Textfragmente

[ Sigmund Freud | Athanasius Kircher ]

Sigmund Freud
2. September 1901
Postkarte aus Rom an Martha Freud
Montag, 2. September, 9h abends.

Nach 2h in Rom eingetroffen, um 3h nach Bad umgekleidet u Römer geworden. Es ist nicht zu bezweifeln, daß wir bleiben. Unbegreiflich, daß wir nicht Jahre früher gekommen sind. Es war wol heiß, aber höchst erträglich u bald ein frischer Wind. Der Reisetag bis 2h sehr bedeckt. Im Hotel Milano haben wir ein schönes Zimmer im 3. Stock für 8 L (4 L die Person), electrisches Licht. Ich glaube nicht recht an die Malariagefahr. Verschiedenes ist hier unbeschreiblich gut, von den Weltwundern kann man auf Karte nicht reden.

Auf Post nichts vorgefunden.
Herzlich
Sigm

Sigmund Freud
5. September 1901
Postkarte aus Rom an Martha Freud
Donnerstag, 5. September, 8h früh.

Heute Nacht gab es ein Gewitter, so heftig u großartig, als hätte es Michelangelo gemacht. Es krachte, als sollten wir versinken, dann Geschrei von der Straße, Glockengeläute, Feuerwehr. Die Blitze waren so schön, daß sich mir gewisse Hieroglyophen des Obelisken vor unserem Fenster tief eingeprägt haben. Man hätte wirklich lesen können, wenn nicht - wie der Bauer mit der Brill'. Es war den Tag über Scirroco gewesen, der gegen die Zeit des Gewitters wirklich drückend wurde. Heute ist es kühl und strahlend schön. Gestern waren wir noch zu Wagen, den man nicht entbehren kann, auf dem M. Pincio, dem Praterberg von Rom, wo man Serpentinen zwischen Palmen hinauffährt u dann drüben St. Peter sieht.

Es ist herrlich.
Herzl Grüße
Sigm

Sigmund Freud
6. September 1901
Postkarte aus Rom an Martha Freud
Freitag, 6. September

Heute Nachmittag einige Eindrücke, an denen man Jahre lang zehren wird. Im Pantheon gewesen, wo nebenbei die Gräber von Victor Eman, Umbert, Raphael sind, dann plötzlich in der Kirche S. Pietro in Vincoli den Moses von Michelangelo gesehen (plötzlich durch Mißverständnis). Endlich den Sonnenuntergang vom M. Janiculo mit Aussicht über das jetzige Rom an der Stelle des Garibaldidenkmals. Es ist zu herrlich u ich war noch nie so wol.

Ich grüße Euch herzlichst
Pa

Sigmund Freud
17. September 1907 Brief (4 S.) aus Rom an die Familie
Rom, 17. Sept. 07 abends

Meine Lieben
Endlich habe ich mirs behaglich eingerichtet u kann Euch den ersten Brief vom ersten Abend schreiben. Nicht so behaglich wie zu Hause freilich, aber auf diese Art lernt man, wie ich's ja auch von Euch gesehen habe, das Haus schätzen. Ich habe mich sehr gefreut zu hören, daß Reichenau so gelungen war, auch die Briefe meiner beiden zärtlichen Töchter waren sehr schön; warum die mittlere Tochter u die Herren Söhne gar keine Zeit zum Schreiben fanden, weiß ich nur zu errathen.
Ich glaube, Ihr seid jetzt alle geimpft u in der Spannung, ob es aufgehen wird. Von morgen an werde ich im Cafe regelmäßig die Neue Presse lesen u so wenigstens einige Tage später erfahren, was in Wien vorgeht. Die italienischen Zeitungen sind mir ganz gleichgültig, es steht überhaupt wenig vom Ausland in ihnen, höchstens jetzt von Marocco.

In Florenz haben wir plötzlich, die Tante u ich, den Dr. Eitingon begegnet, der unser erster Gast aus Zürich war u die Tante hat ihn sofort aufgefordert, mir in Rom Gesellschaft zu leisten, d. h. auf mich Acht zu geben, als ob ich so ein leichtsinniger Weltbummler wäre. Zum Glück reist er in Gesellschaft u diese sowie der Respekt werden ihn, wenn er nach Rom kommt, hoffentlich abhalten, meine Ruhe oftmals zu stören. Florenz war sehr schön, die Tante hat wiederholt erklärt, daß es ihr um die lange Reise gar nicht leid tut. Besonders ein Ausflug nach Fiesole mit Wagen (es fährt allerdings auch eine Electrische hin) hat selbst meiner Verwöhnung mit Schönheit in Italien imponiert. Dort wollte sie gerne mit mir bleiben. Fiesole liegt auf einem Hügel, der die volle Aussicht auf Florenz hat u von dem aus man den Arno wirklich wie ein Silberband sieht, eingebettet in Pinien, Oilbäume, Cypressen, Lorbeer u was sonst noch; man versteht, warum der alte Böcklin sich gerade dort die Villa geschafft hat, die uns der Kutscher gezeigt. Dieser kannte den Namen sehr wol u schätzte ihn als Maler sehr hoch, also viel höher als der deutsche Kaiser, der ihn bekanntlich nicht mag. Fiesole hat auch Ausgrabungen, es war doch eine alte Etruskerstadt, viel älter als das erst 39 v. Chr. gegründete Florenz; ich konnte also die Tante in ein (römisches) Theater führen u ihr eine großartige (jetzt ganz trockene) Badeanstalt - Thermen - zeigen; doch wollte ich nicht bleiben, weil es mich nach dem herben Ernst von Rom hinzog, u so trennten wir uns, da sie mit Recht annahm, daß sie von meinen Wegen in Rom nur die wenigsten mitmachen würde.
Dieses Rom ist eine sehr merkwürdige Stadt, das haben schon viele gefunden. Ich wohne im Herzen etwa wie auf dem Stephansplatz, aber anstatt des Doms steht hier die großartige Säule des Kaisers Marc Aurel, der durch seinen Tod wenigstens ein Wiener geworden ist. Etwas seitwärts von dieser Piazza Colonna hat sich an der Stelle, wo die Kaiserleichen verbrannt wurden, ein kleiner Hügel gebildet, auf dem jetzt das Postament gebaut ist u auf dieses geht die Aussicht aus meinem Fenster. Ich hoffe es hier sehr schön zu haben, aber mit Einkaufen u Mitbringen wird nicht viel werden. Rom hat au6er den paar Nachbildungen, wie Ihr sie schon habt, nichts Besonderes zum Verkaufen. Höchstens da6 es gelingt, wenn Ihr mich durch Eure Wünsche orientiert. In Florenz war mehr Gelegenheit u Verlockung. Die Schmuckketten, die Mama so dunkel vorschweben, sind dort greifbar zu haben u wenn der Sommer nicht soviel gekostet hätte ... Aber ich war geizig. Auch für mich, außer Notizbuch u Crayon - habe ich nichts von Florenz weggetragen. Es waren dort zwei antike Gläschen aus farbigem Glas, zum Verlieben einfach, kosteten jedes bloß 200 L. Ich glaube, sie stehen noch jetzt im Laden. Auch in Orvieto habe ich sehr wenig gekauft, weil wenig zu haben war. Diese Stadt müßt Ihr Euch vorstellen wie ein ins Riesige vergrößertes Luserna, schön also nicht. Mitten unter diesen grauen Steinhaufen steht dann eine bezaubernde Kathedrale, die in allen Farben prangt. Mein Freund Mancini will seinen Oil- u Weingarten, in dem noch ungezählte Etruskergräber auszuheben sind, verkaufen. Das gäbe eine amüsante u gesunde Beschäftigung, aber wir müssen wol noch alle anders arbeiten.

Ich erwarte Eure Briefe u grü6e Euch u die Mama herzlich
Euer Papa

Sigmund Freud
aus Rom an die Familie
Rom, 21. Sept. 07

Meine Lieben
Wundert Euch nicht über die spärlichen Briefe, ich habe Euch schon verraten, daß man in Rom beständig von seinen Aufgaben erdrückt ist u zu nichts kommt. Heute war es wieder herrlich; Villa Borghese, dh ein großer Park mit Schloß u Museum, der noch vor kurzem einem der römischen Fürsten gehört hat, jetzt aber Eigentum der Stadt u allgemein zugänglich ist, denn der gute Fürst hat sich verspekulirt u mußte Alles für 3 Millionen L verkaufen. Spottbillig nebenbei; im Museum befindet sich so ziemlich der schönste Tizian, genannt Himmlische u Irdische Liebe, für den die Amerikaner allein soviel gegeben hätten. Das Bild kennt Ihr gewiß, die Bezeichnung hat keinen Sinn, was das Bild sonst bedeutet, weiß man nicht; genug, daß es sehr schön ist.
Schöner als dieser Park braucht keiner zu sein, nur müßt Ihr Euch anstatt der saftigen Wiesen dürren Boden vorstellen, wenigstens jetzt ist er so. Die Bäume sind von der vornehmsten Art, Pinien, Cypressen, Palmen, allerlei un- bekanntes Zeug, dazwischen große Spielplätze, von unzäligen Kindern gefüllt, steinerne Tische u Bänke, auf denen kleine Leute ihre Malzeiten verzehren, ein See mit einer Insel, auf welcher ein Äsculaptempel steht, allerlei andere künstliche Ruinen u Tempelnachbildungen, also ein Schönbrunn, das sich herabläßt, ein Prater zu sein. Zu Schönbrunn paßt auch, daß hie u da fremde Thiere ihre Wohnungen haben, Gazellen, Fasane, auch einen Affen habe ich bemerkt, dem die Gassenbuben das Leben sauer machen. Pfauen gehen frei herum u führen ihre Küchlein, die noch sehr unscheinbar sind, spazieren. Es ist natürlich allerlei im Garten verboten, aber nicht mehr als notwendig ist, u ich glaube bemerkt zu haben, daß sich's jeder behaglich macht u keiner sich an Verbote hält. In dem Theil, der der Privatgarten des Fürsten war, steht auch hie u da ein echtes Stück Altertum, ein schöner Sarkophag, eine Säule, eine gebrochene Statue. So vergißt man nicht, daß man in Rom ist.
In einer Allee sieht man eine Statue von Victor Hugo, die von den Franzosen im Dienste der Verbrüderung der Na- tionen geschenkt worden ist. Er sieht aus wie Verdi, Jo- achim u so weiter. Diese Statue hat den guten Kaiser Wilhelm nicht ruhen lassen, u so hat er aus Concurrenzneid die Statue von Goethe durch Eberlein machen u in demselben Garten aufstellen lassen. Sie ist ganz geschickt u nichts Hervorragendes. Goethe ist zu jugendlich; er war ja über 40, als er zuerst nach Rom kam, steht auf einem Säulenschaft, vielmehr einem Kapitell, u das Postament ist von 3 Gruppen umgeben: Mignon mit dem Harfner, der vielleicht das Beste ist, Mignon selbst hat ein leeres Gesicht, Faust in einem Buch lesend, dem Mephisto über die Achsel schaut, Faust wider gut, der Teufel ganz fratzenhaft, ein Judengesicht mit Hahnenkamm u Hörnern, und eine dritte Gruppe, die ich nicht verstehe, vielleicht Iphigenie u Orest, aber dann sehr unkenntlich. Im Museum selbst sind nicht nur Antiken, sondern auch modernere Skulpturen, die Fürstin Pauline Borghese, bekanntlich eine Schwester von Napoleon, als Venus von Canova, berühmte Gruppen von Bernini und Anderes. Die Antiken sind alle ergänzt, was die Beurtheilung sehr erschwert. Neuere Funde werden jetzt schonender behandelt, ich freue mich darum auf das Museum in den Diocletianthermen, das ich morgen besuchen will.
Das Schwerste in Rom, wo nichts leicht ist, bleibt das Einkaufen. Bisher war ich sehr bescheiden, heute ist der Anfang mit einigen Marmorschalen gemacht worden. Die Mittwochsherrcn werden es nobel haben. Mama oder Tante würden gewiß noch allerlei Anderes zu kaufen finden. Dieser Marmor ist nun echt u nicht bemalt, dafür auch etwas theurer. Eurer Wünsche bin ich noch immer gewärtig. Ich hoffe, daß Euch die Impfblattern nicht so schwer geworden sind wie dem Onkel" u grüße Euch herzlich, sowie Mama u alle im Hause.
Euer Papa

Sigmund Freud
16. September 1912
Brief aus Rom an die Familie
Auf Briefpapier vom "Eden Hotel - Rome"
16.Sept 12

Meine Theuren
Wir sind richtig um 3/4 12 angekommen. Aber dann waren wir in Rom. Unterwegs zwischen Florenz u Rom habe ich alles wiedergefunden, Stimmung, die Kunst Ferenzi interessant zu machen, Appetit u das erste gute Essen, dessen ein Barbar eignetlich gar nicht würdig ist. In der ersten Morgenstunde war ich im Edenhotel recht unzufrieden, es war alles noch im Winterschlaf u schämte sich dessen gar nicht. Ich habe kaum geschlafen u am Morgen auch andere Hotels besichtigt. Das Ende war, daß ich geblieben bin, ein herrliches Zimmer bekommen habe, Ausblick auf die Villa Malta in der Bülow wohnt, u auf einige Dattelpalmen in einem unbekannten Garten, mit Licht, Sonne, Raum, Bad u Ruhe.
Das Ziel, in Rom als großer Herr zu leben, scheint verwirklicht. Die ganze Herrlichkeit kostet 8 L am Tag. Das Hotel hat vortrefflichen Stil, sie haben mir alles ausgeräumt und hereingebracht, was ich fordern konnte. Der Lunch war exquisit. Was wissen wir von gutem Essen u von edlem Wein! Es ist fürchterlich behaglich und unglaublich schön.
Wir halten heute noch Ruhetag, aber auf das neue Monument des Königs Viktor Emanuel II zu steigen konnten wir doch nicht unterlassen. Die Aussicht von oben ist wol einzig in allen Städtebildern.
Es ist mir sehr natürlich in Rom zu sein, gar kein Fremdgefühl. Befinde mich auch so wol, als man nach solcher Reise u Nacht nur verlangen kann. Das Wetter ist milde, etwas bewölkt, gestern abends war es frisch kalt wie an unserem lieben see. Ich werde Euch täglich schreiben, aber nur sehr wenig, denn ich fühle, wie mich das Behagen an der Faulheit umschließt.
Euch wünsche ich Glück zum Einzug im neuen Arbeitsjahr, u hoffe Eure Reise hat sich leicht gestaltet. Ob ich einen Tag früher zurückkomme als ich muß, kann ich heute noch nicht wwissen.

Herzlichste Grüße an Alle u Jeden
von Papa