ziemlich gigantischen lärm erzeugen, einen krach von zunehmend kosmischen ausmass.

mikrofone nennen wir diese dinger da, in die wir hinein-sprechen. können wir auch nur annähernd soweit hören, wie wir schreien?

im umkreis von ca. 100 lichtjahren weiss nun jeder, wie es um uns steht, träfen wir jemanden, wüsste derjenige mehr als wir über uns selbst zu erzählen vermöchten. was kann ich aus diesen klang-, oder muss ich sagen "medienunfällen", lernen? alles, was ich weiss, reicht offenbar nicht weit, ja es reicht nicht einmal dazu aus, mich einigermassen zusammen-hängend zu orientieren.

ich befinde mich in einem zeit- und klangraum, wo es vorläufig noch unklar ist, was oben und was unten ist.

aus den für uns hörbaren klängen kann man ableiten, dass wir im zeitraum bis 1/20 sekunde "solide" hören. diskrete impulse, die in kürzeren abständen auftreten, klingen als kontinuum, als tonhöhe. klänge in der umgebung einer 20stel sekunde bilden einen soliden gegenwärtigen klangraum, sein durchmesser beträgt in der luft 1/20 von 340m, also 17m. das ist unsere sichere "klanggegenwart". alle klänge, die wir gleichzeitig hören wollen, müssen da drin platz haben.

wenn ich lautsprecher in einem konzertraum verteile, überschreite ich diesen gegenwartshorizont und bekomme schnell ein ziemliches durcheinander. ich verstehe nicht ganz, was alles passiert, aber manchmal tönt's sehr gut.

ich könnte Ihnen ziemlich sichere anweisungen geben, die es Ihnen ermöglichen würden, ziemlich sicher ein günstiges resultat zu erzielen. wenn sie mich als tonmeister anstellen, würde ich genau das zu tun versuchen.

ich mag dieses handwerk, ehrlich.

aber es gibt da noch eine andere möglichkeit.

ich bin hier in diesem sendestudio. ich höre, drehe den kopf und gehe hin und her. nichts, dieser raum klingt nicht. er atmet nicht. beinahe tot. er ist isoliert, abgeschirmt, verkabelt, an tausend maschinen angeschlossen. intensivstation könnte man sagen. als tonmeister werde ich diesen raum nicht aus dem koma herausholen können.

ich verstehe das nicht ganz. ich spüre nur immer dieselbe massive unruhe, wenn ich in senderäume komme, oder wenn ich mich in "tonstudios" aufhalte. ich vermisse etwas, was ich eigentlich erwartet hätte: KLANGRAUM.

stellen sie sich vor: jetzt hören hier etwa 100.000 leute radio oder fernsehen, hunderttausend kleine lautsprecher von einander getrennt in der ganzen stadt. 100.000 laut-sprecher über 2-3km2 verteilt und wir sitzen hier drin und können nichts tun. jetzt herrscht über dieser stadt akustische dunkelheit, tag und nacht. 100.000nde von kleinen punkten, jeder für sich, isoliert, abgeschirmt, fenster zu. und wir sitzen hier abgeschirmt, isoliert, etwas somnambul.

ich meine es ernst, wenn ich sage, dass wir sehr wenig verstehen. eigentlich erschreckend wenig, wenn wir die reichweite der maschinerie in betracht ziehen, an die wir uns angeschlossen haben. die ganze erdkugel ist durch den satellitenring, der sich immer dichter in etwa 36.000km höhe um uns herumzieht, sozusagen zum elektronischen wohnzimmer ge-worden.

im bereich zwischen überfüllter wohnstube und zunehmend verwahrlostem aussenraum klafft ein mediales loch. die heutigen medienstrukturen sind immer noch kommandostrukturen, informationskanäle für einseitige übermittlung, für "nachrichten" in den datennetzen wird zaghaft interaktion und feedback in gang gesetzt, gedacht wird aber in virtuellen realitäten, in spiegelungen von reflexionen.

diese datenströme bilden verbindungsnetze, elektronische verbindungen zwischen immer kleiner werdenden, isolierten räumen.

wir senden information auf diese weise nicht in den raum um uns herum, sondern wir projizieren diese mit zunehmender gewalt in uns "hinein".

um in die tiefe des raumes zu hören, würde uns ein KLANGOBSERVATORIUM, (oder ein medienobservatorium), grosse hilfe leisten. es sollte uns möglich sein, permanent in die tiefe unseres lebensraumes zu hören, um eine zusammenhängende vorstellung von raum und zeit zu entwickeln, raumzeitarchitekturen zu entwerfen und zu realisieren, die in und mit unserem lebensraum im "einklang" sind, die darüber hinaus selber LEBENSRAUM kreieren könnten.

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