In der Nacht des 14. März 2010 fuhr eine zum Ausstellungsraum und
Radiostudio umfunktionierte Straßenbahn durch Wien. Bestückt war sie
mit Installationen von Studierenden der Digitale-Kunst-Klasse der
Angewandten: eine ULF-Garnitur voll mit Kabeln, Lautsprechern,
Mischpulten und Computern, aber auch mit aufblasbaren Skulpturen, einer
Schaukel, einem Geschirrschrank und zwei Waschbecken – und hintennach
flatterte ein Zwirn durch die Stadt.
Organisiert wurde das
Projekt von Nicolaj Kirisits und Klaus Filip. Kirisits sagt über den
Ursprung des Konzepts einer im Radio hörbaren Ausstellung in Bewegung:
Nicola Kirisits
Wer nicht an einer der sechs
Stationen auf der Spezialroute Alser
Straße-Schottentor-Schwedenplatz-Südbahnhof-Schwarzenbergplatz
zusteigen konnte, hatte die Möglichkeit, das „informelle radio“ im
Radio zu verfolgen, idealerweise mit drei Stereo-Geräten, als
mehrkanalige Live-Übertragung.

Die
Straßenbahn wird zum Ausstellungsraum, dessen Bewegung als
Verweis auf zwölf zeitbasierte Arbeiten, die im Inneren von
Studierenden der Abteilung Digitale Kunst aufgebaut sind, dient. Die
Stationen bei denen das Publikum ein- und aussteigen kann, gliedern die
Fahrt in zeitliche Abschnitte. Abgebildet wird diese performative
Ausstellung durch sechs akustische Perspektiven, die live via Radio
übertragen werden. Durch die Bewegungen von sechs Mikrophonen im
Ausstellungsraum wird das Gehörte als Material für eine
zeitbasierte Raum- Dekonstruktion in einer Radio-Mehrkanalinstallation
erlebbar.
Im privaten Raum der RadiohörerInnen wird das Aufspannen einer multiperspektivischen Hörsituation gefordert.
Man nehme drei Radios, am besten alle Stereo. Jedes Radio wird auf einen anderen Sender eingestellt:
- Ö1
- FM4
- ein
freies Radio: (orange94,0 in wien, radio helsinki 92,6 in Graz, radio
freirad 105,9 in Innsbruck, FRS freies radio im salzkammergut, MiRa
Campusradio 94,4 in St.Pölten, Freies radio B138 90,4 in Krems und
Radiofrabrik 107,5 in Salzburg)
- Man verteile die drei Radios im Raum.
 
Ausgangspunkt
war der Betriebsbahnhof Hernals, wo die Radio-Straßenbahn
planmäßig um 23 Uhr abfahren sollte. Die Installationen, im
folgenden genauer beschrieben, waren bereits in Betrieb – doch
die Straßenbahn fuhr nicht los. Grund war eine Überlastung
des Stromnetzes, und Folge war, dass sich die Garnitur erst gegen 23.20
Uhr ruckelnd in Bewegung setzte. Bei der ersten Station, Alser
Straße, stiegen mehrere Dutzend Gäste zu – es wurde
eng in der Radiostraßenbahn.
 
Die
Radio-Übertragung hatte unterdessen bereits begonnen. Sechs mit
Ansteckmikrophonen versehene Menschen bewegten sich hintereinander und
mit Abstand durch den gesamten Waggon. Am hinteren Ende beginnend,
gingen die Mikrophonträger nach vorne durch, stiegen bei jeweils
einer Station aus, liefen zurück und stiegen bei der hintersten
Türe wieder ein. Die ersten zwei Mikrophone lieferten die
Bespielung der Ö1-Kanäle, die zweiten beiden jene für
FM4 und die Mikrophone 5 und 6 speisten die Programme der Freien Radios.
 
Am
im Wagenende installierten Mischpult war Tonmeister Martin Leitner,
weiters an Bord waren auch die ORF TontechnikerInnen Susanne Wirtitsch
und Hannes Stern.
Hannes Stern erklärt die technische
Realisierung der Live-Sendung aus der fahrenden Straßenbahn:
„Wir funken die Einzelkanäle über drei Stereosender
Richtung Kahlenberg. Dort befinden sich seit neuestem drei
Stereo-Empfänger, die ins ORF Funkhaus per El-net, einer digitalen
Leitung, geliefert werden und dann über den HKR, den
Hauptkontrollraum im Funkhaus Wien, auf die Programme verteilt werden.
Wir haben natürlich für jeden Sender eine Antenne, sprich es
sind am äußeren Rahmen der Straßenbahn drei Antennen
verteilt. Diese sind über Kabel an die Sender angesteckt, und die
Eingänge der Sender hängen am Mischpult. Wir haben eine
Probefahrt mit einem SR20, einem Mono-Gerät mit 2 Watt Leistung
gemacht, kreuz und quer durch Wien, was eigentlich erstaunlich gut
funktioniert hat. Die Sendefrequenzen liegen um die 230 Megahertz. Die
für die Live-Sendung verwendeten Sender haben jeweils bis zu 16
Watt. Bis jetzt war Funk immer mono – Stereo funktioniert es so:
man muss die zwei Kanäle einmal addieren und einmal subtrahieren,
damit daraus eine Multiplex-Frequenz generiert wird. Diese Modulation
wird an den Sender geschickt, und dieses Frequenzgemisch kann man dann
am Empfänger wieder durch Subtraktion und Addition in die zwei
Kanäle umwandeln. Technisch war das bisher schon möglich, nur
hatten wir die Geräte nicht. Die wurden erst vor drei Jahren
entwickelt.“
 
Kathrin Stumreich // DER FADEN // http://www.kathrinstumreich.com
Kathrin Stumreich
„Die
Spur legen, die Bewegung in Abhängigkeit und das Audiotracking
einer fast unsichtbaren Materialität, die genauso gut als Ausrede
benutzt werden kann, um irgendetwas zu hören. Die
Fadenführung legt eine räumliche Trennung und Geometrie fest,
die vom Auditiven gesucht wird. Eine Fadenspule spult sich mit der
Geschwindigkeit der Straßenbahn ab, und wickelt die Stadt ein.
Die Mikrophone folgen der im Raum vorgelegten Spur des Fadens. Eine auf
Mutmaßung basierende Vorstellung einer Akustizität wie sie
durch Verschiebung der aneinandergrenzenden Materialitäten
erwartet werden könnte. Parallele akustische Eigenphantastereien
werden nicht ausgeschlossen.“

Viktoria Wöß // schaukel
Viktoria Wöß
„Eine
quietschende Schaukel wird an einer Haltestange der Straßenbahn
befestigt und der Schaukelnde durch die Beschleunigung und das
Abbremsen des Fahrzeuges in Bewegung versetzt. An die
Schaukelaufhängung wird ein Piezomikrofon geklebt und das
Geräusch verstärkt.“

joaknierzinger // toilettophone // http://joak.nospace.at/
joaknierzinger
„von
toni polster bis peter weibel jede/r benuetzt es – das
abwassernetz. es ist nicht nur interessant in seiner architektur, wo es
uns an eine bus-tropologie erinnert, sondern vielmehr interessant ist
es als kommunikations medium zuverwenden! deswegen siphon entleeren,
verstaerker aufstellen und durchs netz mit dem nachbarInnen reden oder
anders gesagt
duchamp zitat erweitert mit kommunikationsmedium weils dem "you" nur um den kontext geht.“

Mara Bloom // monolog einer straßenbahnreisenden
„’schade
das es keinen negativen ton gibt, den ich entgegensetzen könnte,
keine deckende stille, die ich um mich malen könnte also brauche
ich wohl dieses gedankenschutzschild, diese gedankengebäude und
landschaften, diese welten in meinem kopf, die nur mein sind. und mir
gehorchen um meine vollständigkeit zu wahren, um ganz zu bleiben.
die
straßenbahn fährt weiter, vorbei an all dem was war. zu dem
was kommen wird. auch wenn all dies da draußen ja schon
längst nicht mehr vergangen sonder stetig ins Jetzt schlüpft.
es
ist als würde die zeit die welt mit kaum sichtbaren lagen
realität überziehn, die nur die sehen können, die schon
so lange und aufmerksam diese strecke entlang fahren oder gehen oder
stolpern. immer wieder und immer wieder. jeden tag liegt einer neue
kaum merklich andere realität über der alten. die die alten
niemals überdeckt und dennoch anders ist.
platz
meinen blick auszustrecken und in die ferne reisen zu lassen. durch die
straßenbahn hindurch, nach draußen hinaus, die straße
entlang, durch die gassen hindurch, über die dächer hinweg,
über die plätze, gärten, brachen,
kreuzungsschlachtfelder, industrieverbrechen, betonwüsten und
nacht.
endlich platz. platz meine gedanken darüber wachsen zu lassen.
wir städter verlieren immer wieder den bezug zur realität.’
Im
Zentrum steht der Monolog eines Fahrgasts, der die Gelegenheit der
Radioübertragung nutzt um Aspekte seines Alltags und damit des
Lebens an sich im Lichte der Straßenbahn an die
Öffentlichkeit zu tragen.
Der
Text wird mittels eines alten Radios abgespielt. Die Autorin haltet
schweigend das Abspielgerät. Nur ihre Augen sprechen.
Die
Straßenumgebung, der selbstverantwortliche Alltag steht im
Gegensatz zum bewegten geborgenen traveller’s space der
Straßenbahn, in dem temporär die Verantwortung an den
Zugführer übergeben wird. Der Schritt als Maß aller
Dinge wird durch schwebende Zeitlosigkeit in Vergessenheit
gedrängt.“

HPL // elektrostimmen
hpl
„Das
Unerwünschte zum Erwünschten erheben und sich daran
erfreuen. Die technisch nicht gewollten Störfrequenzen der ULF
Antriebseinheiten werden eingefangen und in einer Mehrkanal
Klanginstallation dem Publikum zur Verfügung gestellt. Die
Antriebe werden zum Instrument, gespielt durch die Dynamik des
Fahrantriebes sowie der Auswahl und Platzierung der Sensorik.“

Johannes Muik // mängel gegenstände hängen // http://www.muiki.mur.at
„mängel
gegenstände hängen ist eine Komposition für fünf
Küchenradios welche an einer Schnur befestigt sind und über
den sitzen der Straßenbahn hängen. Jeder dieser mit
Batterien betriebenen Radios empfängt ein FM-Signal auf
unterschiedlichen Frequenzen von einem jeweils dazugehörigen
selbstgebauten Transmitter.
Durch
die geringe reichweite und der minderen Übertragungsqualität
der selbstgebauten Transmitter, wird die komposition in ihrer
Wiedergabe beeinflusst. Unterstützt wird dies durch manuelles
drehen der Radios.“

Daniel Gyolcs // Radio#maT
Daniel Gyolcs
„Wird
es im Jahre 2030 noch Fahrscheinentwerter geben, oder ist in naher
Zukunft die Menschheit bereits digital mit einem "öffentlichen
Netzwerk" verbunden???
Gebrauchsanweisung:
Man nehme eine "Fahrkarte-informelles radio" gebe diese in den
Kartenslot, und der Radio#mat erzeugt aus einem Radio-Signal und einer
Software neue Sounds. Diese werden mittels Oszilloskop/Bildschirm
visualisiert, und über einen Radiolautsprecher hörbar
gemacht.“

mths // radio feedback // http://mtks.tumblr.com
mths
„Das
gesendete Signal wird mit Mikrofonen vor einem Radio abgenommen und das
dabei entstehende Feedback mit einem Audio Mixer manipuliert.“

Miriam Moné // schienenlieder
Miriam Moné
“Wherever
we are, what we hear is mostly noise. When we ignore it, it disturbs
us. When we listen to it, we find it fascinating’ (John Cage,
1961, p.3).
On
one hand, many people have come to fear silence: even the supposed
absence of sound is disturbing and needs to be suppressed under a
carpet of sound. On the other hand, the omnipresence of music has
markedly reduced our tolerance towards ‘other’ sounds,
towards noise. Is another relationship with noise conceivable? As one
of many composers, John Cage has sought to open our ears to
‘non-musical’ sounds in his compositions. According to
Cage, the qualification of sounds as non-musical or noise is not so
much related to intrinsic sound properties as it is to our attitude
towards sounds that we do not instantly consider to be musical. When we
pay attention to sounds that we usually prefer to ignore - the same
attention we reserve for musical sounds - we might experience these
sounds as far less disturbing. The more one realizes that the sounds in
our environment are musical, the more music there is."
(Marcel Cobussen)
beim
projekt "schienenlieder" handelt es sich um eine art "umgebungschor",
der die geräusche in der strassenbahn aufgreift, immitiert -
akzentuiert - ergänzt und interpretiert.
gemeinsam
mit den teilnehmern, die bis auf ein, zwei ausnahmen nicht
professionell mit ihrer stimme arbeiten, zum teil jedoch einen
musikalischen background im bereich improvisation und neue musik
aufweisen, wurde in ansätzen eine art vokabular und ein gewisses
framework entwickelt, in dem auf die auditiven aspekte der strassenbahn
reagiert wird. man kann also sagen, dass der tatsächliche dirigent
die tramway selbst ist.
einerseits
stellt es für die vokalisten eine direkte auseinandersetzung mit
einer bestimmten umgebung dar, welche sich sowohl in der
ausdifferenzierung der klanglichen ereignisse als auch in der
erforschung von mustern und abläufen, schichtungen und variationen
äussert. eine sensibilisierung findet statt, der hörsinn
tritt in den vordergrund, alltägliche situationen eröffnen
sich den mitwirkenden in neuen facetten. normierte verhaltensweisen
werden abgelegt und die schultern werden locker, nach der ersten
überwindung in der öffentlichkeit der strassenbahn zu singen,
krächzen und zu poltern, liegt die annahme nahe, dass das leben
viel zu kurz ist, um ängstlich zu schweigen.“
mitwirkende personen:
• bernhard schöberl / musiker
• luke matthews / reisender
• bernd klug / musiker
• gloria damijan / musikerin
• nina divitschek / photographin
• claudia bliesener / projektmanagerin, übersetzerin
• eloui / musikerin
• peter scharmüller / medienkünstler
• manon bancsich / musikerin
• sarah foetschl / philosophin
• katrin hauk / musikerin
• heike kaltenbrunner / medienkünstlerin

Conny Zenk // ▀▀ ▀▓▓▀╘════
Conny Zenk

Conny Zenk + mths // aufblasbar // http://gaffabandl.wordpress.com
„Es
werden Dreiecke gefüllt mit Luft in die Straßenbahn
gestellt. Ihre Größe misst über 2 Meter, so
funktionieren sie als Maßstab, Raumteilung und Hindernis.“

Karl Salzmann // Transport³ // http://www.karlsalzmann.com
Karl Salzmann
„Die
Straßenbahn selbst und Aufnahmen diverser Transportmittel bilden
das klangliche Ausgangsmaterial der Komposition. Während der Fahrt
wird mit vorhandenem improvisiert und die formale Struktur weiter
entwickelt. Wie auch die Straßenbahn selbst, begibt sich in
„Transport³“ der Klang auf die Reise. Vom anfangs
semantisch auf den Kontext verweisenden, hin zur reinen Klanglichkeit.
Eine Umkehrung der Geschichte – von Soundscape zurück zur
Musique concrète. Der Transport des Transports erfolgt mittels
mehrerer Lautsprecher, die an den hängenden Haltegriffen der
Straßenbahn montiert sind.“

Jan Perschy // hot bin // http://janperschy.com
Jan Perschy
„Untersuchung
des Ansprechverhaltens von Küchenkasten voll mit Geschirr.
Impulsweise wird eine Schwingung auf den Küchenkasten
übertragen, diese Schwingung pflanzt sich durch das Geschirr fort.
Zwischen den Impulsen wird die Nachschwingung des Geschirrs durch ein
Mikrofon aufgenommen und verarbeitet. Ist aus dem Ergebnis die Anzahl
der Teller und/oder Tassen interpretierbar?
Ein Experiment von Jan Perschy in Kooperation mit dem Küchenradio.“
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