Literatur als Radiokunst ist eine neue Präsentationsform von Literatur im Radio abseits der traditionellen Genres wie «Lesung» und «Hörspiel».
Literatur als Radiokunst bedeutet, den Autorinnen und Autoren einmal buch-stäblich die «Produktionsmittel in die Hand zu geben». Die Gestaltung der Textpräsentation unterliegt nicht dem Konzept eines Regisseurs, sondern geschieht nach dem Willen der Autorinnen und Autoren. Betreut von einem Tonmeister des ORF kann und soll mit dem Klangmaterial experimentiert und «gespielt» werden: egal, ob konzeptuell nach einem strengen Plan oder ob spontan im trial und error-Verfahren.
Literatur als Radiokunst zieht als Ausgangsmaterial für weitere Sprach- und Klanggestaltung die Tonspur des von der Autorin oder dem Autor im Studio selbst gelesenen und aufgezeichneten Textes heran. Dementsprechend beanspruchen Lesung, Aufnahme und Schnitt des Textes einen Gutteil des ersten Produktionstages. Für jede Produktion sind insgesamt zwei-einhalb Tage im Hörspiel- und Digitalstudio 4 des ORF-Funkhauses vorgesehen.
Da Literatur als Radiokunst eine in Produktion und Rezeption erkennbare Alternative zu den traditionellen auditiven Genres beabsichtigt, sind die Autorinnen und Autoren gebeten, keine fremden Klangquellen (Musik, Atmo etc) für ihre Produktionen heranzuziehen. Einerseits soll sich auf diese Weise die Konzentration auf die basalen Komponenten von Literatur – Text und Stimme – erhöhen. Andererseits wären Gegenentwürfe zu den realistischen bzw. illustrativen Dramaturgien von Hörspiel und Feature zu entwickeln. Aber keine Angst: Die Studiotechnik bietet mit Vocoding, Sampling, Echo, Modulation, Tonhöhen-Transformation (pitching), Filterung, Schnitt, Überblendung etc. hinreichende Möglichkeiten, das aus der Lesung gewonnene Klangmaterial in brave new sounds zu verwandeln!
Literatur als Radiokunst soll die Ränder der inhaltlichen Textverständlichkeit ausloten, womöglich auch über diese hinwegklingen. Die vom Kunstradio entwickelten Modelle einer audio art mögen dabei einer experimentierfreudigen Audio-Auto(ren)-Ästhetik dienlich sein: Nur Mut zu Grenzgängen zwischen Musik, Literatur und Media-Künsten, zwischen «hoher» und «trivialer» Kultur!
Mit jeder Autorin, mit jedem Autor wird Literatur als Radiokunst erneut das Experiment vollziehen, einen Text auf dem Text abzubilden: Das heisst, wir arbeiten weniger mit mimetischen, sondern mit analytischen, metaphorischen oder metonymischen Mitteln!
Die Ergebnisse von Literatur als Radiokunst werden – je zwei etwa 20minütige Autorenarbeiten in einer Sendung zusammengefasst – in der Reihe Zeitton / Kunstradio (Sonntag, 23 Uhr, Radio Ö 1) ausgestrahlt. Darüber hinaus wird die Sendung verschiedenen deutschen Sendern zur Zweitausstrahlung angeboten.
Neben der akuten audiophonen Gestaltung bietet Literatur als Radiokunst den Autorinnen und Autoren Gelegenheit zur Erweiterung ihres Projekts durch einen Web-Auftritt im Rahmen der Homepage des Kunstradio: Text und graphische Gestaltungsmittel können hier – zusammen mit dem real audio-excerpt – zu einer Art Gesamt-kunstwerk komponiert werden.
Das Projekt Literatur als Radiokunst wurde 1999 von der Wiener Schriftstellerin Liesl Ujvary entwickelt. Mit 2001 übernahm die Germanistin Christiane Zintzen als Kuratorin die Betreuung der Reihe.
(Christiane Zintzen)