GERFRIED STOCKER
TELECOMMUNICATION


Zeitgleich installation : WINKE WINKE


Module II
(für module I sehe Winke Winke installation)

Module I

Der Versuch, die Tiefe des geographischen Raumes nachrichtentechnisch zu überwinden, läßt sich über die Jahrtausende hin nicht an seine Anfänge zurück verfolgen.

Die oft für die elektrische Telekommunikation als charakteristisch angenommene Scheidung der körperlichen Zwangsgemeinschaft von Botschaft und Botschafter hat als solche allerdings lange vor der Entdeckung des elektrischen Stromes, spätestens mit den ersten optischen "Telegrafienetzen" stattgefunden. Systeme, die den Nachrichtenaustausch - verglichen mit reitenden Boten - in dramatischem Maße beschleunigten. Fast höher noch als den Geschwindigkeitsgewinn schätzte man aber die damit erzielte Sicherheit der Daten gegen gemeine Wegelagerer und Staatsfeinde - (schon immer die Hauptsorge von Nachrichten-diensten).

Die Einführung eines weitreichenden Netzes von optischen "Flügeltelegrafen" geht selbstverständlich auf die militärische Notwendigkeit nach schneller und zuverlässiger Nachrichten-übertragung zurück. "...Ihre erste praktische Anwendung fand sie in den Zeiten der Französischen Revolution und den darauffolgenden Napoleonischen Kriegen: die französischen Brüder Claude und Ignace Chappe hatten - nach vergeblichen Ver-suchen, einen elektrischen Telegrafen zu entwickeln - ein System der Nachrichtübertragung durch miteinander visuell verbundene "Relaisstationen" entwickelt, Türmen, die mit veränderbaren Flügeln ausgerüstet waren und nach einem eigens entwickelten Code Buchstaben und Zahlen übertragen konnten." Durch die in dieser Zeit bereits verfügbaren ersten achromatischen Ob-jektive konnten große Strecken überbrückt werden. "1794 wurde die erste Linie von Paris nach Lille erbaut, nach einer Verbesserung des Codierungs-systems wurde ein landesweites Netz von Paris aus eingerichtet, das auch auf im folgenden Krieg eroberte Gebiete ausgeweitet wurde".1


Französische Telegrafenstation für optische Nachrichtenübertragung. Kupferstich um circa 1790. 2

Die Erfindung der elektrischen Telegrafie stieß in der Folge auf erbitterte Gegnerschaft seitens der Befürworter der optischen Telegrafiesysteme. Die dabei geführte Argumentation bestimmt bis heute die Diskussionen um offene Medien und Kommunikation.

"...No the electric telegraph is not a sound invention. It will always be at the mercy of the slightest disruption, wild youths, drunkards, bums, etc ... The electric telegraph meets those destructive elements with only a few meters of wire over which supervision is impossible. A single man could, without being seen, cut the telegraph wires leading to Paris, and in twenty-four hours cut in ten different places the wires of the same line, without being arrested. The visual telegraph, on the contrary, has its towers, its high walls, its gates well-guarded from inside by strong armed men. Yes, I declare, substitution of the electric telegraph for the visual one is a dreadful measure, a truly idiotic act...." Dr. M. Barbay 1846 3

Neben der direkten Verständigung von Matrosen wurden in der Seefahrt auch mechanische Semaphorstationen 4 verwendet (u.a. zur Anzeige der Windverhältnisse für die Küstenschiffahrt).

"An der österreichisch-ungarischen Adriaküste gibt es sieben Stationen, wo Flaggensignale nach dem internationalen Signalbuch abgenommen werden, so von den Leuchttürmen, bzw. Leuchtfeuerhäusern in Triest, Kap Salvore (Istrien), ... Für die italienische Adriaküste sind in dem vom Hydrographischen Amte der k.u.k. Kriegsmarine herausgegebenen Leuchtfeuerver-zeichnis elf Semaphorstationen ausgewiesen." 5

Ähnliche, gleichbenannte Signalvorrichtungen wurden bei den Eisenbahnen verwendet.

Module III

Information ist nach Norbert Wiener eine gegenüber Masse und Energie eigenständige Entität. Die Informationstheorie 6 versteht darunter ein Maß, das den Zeichen einer Nachricht zugeordnet wird. Verwendet wird meist der Logarithmus zur Basis 2, woraus sich als "Pseudoeinheit" für die Inforamtion das bit ergibt. Information ist demnach ein rein technisches Maß, das nur an die Wahrscheinlichkeit, nicht aber an den Sinngehalt einer Nachricht gebunden ist.

Kommunikation ist ein kybernetisches System. Das Modell der Nachrichtenübertragung von "Winke Winke" ist eine Standard-Versuchsanordnung. Ein diskreter Übertragungskanal, in dem eine Auswahl aus einem endlichen Vorrat von elementaren Symbolen von einem Punkt zu einem anderen übertragen werden kann.


Diagram of a transmission line after Shannon.

Unser Interesse dabei gilt der Störquelle, dem Rauschen. 7

So wie die bloße Bewegung von Energie Rauschen erzeugt, so verschleifen die Signalflanken und Impulse überall dort in einer Signalkette, wo das Signal das Trägermedium wechseln muß (von schwingenden Luftteilchen zu oszillierenden Elektronen - vom metallischen Antennenstab zur Luft hin ...). Besonders stark sind diese Erosionsprozesse dort, wo Information ihren Aggregats-zustand ändert; zwischen elektrisch und mechanisch, zwischen Lichtimpuls und modulierter Hochfrequenzstrahlung und vor allem zwischen digital und analog.

Das Grundprinzip von Telegrafie, im besondern der elektrischen Telegrafie, also jenem System, das Morse 1843 etablierte, - Inhalt in eine serielle Abfolge von Informationseinheiten, Strom und nicht Strom, also 0 und 1 zu zerlegen, entspricht völlig der Technologie des Soundsampling, der digitalen Auflösung, Speicherung und Rückwandlung von analogem Klangmaterial. Der Klang wird von seiner körperlichen Quelle getrennt und dadurch ubiquitär übertragbar, reproduzierbar.

Unter Verwendung von Soundsampling und MIDI geschaffene Musik ist somit Telegrafie.

Module IV

"Die Zukunft steht in den Sternen. Die Entwicklungen im All sind rasant und werden mit Sicherheit die irdische Kommunikation verändern. Immer mehr Satelliten werden ihre Positionen im Weltraum beziehen, Norweger werden spanische Programme sehen, Inder bewundern BBC Dokumentationen und Österreicher wohnen den australischen Meisterschaften im Zwergenwerfen bei. Fernsehstationen aus aller Welt werden sich freie Kanäle auf Satelliten teilen. Wer eine Satelliten-Empfangsanlage besitzt, dem gehört die Zukunft der Kommunikation !" 8

Diese Zukunftsvision stammt aus dem Jahre 1989, als die Österreichische Post die Verwendung von Heim-Satellitenemp-fangsanlagen freigab, und so "die Weichen für eine neues Medienzeitalter in Österreich gestellt hat." Für eine solche Anlage (Parabolantenne mit Durchmessern von 60-150cm, Konverter und Receiver) zahlte man zu diesem Zeitpunkt, inkl. Montage zwischen 30.000,- und 40.000,- Schilling. Dazu kamen 120,- Schilling Stempelmarke für den Antrag bei der Post und 20,- Schilling Gebühr monatlich. Das Programm des amerikanischen Nachrichtensenders CNN konnte via Intelsat empfangen werden, jedoch nur über Decoder und kostete pro Monat rund 2.800,- Schilling. (Die SDI Visionen von R.Reagan hatten sich damals schon selbst überlebt.)

Spätestens seit 1991 wissen wir alle, daß die Zukunft, wenn schon nicht in den Sternen, so zumindest im erdnahen Orbit liegt. Die medienadäquate Dramaturgie des Golfkriegs zeigte, wie sehr der elektronische Raum als eigentliches Schlachtfeld dieses Krieges, über die Grenzen der nah-östlichen Wüste hinaus, von einer globalen, planetaren schon längst zu einer orbitalen Dimension geworden war.

Die Flugbahn der von den Irakis abgeschossenen Scud-Raketen wurde von amerikanischen Satelliten exakt erfaßt und in Echtzeit zu einem Rechenzentrum des Pentagon übertragen. Dort wurden die notwendigen Navigations-Daten für die Patriot-Abwehr-raketen errechnet und über Satellit zu den Raketenbasen in Israel und Saudi Arabien übertragen, von wo aus die Raketen gelenkt wurden. Ein Routineszenario globaler Telekommunikation. Es zeigte sich aber auch ein interessantes Phänomen einer zunehmenden Medienkompatibilität.

Es bedurfte keiner Erklärung; die Bilder, die von den Video-cameras auf den ferngelenkten Raketen kamen, waren vollkommen TV-kompatibel (= verträglich), als wären sie, wie die on-board Kameras der Formel 1, eigens für den Zweck der massen-medialen Übertragung und Distribution montiert worden. Die von den Computern aufgezeichneten Realdaten dieses Krieges sind mittlerweile gewinnbringend zu Computerspielen kompiliert.

Die Kompatibilität (= Austauschbarkeit) der Technologie resultiert in der Kompatibilität (= Vereinbarkeit) der Bilder. 9

In der an der Infobahn angeschlossenen Datenschnittstelle verschmilzt unser Verständnis von unterschiedlichen Medien (Radio, Audiocassette, Schallplatte, CD, Fernsehen, Video, Diskette) in ein einziges Terminal, zu einem Uni-Medium. Medien-Kompost im Zustand finaler Kompatibilität. Auf der technologischen Seite, indem nur mehr ein gemeinsamer Träger, einheitliche Codierungssysteme und transparente Übertragungsprotokolle verwendet werden, auf der User-Seite durch einen auf Bildschirm, Lautsprecher und Fernbedienung komprimierten Funktionskomplex.

Die Medien, Protagonisten der abrupten kulturellen und sozialen Umstrukturierungen in unserer postindustriellen Gesellschaft, sind selbst zum Spielball dieser geworden. Mit der Einführung des interaktiven Fernsehens wird dieses, in der uns geläufigen Form, überhaupt aufhören zu existieren. Als Medium wird es dadurch eigentlich passiv, zu einer fernbestellbaren Videothek, zu einem Bedienungsgerät (willfährigen Dienstboten) für Teleshopping, Telespiele etc. Durch den individuellen Zugriff auf Pause, Foreward, Rewind und Repeat verliert es seine unantastbare unerbittliche Dynamik (alle 40ms ein neues Bild, 2.160.000 Bilder pro Tag) 10

Was damit aber auch verloren geht, ist seine eigenständige Funktion als politischer Informationsträger, als Kulturträger, aber auch als (Unterhaltungs-) Moderator. Die gewohnte Stabilität der Medien erwuchs aus ihren Grenzen zueinander, den unterschiedlichen Materialeigenschaften ihrer Träger, aus deren Einfluß auf die getragenen (mediatisierten) Informationen. Werden diese Informationen in gegenseitig verrechenbare (computierbare) Codes zerlegt (gesampelt), (können somit dem selben gemeinsamen Träger eingeschrieben (aufmoduliert) werden), verlieren die unterschiedlichen Medien ihre scharfen Konturen, fließen ineinander. Sie werden instabil, undicht. Information diffundiert, sickert durch.

Die Stellen, an denen solche Deformation stattfindet, sind bevorzugte Kulminationszentren von Information, Optionen der Überschneidung, Übereinstimmung, fluide Knotenpunkte eines hypermedialen Netzes. Womit wir es also zu tun haben, sind wechselbezügliche Variablenfelder, die in dynamischen Links verknüpft sind, komplexe Syteme, die durch partizipatorische Kontrolle der Zusammenhänge, des Verhaltens gekennzeichnet sind. Ein neuer Medientyp.

Module V

Nun reist die digitale Botschaft zwar nicht mehr auf Eisenbahn-schienen oder in Flugzeugen, sondern in Kupferdrähten, Lichtleitern oder auf hochfrequenten elektromagnetischen Wellen. Die damit ins Spiel gebrachte Diktion von der globalen oder orbitalen Simultaneität stimmt aber auch nur in bezug auf diese mechanischen Vehikel. Eine sich mit Lichtgeschwindigkeit ausbreitende elektromagnetische Welle braucht von der Erde zu einem Satelliten und wieder zurück gut 250ms. 11 (Verzögerungen an den Interfaces und Transpondern nicht eingerechnet.) Bei einer Metronomzahl von 120 entspricht das bereits einer Achtelnote. Ein durchschnittlich schneller Rechner erledigt in dieser Zeit an die 10 Mio. Instruktionen. Die daraus erwachsenden Phasenverschiebungen, Interferenzen, sind jene Abweichung zwischen Soll- und Istwert, an denen das kybernetische System zu oszillieren beginnt. 12 An ihnen wird die Trennung der lokalen Koinzidenz von Ursache und Wirkung zum wesentlichen Gestaltungsparameter, der durch die hermetische Oberflächen-spannung des Mediums eindringen kann.

Der Renaissancebegriff von persönlicher Identität basierte auf der körperlichen Erlebnisform von Raum und Zeit, bezog sich auf das, was innerhalb der eigenen Haut ist. Bei Telekommunikation ändert sich die Skalierung, man ist immer so groß wie das Medium, durch das man telepräsent (vertreten) ist. Ein nichtlineares, probabilistisches Beziehungsfeld, wie es etwa durch den elektronischen, telematischen Raum des Internet gebildet wird, bezieht hingegen seine Identität aus den Interaktionsprozessen der einzelnen Elemente. Die Größe, das Volumen eines solchen Raumes hängt nicht von der geographischen Ausdehnung der aufgebauten Telnet-Verbindungen ab, nicht davon, ob man mit seinem Antipoden oder seinem Nachbarn verbunden ist. Ausschlaggebend ist die Zahl der sich im on-line Zustand befindlichen User. Vertikale Hierarchiestrukturen lösen sich auf in horizontale vernetzte Parallelrealitäten. Der maßgebliche Größen-Parameter des elektronischen Raumes ist die Ausbreitungsgeschwindigkeit der elektromagnetischen Wellen. Die perspektivische Geometrie der Renaissance wird abgelöst durch die Metrik der Zeit.
Metrik [zu griech. metrikè téchne "Kunst des Messens"] - in der Mathematik diejenige Struktureigenschaft eines Raumes, durch die in ihm die Entfernung (der Abstand) zweier Punkte definiert ist.

Fußnoten

1. Aus "museum" Deutsches Postmuseum Frankfurt am Main, Georg-Westermann-Verlag GmbH, Braunschweig 1990. S.62
2. Ebd. S.63
3. Zitat: Bruce Sterling in "The Hacker Crackdown", p.12, Bantam Books, 1992.
4. Semaphore [zu griech. sema "Zeichen" und phorós "tragend"], Signaleinrichtung, bei der die Signale durch die unterschiedliche Stellung bewegliche "Arme" übermittelt werden.
5. Franz Freiherr von Tunkl, "Schiffahrt und Seewesen. Darstellung der gesamten praktischen und sportlichen maritimen Einrichtungen und Verhältnisse der Gegenwart." - Wien und Leipzig 1913, S.114
6. Die mathemat. Informationstheorie wurde im wesentlichen von N. Wiener und C.E. Shannon begründet.
7. Rauschen, Bez. für alle statist. Störungen der Signale in informationsverarbeitenden elektron. Anlagen, die durch die jeweiligen Bauelemente bzw. Übertra-gungsgeräte hervorgerufen werden. Das R. begrenzt die Größe übertragbarer Signale nach unten: Zu kleine Signale gehen in den statist. Schwankungen unter. Das sog. therm. R. in elektrischen Leitern entsteht infolge der unregelmäßigen therm. Bewegung der Elektronen im Leitermaterial, die gelegentlich für viele Elektronen eine gemeinsame Richtung hat. Dadurch entsteht eine sich schnell und in statist. Weise ändernde kleine Wechselspannung in Form kurzdauernder Spannungsspitzen.
8. Skytech. Fachzeitschrift für Video, Film & Broadcast, Wien, 03/89 S. 44 ff
9. Kompatibilität: allg. svw. Vereinbarkeit, Verträglichkeit ...in der Nachrichtentechnik die Vereinbarkeit bzw. Austauschbarkeit techn. Systeme, die den Übergang von einem System zum anderen gestattet, z.B. die Möglichkeit, Farbfernsehsendungen auch mit Schwarzweißgeräten zu empfangen.
10. 25 Bilder pro Sekunde entsprechen der europ. PAL-Fernsehnorm., bei NTSC (30 Bilder pro Sekunde) ergibt das in 24 Std. 2.592.000 Bilder
11. Die geostationäre Bahn von Nachrichtensatelliten befindet sich in einer Höhe von 36.000 km. Mit Lichtgeschwindigkeit (299.792,5 km/sec.) ergibt das für Hin- und Rückweg 243 ms.
12. Kybernetik [zu griech. kybernetike (tèchne) "Steuermann(skunst)"], von Norbert Wiener 1948 begründete und benannte Wissenschaft von dynamischen Systemen.
D.h. theoretische oder wirkliche Ganzheiten, deren einzelne Bestandteile (Elemente) in einer funktionalen Beziehung zueinander und zum Ganzen stehen und auf Einwirkungen von außerhalb des Systems reagieren können, und die über mindestens einen (rückgekoppelten) Regelkreis verfügen. Kybernetische Systeme sind dadurch gekennzeichnet, daß sie dazu tendieren, einen Gleichgewichtszustand (Stabilität) innerhalb des Systems aufrechtzuerhalten. Kybernetische Systeme müssen in der Lage sein, Veränderungen außerhalb des Systems zu registrieren, als Information an bestimmte Elemente des Systems weiterzugeben und Regelungsmechanismen in Gang zu setzen, die den Soll-Zustand, d.h. das ursprüngliche Gleichgewicht herstellen und damit Einflüsse von außerhalb des Systems kompensieren. Dieser selbstregulative Prozeß erfolgt über eine ständige Beeinflussung des Ist-Zustands durch die Information über die Größe seiner Abweichung vom Soll-Zustand.


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