ANDRES BOSSHARD
KLANGRAUMARCHITEKTUR II




stimme: ZEIT (beschreibend)

auf einem oder zwei tischen habe ich meine zumeist selbstgebauten geräte aufzubauen und zunächst einmal dem stromnetz anzuschliessen. diesen gerätehaushalt kann ich eigentlich nicht als eine maschine bezeichnen. immer können neue einzelteile dazugeschaltet werden, die gesamtanlage ist ständig im umbau und nur wenig veränderung im zusammenschalten der einzelnen komponenten ergibt oft ein völlig neues instrument. vor über zehn jahren begann die ganze entwicklung mit der sogenannten kassettenmaschinerie. das war damals ein "samplinggerät" mit dem weitaus billigsten speicherplatz, dafür forderte der zu-griff zu den gewünschten klängen eine besondere fingerakrobatik.

scheinbar in griffnähe entzieht sich dennoch das meiste, was hier im verborgenen geschieht, unserer direkten sinnlichen wahrnehmung.

das wichtigste gerät, der matrixmixer, ist auch deshalb aus durchsichtigem plexiglas, um einblicke ins innere oder sogar durchblicke zu ermöglichen.

elastizität und transparenz sind beides eigenschaften, die geräte gerade nicht besitzen, es geht dabei durchaus nicht nur um oberflächen, denn der matrixmischer ist vor allem dafür gebaut, klänge an möglichst vielen verschiedenen orten gleichzeitig, oder zumindest beinahe gleichzeitig, auftauchen zu lassen.

1
er ermöglicht es, mehrere klänge im raum unabhängig voneinander zu bewegen. dafür ist in allererster linie aber nicht die elektronik voraussetzung, sondern die position der lautsprecher im raum..

die distanz zwischen den einzelnen lautsprechern ist schallzeit, die die zeitliche tiefe des raumklangs bestimmt. jeder raum unterstützt ganz bestimmte konstellationen, enthält eigene knoten, wo lautsprecher eine günstige wirkung entfalten können. um diese zu finden, brauche ich eine gewisse zeit, um im raum herumzuhören. die optimalen punkte liegen ganz selten den wänden entlang oder in den ecken, sondern buchstäblich in der luft.
mit seilen gelingt es mir aber in relativ kurzer zeit, die leichten plexiglaslautsprecher fast an jeder beliebigen position zu fixieren und zu justieren.
vertikale oder horizontale raumachsen ergeben eine spezifische bewegungsdynamik. vor allem die vertikale klangdimension ist überraschend und musikalisch wenig erforscht.
raumachsen erschließen nicht bloss den unmittelbaren hörraum, sondern stimulieren hörfluchten, die über den örtlichen gegenwartsraum hinausweisen. diese sich blitzschnell öffnenden raumperspektiven scheinen die klänge zu dehnen oder gar ihren aggregatszustand zu verändern.
mehrere übereinanderliegende ringe ermöglichen es auch, klanghorizonte zu animieren, die mehrere räume in-einander klingen lassen können.

die konstellation der lautsprecher im raum schafft das fundament für die räumlichkeit der klänge. der elektromagnetische zugriff an verschiedenen punkten im raum öffnet ein potential von raumschaffender zeitgeometrie.

raumklänge können nur im herumgehen wahrgenommen werden.
von einem statischen hörpunkt aus erscheinen die zeitperspektiven fixiert und lineare klänge können zwar ge-ortet werden, ihre binnenzeitliche tiefe erscheint aber nicht. auf einer zweispurigen aufnahme sind die räumlichen abstände der einzelnen schallquellen ein für allemal fixiert, der klingende klangraum scheint "hinter" den lautsprechern zu liegen, der "zuhörer" sitzt "vor" dem klang. die zeitgeometrie unserer heutigen medienbühne ist flach.
Ieider werden die allermeisten livekonzerte ebenso "gemischt" und die räumliche tiefe der musik praktisch verwischt.

2
die wiedergabe auf mehrere im raum verteilte lautsprecher hilft aber nur dann weiter, wenn auch jeder lautsprecher einzeln angesteuert werden kann. dafür braucht es einen matrix-mischer. (eine matrix ordnet jeden punkt jedem anderen zu.)
ich kann also alle meine klänge zunächst einmal auf einen kleinen lautsprecher ganz hinten oben im raum hinschicken und dann beginnen, alle klangschichten gleichzeitig in verschiedene richtungen auseinandergleiten zu lassen, so dass am schluss in jedem lautsprecher ein anderer klang erscheint.
diese bewegung wird als öffnung des raumes erlebt. nicht nur die klänge selbst werden hörbar, sondern auch der jeweilige zwischenraum. ist ein klang selbst aus mehreren klangschichten zusammengesetzt, öffnet der klang sich bei dieser raumbewegung selbst und lässt uns in den klang hineinhören.
die zeitliche tiefe, die der klang auftun kann, ist abhängig von den räumlichen und damit zeitlichen abständen der einzelnen lautsprecher, die diesen räumlichen klang "tragen".

da diese art von klanglicher räumlichkeit von den laufzeiten zwischen den einzelnen klangsträngen abhängt, ist es sehr sinnvoll, in diese zeitliche struktur elektronisch einzugreifen. das delay-array kann sechs verschiedenen kanälen eine eigene, unabhängig und schnell veränderbare verzögerung zuordnen.

3
durch diesen zugriff auf eine innerräumliche zeitstruktur des klangbildes öffnet sich für mich ein neues klanggestaltungsfeld. klänge lassen sich nicht nur im raum herumbewegen oder ausdehnen, sondern auch ausserhalb des realen klang-raumes positionieren. das delay-array kann ein signal maximal 1,2s verzögern, ich kann damit also einen klangraum von bis zu 500m durchmesser erscheinen lassen.
parallel zu diesen zeitgeometrien bekommen auch die bekan-nteren elektronischen "effekte" neue unerhörte möglichkeiten. so kann sich zum beispiel der hallanteil eines klanges an der gegenüberliegenden raumseite in entgegengesetzter richtung des ursprünglichen klanges bewegen. das kann als drehung des gesamten hörraumes erlebt werden.

matrixmixer, delay-array und effektgeräte zusammen ermög-lichen es mir, drei klangebenen in drei unabhängigen raum-zonen zu positionieren und zu bewegen. in diesem multiplen raum wirken reelle akustische und "virtuelle" elektronische komponenten gleichwertig zusammen.

mich interessiert dieser dynamische klangraum nicht nur als "elektronische skulptur", sondern auch als instrument zur erkundung zeitlich tieferer räume. navigation in zeit und raum bedeutet also für mich nicht nur räumlich-zeitliche artikulation der klänge innerhalb eines bestimmten raumes, sondern permanente synchronisation mit dem ganzen akustischen und medialen raum um uns herum.

in den geräten vor mir steckt nicht nur ein eigenes potential von zeit und raum, sondern auch die möglichkeit, einen hörbaren und erlebbaren zugang zu schaffen zu den elektronischen räumen, - dies öffentlich und im prinzip auch permanent.

4
spätestens jetzt wird klar, dass dieses instrumentarium ein modell für alle elektronischen medien darstellen kann. deshalb ist es auch möglich lichtsensoren, bewegungsmelder, wind-sensoren usw. einzubeziehen, und die so eingeschlauften daten nicht nur zur modulation von tönen einzusetzen, sondern sie auch auf motoren, hubmagnete, pneumatische systeme, ventile usw. zu übertragen. ob diese im selben raum stehen oder irgendwo sonst auf der erde oder im näheren weltall, spielt plötzlich scheinbar gar keine rolle mehr.

eine medienarchitektur, die mehrere reelle orte telematisch vielschichtig über längere zeit miteinander verbindet, ist heute immer noch eine der öffentlichkeit verschlossene geschichte.
eine modemleitung aufzubauen, mididaten fehlerfrei zu übertragen, eine tonleitung, die mehr als normale telefonqualität übertragen kann, oder gar mehrere tonleitungen gleichzeitig einsetzen zu können, ist eigentlich immer noch unrealistisch, weil viel zu teuer. deshalb sind sämtliche arbeiten in dieser richtung ausnahmen, die immer nur über kurze zeit und räumlich "gesehen" ausschnittartig funktionieren.

5
einen öffentlichen grossen telematischen begehbaren raum gibt es noch nicht.
das mediennetz ist zwar weltweit elektronisch präsent, der zugang zu diesem "raum" ist aber nur auf ganz kleine punkte beschränkt. deshalb ist das räumlich-zeitliche potential des medialen raumes noch nicht im öffentlichen bewusstsein.

es sind denn auch nicht technische grenzen, die diesen raum heute verschleiern, sondern territoriale ansprüche der einzelnen kulturen, die eine derartig umfassende öffnung des gesamten planetaren raumes nicht akzeptieren können. weit mehr als die hälfte des medienpotentials ist militärisches sperrgebiet. und somit per definition "geheim" und kommandoorientiert. funkverbindung dient eigentlich nur der über-wachung und der fernsteuerung.

6
nein, wir haben kein "gobal village", der raum ist knapper. es ist eine mittlere lagerhalle. die lichtgeschwindigkeitsverzögerungen sind sehr gering, deshalb erscheinen die elektronischen signale überall auf der erde scheinbar gleichzeitig. 50 millisekunden hören wir als soliden raum, das licht bewegt sich in dieser zeit 15.000km. ein dorf umfasst, sagen wir einmal 1km2, das sind 3 sekunden klangzeittiefe, das entspricht in etwa auch unserem kurzzeitgedächtnis, betrachten wir einen entsprechenden elektromagnetischen raum, hätte der eine tiefe von 900.000km. dieser anteil des weltalls wäre unser "global village". wenn schon niemand von "dort oben" antwortet, so werden wir uns selbst bald dringlich bewusst werden, was für einen prozess wir mit diesem "informationsreaktor" in gang gesetzt haben.

die eigentliche qualität der elektromagnetischen sphäre, lebens-raum zu schaffen oder die um die erde vorhandenen elektromagnetischen räume als grundlage für das leben auf diesem planeten anzuerkennen, liegt heute noch grundsätzlich ausserhalb unserer vorstellung.

weiter ...


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