CONCHA JEREZ / JOSÉ IGES
ZEITGLEICH INTERFERENCEN


Zeitgleich installation : FOOD FOR THE MOON


Concha Jerez - Im digitalen Zeitalter grenzt jeder Versuch, in den elektronischen Medien künstlerisch tätig zu werden, an einen Akt der Interferenz. Ohne auf dem berühmten Satz von Susan Sontag zu bestehen, die sagt: "Die Unterhaltungskultur ist die grausamste Form der Lobotomie für das Denken unserer Zivilisation", sollten wir doch die Tatsache nicht übersehen, daß neben der "Unterhaltung" der Großteil der finanziellen und technologischen Ressourcen von Radio- und Fernseh-stationen dem Nachrichtenjournalismus zufließt, wobei der politischen Propaganda besondere Bedeutung eingeräumt wird. Propaganda, Unterhaltung und Nachrichten sind demnach die wahren Fundamente, aus denen Radio und Fern-sehen ihre Existenzberechtigung und Unterstützung beziehen.

José Iges - KünstlerInnen, die in diesem Umfeld [im Radio und Fernsehen] tätig werden wollen, sind aus unserer Sicht klare "Außenseiter". Die Ergebnisse ihrer Arbeit, aus dem gleichen Stoff gemacht wie die oben erwähnten Produkte, Propaganda, Unterhaltung und Nachrichten, überschreiten und erweitern damit unweigerlich die Kommunikationsmöglichkeiten dieser Produkte. Das bewußte künstlerische Agieren in den Medien ist deshalb das wahrscheinlich wirksamste Mittel zur Ver-änderung der kulturellen Bezüge unserer Gesellschaft - indem man ganz einfach innerhalb des legitimisierenden Zentrums dieser Bezüge handelt.

C.J. - Andererseits sind die "Medien" als solche, eingebunden in eine audiovisuelle Installation, ebenso Raum wie Objekt, voller Ideen, wie man aus der Gegenwart heraus mit den verschiedensten Zeiten und Orten in Dialog treten kann. [Solche Installationen] bedeuten unablässige gegenseitige Interferenz, sie stellen einen Prozeß der Verschmelzung und Erweiterung von Bedeutungsinhalten und reziproken Möglichkeiten dar.

J.I. - Wir setzen uns seit 1989 mit diesen Möglichkeiten auseinander und haben verschiedene Arbeiten für das Medium Radio und für konkrete physische Räume realisiert. Ähnlich den Zweigen zweier verschiedener Bäume ergeben sich daraus zwei Hauptrichtungen unserer Arbeit: die erste beginnt mit "Argot", die zweite mit "Force In".

C.J. - In beiden dieser Richtungen, die wir seit Jahren verfolgen, entsteht die Interferenz vor allem aus einer Überhöhung des "Medien"-Konzepts, die es uns ermöglicht, ein historisches Medium wie das Radio mit dem medialen Charakter der "intervenierten" Räume und deren besonderen Werten auszustatten. Der Schlüssel liegt dabei in der erzählerischen Übung, die ins Spiel gebracht wird und sich an Klänge und visuelle Objekte anlehnt, die zum Repertoire unserer "Alltäglichkeit" gehören. Gemäß ihrer Funktionalität werden sie [Klänge und Objekte] zu Installationen verknüpft, um diesem Dialog am Scheideweg Form zu verleihen - im reinsten INTERMEDIA- Territorium.

J.I. - "Argot", für das Symposium "Die Geometrie des Schweigens" realisiert (Museum Moderner Kunst, Wien, November 1991), war als ortsspezifische Arbeit konzipiert und gleichzeitig als "Interferenz" und Übergriff auf zwei mächtige Medien: das Kunstmuseum und das Radio.
Um das räumlich-erzählerische Element in "Argot" erfahrbar zu machen, wurde ein viersprachiger Text von 26 auf Noten-ständern plazierten Lautsprechern übertragen; Spiegel und deutschsprachige Textfragmente im Festsaal des Museums vervollständigten das Arrangement. Das Publikum wanderte durch diese Klanglandschaft, wobei sich der Text im Einklang mit der Zeit und dem Maß seiner Transformation stetig veränderte und auflöste. Der Text bezog sich auf sich selbst. Er handelte von einem Diskurs über das Kunstwerk und bot zudem eine Bewertung der ihm zugrundeliegenden Idee und des ausführenden Künstlers.
Zusätzlich fand ein weiterer räumlicher Transformationspro-zeß statt, nämlich die Messung des Raumes. Dazu wurden die 7 Vokale und 21 Konsonanten, Grundlage und Essenz der Sprache, gruppenweise nach ihrer phonetischen Symbolik buchstabiert und von 30 kleinen Kassettenrecordern wiedergegeben, die sich ebenfalls auf Notenständern, ergänzt durch Spiegel mit deutschsprachigen Textfragmenten, befanden. Das Klangbild dieses "sui generis sonar" wurde von fünf Paar Mikrophonen eingefangen und gemäß einer exakten Partitur in das Werk eingegliedert. Das Ergebnis war die vom ORF in "Kunstradio-Radiokunst" ausgestrahlte Arbeit.
Aus diesem Klangmaterial entstand "Argot 2, Inter Media Labyrinth", das für die Ausstellung FLUXUS-VIRUS (Köln, 1992) die Form einer audiovisuellen Klangskulptur annahm. Für dieses Stück wurde mit phosphoreszierendem roten Klebe-band ein Labyrinth auf dem Fußboden skizziert: das "Gänsespiel", eine symbolhafte Transponierung der Straße nach Santiago und eines der ältesten bekannten Labyrinthe. Jedes der insgesamt 28 Module wurde von einem Notenständer mit zwei darüber montierten Spiegeln, die Textfragmente auf Deutsch zeigten, und einem Walkman-Kassettenrecorder mit Selbstrücklauf und Kopfhörern in das Stück integriert. Die 28 Walkman-Recorder enthielten 28 verschiedene Versionen des Ausgangsmaterials, aus denen sich schließlich der endgültige Radiomix in seiner Wiener Fassung ergab. Die Zuseher/Zuhörer/SpaziergängerInnen, die zum Betreten des Labyrinths aufgefordert wurden, wurden natürlich in den Spiegeln reflektiert und so als lebende Bestandteile in das Stück eingebunden.

C.J. - Der zweite Hauptzweig, oder auch ein ganz anderer, differenzierterer Stamm unserer Arbeit seit 1989, beginnt mit "Force In" und leitet über zu "Broken Utopias".
Die alte Wendeltreppe in Schloß Prestenbeck in Stein am Kocher (Deutschland) bildete das Rückgrat dieses Interven-tionsprojekts. Das Schloß figurierte dabei als Zeitzeuge der Geschichte von seiner Gründung im Jahr 1582 bis zur Gegenwart, dem Sommer 1992.
Über ein Tonband mit methodisch geordneten Klängen wurde in Wechselbeziehung mit den ZuhörerInnen, die die Treppe hinauf- und hinuntergingen, alle acht Sekunden eine Aufzäh-lung von Jahreszahlen aus diesen vier Jahrhunderten präsentiert, eine Art vertikales Panoramabild. Überlagert wurden diese Klänge von zwei anderen Klangbildern, einer komplexen Montage aus verschiedenen Texten und menschlichem Stimmengemurmel und einer Auflistung von Berühmtheiten aus der Welt der Kunst, Wissenschaft und Philosophie in den vier Jahrhunderten des Bezugszeitraums. Auf jeder Treppenstufe lag links ein aufgeschlagenes Künstlerbuch - insgesamt 45 verschiedene Bücher entsprechend den Klanginhalten, wäh-rend rechts ein Schlüsseljahr im jeweiligen Abschnitt der Menschheitsgeschichte in Gold angegeben war.
"Broken Utopias" (1993) ist die Weiterführung der Interven-tionsarbeit von 1992. Als Gedächtnisspur, den bis in die Gegenwart reichenden kritischen Diskurs überlagernd, zeigten die Treppenstufen in "Broken Utopias" die gleichen goldenen Ziffern wie im Jahr zuvor. Auf der linken Seite lagen wiederum die Bücher, diesmal geschlossen und mit altem, zerbrochenen Spielzeug bedeckt, als Überleitung auf die angrenzende Skulptur aus zwei Alu-Trittleitern - eine ironische postmoderne Zikkurat -, auf denen alle möglichen Arten von Spielzeug "Made in Taiwan", besonders Puppen und Kofferradios, grob befestigt waren. Den Klängen, die diese Gegenstände erzeugten, wurden mit unauffälligen technischen Mitteln geordnete Klänge vom Band hinzugefügt - u.a. diverse Statements zum Thema Utopie und Live-Klänge von Kurzwellenradiosendern aus der ganzen Welt. Im Hauptteil der Wendeltreppe und um die Skulptur herum waren Kabel mit beweglichen farbigen Lampen montiert, die dem Ganzen kompositorische Einheit verliehen.

J.I. - Unsere Installation für ZEITGLEICH mit dem Titel "Food for the Moon 3/94" verbindet Elemente und Standpunkte aus dem zweiten Hauptzweig unserer Arbeit, der wiederum eng mit unserer Radio-Performance "Bazaar of Broken Utopias", die für das Symposium ON THE AIR realisiert wurde, verbunden ist.
Zusammenfassend können wir die Schwerpunkte unserer Arbeit wie folgt beschreiben:

  • Die Ausdehnung der erzählerischen Komponente auf physische oder immaterielle Räume wie den elektronischen Raum.
  • Die Entwicklung einer "Zwischensprachlichkeit", um die theoretischen Botschaften unserer Arbeit verständlich zu machen.
  • Die Weiterführung unserer Arbeit als Mittel zur Interferenz mit der Welt.
  • Die Entwicklung einer Ästhetik der Ethik.

C.J.- nschließend an die beiden letzten Punkte möchten wir unseren Vortrag mit folgender Aussage beenden:

Viele Werte unserer Welt haben ihre Gültigkeit verloren. Wir leben praktisch schon im 21. Jahrhundert, im Nachhall der Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts, die der Welt die Hoffnung auf absolute Gerechtigkeit brachten und die sich heute in einer obsoleten Politik konkretisieren. In einer Politik, die sich als Realität der Ungerechtigkeit, der privaten ebenso wie der institutionellen, über die Welt ausbreitet, indem sie Worte gebraucht, die Generationen von Revolutionären - aufrechte Menschen - verwendet haben, die aber heute von den politisch Einflußreichen und Verantwortlichen benutzt werden, um auf zynische Weise die Wahrheit zu verschleiern.
Und das isolierte Individuum muß in der Einsamkeit seiner vier Wände ertragen, wie diese Reden voller pharisäerhafter Wirklichkeiten, auf pompöse Weise in den Massen-medien ausgesprochen, Tag für Tag in sein Leben einbrechen und es mit dem bitteren Geschmack der öffentlichen Lüge füllen, die sich unaufhörlich in einem endlosen Strom ergießt.
Die Politiker haben das Wort UTOPIE vergessen; ihr eng-stirniges Denken, das keine Phantasie für Verände-rungen aufbringt, ist einer Gegenwart verhaftet, in der weiterhin die Kriegsherren und Zerstörer dominieren. Sie denken nicht an eine gerechte Zukunft - und die Zukunft kann nur gerecht und anders sein, wenn wir sie uns jetzt vorstellen und sie ändern.

Diese Männer, die über die Medien die Welt beherrschen.
Eine Welt, die nirgendwohin führt als in die Zerstörung.
Eine Welt und Medien, in die KÜNSTLER/INNEN EIN- GREIFEN SOLLTEN.

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