In seiner neuesten Radioarbeit
setzt sich der Regisseur und Radiokünstler Arsenije Jovanovic, der
in Rovinj und in Belgrad lebt mit dem allgegenwärtigen Thema des
Krieges auseinander. In einem schriftlichen Statement beschreibt der
Künstler:
Cathedral’s Fall, a Radio
War Opera könnte zwar als Kriegsoper bezeichnet werden, ist aber
keinesfalls eine künstlerische Darstellung von kriegerischen
Auseinandersetzungen zwischen Staaten und Völkern. Es geht
vielmehr um die Auswirkungen des Krieges auf die geistige und seelische
Verfassung von Kindern wie auch von Erwachsenen, die sich ihre
kindliche Seele bewahren konnten. Was Tiere fühlen oder denken,
können wir nicht ergründen. Als ich jedoch während der
letzten Balkankriege einmal auf hoher See segelte, ließ sich ein
Vogel auf meinem Boot nieder und erweckte damit den Eindruck, als
ob er hier Zuflucht vor den in den Bosnischen Wäldern
detonierenden Granaten suchte. Wir haben beide die Angst in unseren
Augen gesehen. Unser stummer Dialog dürfte mich auch zu meiner
Arbeit Cathedral’s Fall inspiriert haben.

In Chioggia in der Lagune von
Venedig fand ich kurz danach im kleinen Laden des Sammlers Gianni
Rugine einen gerahmten Brief, geschrieben von Kindern zu der Zeit, als
die Alliierten auf der Apenninenhalbinsel in nördlicher Richtung
vorrückten und nach schweren Gefechten schließlich auch
Florenz eingenommen haben. Vorder- und Rückseite des Briefes sind
gleichermaßen sichtbar, man musste ihn also umdrehen, wenn man
ihn zu Ende lesen wollte. Dabei war interaktive Kommunikation mit einem
objet trouvé damals noch nicht so ein beliebtes
künstlerisches Thema wie heute. Der Brief der Kinder vom
Weihnachtsabend 1944 ist an die abwesenden Großväter
gerichtet, die wohl irgendwo an der Front waren, aber auch in
Gefangenschaft sein oder vielleicht bereits unter der Erde liegen
konnten. Der Briefkopf zeigt unter anderem Donald Duck, Pluto und
Mickey Mouse. Für mich ist dieser Brief seit nunmehr über
zwei Jahrzehnten eines der wertvollsten Objekte, die sich im Besitz
meiner Familie befinden. Sollte ich eines Tages gebeten werden, einen
einzigen Gegenstand auszuwählen, der die Schrecken des Krieges
symbolisiert, würde ich auf diesen gerahmten, von Kinder aus
Chioggia zu Weihnachten 1944 geschriebenen Brief zeigen,
repräsentiert er doch die vielschichtigen menschlichen
Tragödien, die durch Kriege ausgelöst werden.
In den Librettos von
musikalischen Werken wird oft – wie überhaupt in der Kunst
– Geschichte nur oberflächlich und sachlich-nüchtern
erzählt. Ich hingegen arbeite sozusagen anti-librettistisch. Meine
Musik, meine Radiokunst und akustischen Experimente erschließen
sich auf indirekte Weise. Selbst wenn es einen Weg gäbe, es
wäre nicht meine Aufgabe, alle darauf hinzuweisen. Ich glaube,
dass ein Libretto nicht für intelligente Menschen geschrieben
wird, sondern für diejenigen, denen es entweder an Phantasie
mangelt oder die geistig träge sind.
Übersetzung: Friederike Kulcsar
|