VERSUCHSANORDNUNGEN -(VERSUCH EINER ORDNUNG)

Heimo Ranzenbacher

"Der Text gibt Teile zweier Vorträge wieder, die im November 1997 im Rahmen des Kunstradio-Symposiums "Recycling The Future" und der Reihe "Fluss" an der Hochschule für angewandte Kunst in Wurch diese abzubilden.

Die NeueKunst geht meines Erachtens aus der Medienkunst ( die auch die sogenannte Interaktive Kunst einschließt ( hervor und grenzt sich auf eine bestimmte Art und Weise von ihr ab.

Es gibt ( um's grob zu sagen ( Kunstmedien, durch die sich auch die Formen des Mainstream der Moderne darstellen. Diese Formen sind traditionell (oder, besser: konventionell) im Sinne der Verlängerung von Traditionslinien der Darstellung und Distribution. (Der Begriff Konvention ist dem der Tradition insofern vorzuziehen, als er über die Herkunft von Kunst hinausgehend ein durch gesellschaftliche übereinkunft verfügtes Verfahren mit Kunst konnotiert.)

Es gibt Medienkunst und es gibt die NeueKunst.

Ich gehe davon aus, daß konventionelle Kunst disziplinär an das ihr jeweils eigene Medium im Sinne von Material gebunden ist: an Farbe und Bildträger, bestimmte Werkstoffe, an Klang und so weiter. Die Ikonografie betreffend den inhaltlichen und formalen Bedeutungswandel oder begriffliche Verschiebungen infolge des erweiterten Umganges mit Werkstoffen (beispielsweise von der Skulptur zur Plastik zum Objekt) ist dabei nicht von Belang.

Das Her- und Hingestellte existiert als Material der Kunst unter der traditionellen Bedingung der Kunst, nämlich daß es sich wie ein Objekt einem Subjekt entgegensetzt. Die Herstellung eines Kunstwerks wird ja gewöhnlich nicht als werkspezifische Eigenschaft interpretiert. Erst das fertige Objekt, die Botschaft, die schließlich auch den Autor, den Sender, verkörpert, tritt in ein Verhältnis zum Betrachter, sprich Empfänger. Und dieses Verhältnis ist gekennzeichnet durch ein lineares/unidirektionales Kommunikationsmodell und ihre Bindung an den materiell stabilen Bildraum bzw. den euklidischen (Primär-) Raum.

Und wenn ich im folgenden die Begriffe Materialität, Werk und Objekt verwende, dann immer auch im Hinblick auf einen gemeinsamen Nenner, nämlich daß sie Träger der Bedeutung der etymologischen Herkunft des Wortes Objekt vom lateinischen obicere ("sich entgegenstellen") sind. Mit Objekt meine ich grundsätzlich nicht künstlerisch gestaltete Hardware, sondern deren Verhältnis zum Subjekt.

Action Painting, Performance, freie Improvisationen in der Musik und dergleichen sind Abweichungen von diesem Werkbegriff; zwar ereignisbestimmt, jedoch einerseits durch die Festlegung eines Ereignisrahmens, andererseits durch die Absicht, ein Bild, einen theatralischen Bogen, ein musikalisches Gefüge zu erzeugen, dem Werk verpflichtet. Es ist nicht nur die Achse, um die sich alles dreht, sondern nach allen Drehungen auch der Endzustand mit den selben vorhin erwähnten räumlichen Bindungen.

Ausnahmen bis zu einem gewissen Grad bilden die Ereignis-Collagen des Happening, ebenso die aleatorischen Kompositionen eines John Cage oder von Dislozierung und temporären Verschiebungen bestimmte Projekte eines Stockhausen.

Kunstmedien sind Ölfarben, Wasserfarben, Video, Computer, Fotoapparate, Stein, Stahl, Faxe, Telefone, Holz. Konventionelle Kunst ist bekundet durch den bloßen Gebrauch dieser Produkte zur Erzeugung eines Anderen (sprich Kunst), das den Begriff des so Erzeugten bestätigt. (So dürfte keinen potentiellen Fremd-Finanzier der Produktion eines Films mittels Video, eines Gemäldes mit Ölfarben, eines Aquarells, einer Animation vermittels einer Silicon Graphics-Maschine die Frage nach der Bedeutung dieser Kunstprodukte beschäftigen, sondern nur die Frage nach der Höhe der Kosten.) Das Andere bezieht sich in diesem Zusammenhang auf die Diskontinuität der Medien und des durch sie Dargestellten: Konventionelle Kunst zeichnet sich also dadurch aus, daß sie Medien zum Einsatz bringt, die keine seinskonstituierende Bedeutung für die Aussage (Werkstücke) haben und lediglich Mittel der Produktion bzw. Distribution der im eigentlichen Sinn engagierten Medien ( des Bildes, der Musik ( sind. Die Ölfarbe hat mit dem Bild der grünen Wiese nichts gemein, die Büste eines Prominenten nichts mit dem Marmor ...

Ebenso werden Computer im Sinne von Ölfarben eingesetzt, um (global gesprochen) Bilder zu konstruieren. Der Einsatz eines einschlägigen Gerätes hat nichts mit Medienkunst zu tun. Obwohl ein Ansuchen um Förderung eines derartigen Kunstprojektes durch das Bundesministerium, Sektion Kunst, höchstwahrscheinlich bei der diesbezüglichen Abteilung 5/D/12 landen würde ( und in den Alltagszeitungen von Medienkunst die Rede wäre. Polemisch gesagt, ist das GebrauchsKunst.

Der Unterschied zur Medienkunst ist deren systemischer Ansatz, daß sie aus der ihren Medien eigenen Logik heraus sich konstruiert. Beispielsweise ist die Logik von Fernsehen nicht das Bild als Informations-Oberfläche, sondern die üBERTRAGUNG von Bildern.

Es ist natürlich auch möglich, Ölfarben systemisch zu begreifen und zu inszenieren, ihren Preis, die Künstlerbedarfsgeschäfte in einen Zusammenhang zu bringen. Wenn’s konveniert, kann auch solcherart Medienkunst betrieben werden.

Medienkunst hat nicht das Bild, sondern dessen Konstruktion (auch Dekonstruktion) aus der Logik des medialen Systems heraus zum Gegenstand. Während konventionelle (sprich Kunstmedien-) Kunst eine bestimmte Vorstellung von Kunst zur Voraussetzung hat und diesen Kunstbegriff exekutiert, stellt Medienkunst Vorstellungen in Frage bzw. sucht sie neu zu definieren. So hätte schon die systemische Inszenierung des Universums der Ölfarbe wohl kaum ein Gemälde zur Folge.

Konventionelle Kunst stimuliert die Wahrnehmung durch die Ergebnisoberfläche; ihre Aussage ist kontemplativ. Medienkunst stimuliert Wahrnehmung gemäß der Gerätelogik bzw. der Logik der Kunstmedien; ihre Aussage ist kritisch.

Die NeueKunst funktionalisiert die gemäß der Gerätelogik und eines Kommunikationsverbundes stimulierte Wahrnehmung. Funktionalisierte Wahrnehmung möge dahingehend verstanden werden, daß die unterschiedlichen Ausprägungen der Rezeption von Kunst (sinnliche wie diskursive) in den künstlerischen Ereigniszusammenhang zurückgeführt bzw. eingebunden werden. Der Effekt ist ein Prozessieren dieses Ereigniszusammenhanges selbst.

Die Art der Einbindung ist ebenso Teil der Gestalt wie deren konstitutiver Aspekt. Perzeption, Rezeption und Reaktion sind integrierende Elemente dieser Kunst. Sie setzt dem linearen oder unidirektionalen Kommunikationsmodell ein multidirektionales entgegen.

Das Forum dieser NeuenKunst ist nicht der (euklidische) Primärraum, sondern in der Regel der elektronische virtuelle Raum, in dem die Zeichen schweben und Interaktivität das Verhältnis von Betrachter zum Geschehen in das eines Teilnehmers wandelt. Medienkunst ist auf der funktionalen Ebene unabhängig vom telematischen Kommunikationsverbund und dessen bislang bedeutendsten Ausprägung, dem Internet. Dieser funktionalen Unabhängigkeit vom globalen Nervengerüst unserer Kultur mit seinen phänomenologischen Repräsentanten wie Kollaborativität, Konnektivität, Immaterialität, Interaktivität, Reversibilität entspricht eine weitgehende inhaltliche Unabhängigkeit vom solcherart skizzierten Bedeutungskanon der Phänomene.

Was nicht heißt, daß das Netz nicht auch nur medienkunstspezifisch verwendet werden könnte.

Das Netz zeichnet sich durch eine ( infolge seiner multidirektionalen Anlage mögliche ( Dynamik aus, die nicht nur im Dienst userspezifischer Bedürfnisse steht, sondern auch von Programmen in den Dienst genommen werden kann, die speziell auf sie zugeschnitten sind. Die NeueKunst legt den Vorgang der Anwendung dynamisch an; die Anwendung der dynamischen Struktur des Netzes oder des WWW als Benutzeroberfläche wäre nicht entsprechend. Wenn ich oder mehrere an einer Stelle etwas tue/n, und an einer anderen Stelle ereignet sich etwas, wird das Netz lediglich im Sinne eines Kanals und statisch gebraucht. In der NeuenKunst wirkt der Gebrauch des Systems auf das System, das sie nutzt bzw. durch Programme erweitert, zurück. Die telematische Infrastruktur ist nicht nur Hilfs- und Distributionsmittel, sondern Ereignisraum, an den z.B. audiovisuelle Verstärker ( Monitore, Lichtanlagen, Soundapparaturen ( angeschlossen werden können. Also Wahrnehmungsprothesen, um diesen Raum, die Ereignisse in ihm und durch ihn zu erfahren, Prothesen des Ereignisraumes selbst ( im Unterschied zu den Prothesen der User des Raumes. Die einen werden an den Raum angeschlossen und funktionieren ereignisgemäß, an die anderen schließt sich der User an.

Hier endet gewissermaßen der Entmaterialisierungsprozeß des Kunstobjektes, mit dem die Privilegien des Autors als Kodierer von Aussagen (Werkstücken) einhergegangen waren. Das Prozessieren wird zum eigentlichen Kunstwerk ( zur Kunst ( und findet ( mit Eduardo Kac gesprochen, der dies im Hinblick auf Duchamp und Joseph Kosuth bemerkt hat ( : jenseits von ",Aktion als Form’ , jenseits von ,Idee als Kunst’ statt".

"Jenseits" benennt mithin den ureigenen Kontext dieses Unterfangens, der eben nicht mehr die Kunst im Sinne eines Segments unser Kultur ist, sondern die Prägungen der Kultur im Zuge der elektronischen/informationellen Revolution.

Die NeueKunst gründet in der Anerkennung eines Phänomens, welches besagt, daß im Zuge der Assimilierung der Kultur von Technologie, diese (also die Technologie) ihre informatische "Natur" als eine kulturelle etabliert.

Konventionelle und Medienkunst haben einen gemeinsamen Nenner: sie sind werkhaft. Das gilt auch für die sogenannte Interaktive Kunst.

Die NeueKunst betreibt eine Radikalisierung des systemischen Ansatzes der Medienkunst bis zur Auflösung des unter dem Begriff Werk Subsumierbaren.

Diese Auflösung des ( in erster Linie durch Materialität bezeichneten ( Werkbegriffs ist, denke ich, das bestimmendste Merkmal der NeuenKunst ( wobei als Eigenschaft des Werkhaften auch die Bindung der Kunst an die Steuermechanismen der Gesellschaft (aus denen diese letztendlich ihr Selbstverständnis bezieht) nominiert wird.

Mit dem Begriff Werk verbindet sich somit zweierlei: Materialität und gesellschaftliche Formatierung.

Materialität bezeichnet primärräumliche Abhängigkeit und das von Lyotard zitierte Objekt/Subjekt-Verhältnis, wobei mit Objekt das reale wie ideale angesprochen wird: das, was dem Subjekt als Teil der Außenwelt gegenübersteht, und das, was innerhalb des Denkens dem Denkgeschehen als Gegenstand gegenübersteht. In der werkorientierten Kunst gerinnt diese Eigenschaft des "sich Entgegenstellens" zur Form, die ( meines Erachtens ( durch Wiederholbarkeit gekennzeichnet ist. Eine Eigenschaft, die eine Zeitdauer und ein geschlossenes (d.h. zur Nachbildung geeignetes) System impliziert. Nur ein geschlossenes System vermag sich uns entgegenzustellen.

Zur Phänomenologie des Werkes zählt weiters, daß es sich monetär beschreiben (und rechtfertigen) läßt. Es zeichnet sich zuletzt dadurch aus, daß es durch die Inanspruchnahme einer auf es abgestimmten, verwalteten, monetär beschreibbaren Infrastruktur diese speziell legitimiert. Nämlich die gesamte Repräsentanz des Betriebssystems Kunst, von den Galerien, Konzertsälen über die beamteten und "freien" Vermittler bis zu den Akademien und der Kunstgeschichte als wissenschaftliche Disziplin.

Konventionelle Kunst, im Sinne diverser werkerzeugender Disziplinen gedacht, versteht sich implizit auch als Bestätigung der Sphäre ihres traditionellen Erscheinens, als Bestätigung deren Distributions-, Verwaltungs- und Verwertungszusammenhanges, dem sie, die Kunst, unterliegt. Selbst die Kritik, die traditionelle Kunst an den Orten ihres Erscheinens übt ó beispielsweise an der Institution Galerie ó bedeutet implizit eine Bestätigung des Erscheinungsortes "Galerie", denn die galeristische Sphäre ist nicht ident mit der Galerie, für die die ästhetische Gestalt angelegt wurde. Das Werk ist dann Ausdruck der Akzeptanz der Bedingungen des Erscheinens, wenn diese Bedingungen sich jede Erscheinungs-Form, auch der Kritik an ihr, unterwirft. Der Werkbegriff steht für die Form der Unterwerfung, die nur im Werk vollzogen werden kann.

Das gilt auch für Medienkunst in unserem Definitionszusammenhang, dh. unter der Bedingung, daß sie sich werkhaft konstituiert.

Darin beschreiben sich zugleich die Räume der konventionellen Kunst als Sphäre der Hegemonie über Kunst: Die der Kunstgeschichte und -verwaltung eigene Methode der Kunsterfassung beispielsweise generiert (durch Konzentration auf den Gegenstand der Kunst und nicht ihre Struktur, ihre strukturelle Organisation) Kunstgegenstände, die der Methode adäquat sind.

"Der Künstler" positionierte sich bislang in der Regel innerhalb dieser (strukturellen) Hegemonie.

Anerkennung erfuhr er letzten Endes durch die institutionalisierten Ausbildungsstätten, den Kunsthandel und die Kunstkritik ( ein nicht nur relativ unzureichendes Instrumentarium der Förderung, sondern zugleich auch ein Instrumentarium der (begrifflichen) Vereinnahmung.

Der sogenannte bürgerliche Kunstbegriff rekurriert im Grunde ja nur auf die Anerkennung der Instrumente der Erfassung. Dafür ist Materialität Voraussetzung. Das ist seine formale Beschreibung. Stilistische, thematische und medienspezifische Innovationen, gegen die sich der bürgerliche Kunstbegriff oberflächlich stemmt, tangieren sein formales Konzept in keiner Weise. Dieser spezielle Rekurs liefert uns zugleich die Beschreibung der Quintessenz dessen, was mit gesellschaftlicher Formatierung gemeint ist: Zugriff. Formatieren heißt ja, ein in einem Programm Erstelltes für ein anderes Programm lesbar und, wichtiger noch, in diesem bearbeitbar zu machen.

Der territoriale Aspekt gesellschaftlicher Formatierung drückt sich beispielsweise in den aktuellen Bau-Projekten und projektierten Betriebs-Formen von Kunst(Präsentations-)häusern aus. Diese werden ebenfalls in vorgeblicher Anerkennung des Neuen diskutiert, doch stehen sie meistens im Widerspruch zum offenen Organisations- und Distributionssystem der Neuen Kunst.

Dieser gesellschaftliche, durch monetäre/strukturelle/territoriale Formatierung bekundete Versuch, das Projekt Kunst in den Griff zu bekommen, (dadurch, daß ( aus welchen Gründen auch immer, und sei es nur Unverständnis, ( so getan wird, als sei alles beim alten geblieben) gerät mithin zum Versuch, es zu verWERKlichen.

Die NeueKunst widersetzt sich solchen Formatierungsversuchen; der Widerstand ist jedoch kein von Künstlern organisierter, sondern in der Phänomenologie der Neuen Kunst selbst begründet.

Analog zum Funktionalismus in der für die KI-Forschung bedeutsamen Frage der Geist-Hirn-Welt-Beziehung, der nicht mehr die Frage nach der Beschaffenheit von Geist, Gehirn und Atom stellt, sondern wie sie bezüglich ihrer Funktion organisiert sind, geht es bei einer Kunst, die sich aus partikularer Erfahrung heraus und ohne souveränen Autor organisiert, ebenfalls um die funktionelle Organisation, die Ereignisse (Prozesse) hervorruft ( nicht mehr um die innere und formale Organisation von Werken / Projekten. Sie erscheint wie Nässe, die zwar eine reale Eigenschaft von Wasser ist, die wir jedoch niemals einem einzelnen Wassermolekül zusprechen würden, und die als Phänomen erst dann auftritt, wenn sich genug Moleküle zusammenfinden oder ein ausreichender Grad von Komplexität im System "Wasser" erreicht wird.

Bei diesem Bild bleibend, ist konventionelle Kunst quasi als molekular orientiert (nämlich an der symbolischen/ikonografischen Repräsentanz von spezifischen Zuständen) zu beschreiben; die NeueKunst hingegen tritt als Erscheinung der Komplexität im System selbst zutage.

Auflösung der Disziplinen; Verlust der Autorität des Autors über seine Kreation bis hin zur Eliminierung des Autors; die infolge neuer Organisationsformen geänderten Paradigmen der Rezeption; Funktionalisierung der Wahrnehmung; die in offenen Systemen begründete Unwiederholbarkeit ihrer prozessualen Organisation und Reversibilität der Aussagen ( die werkorientierte Betrachtung und Behandlung ist dieser Komplexität nicht adäquat.

Hinzu kommt, daß es dieser Komplexität gegenwärtig noch an der gesellschaftliche Entsprechung mangelt. So sollte bei aller Liebe zur Theorie und künstlerischen Praxis die gesellschaftliche Praxis nicht aus den Augen verloren und das Projekt der Neuen Kunst auch als soziales Projekt betrieben werden. Das Berufsbild (eine gesellschaftlich mehr oder weniger sanktionierte Vorstellung) des Künstlers löst sich ja, wie gesagt, mit der Auflösung des Autoren- und Werkbegriffs ebenfalls auf. Und wenn Künstler gezwungen sind (weil kein Betriebssystem sie stützt), ihre Arbeit in der Freizeit auszuüben und nicht als Beruf, spielt das jenen in die Hände, denen am Verschwinden der Kunst ohne Alternative gelegen ist.

Als Absicht des Vortrags habe ich eingangs den Versuch genannt, ein Begriffsbild dieses Projektes NeueKunst zu skizzieren, das ein einigermaßen präzises Denken darüber ermöglicht. Ich habe weiters diese Kunst in Abhängigkeit zu Erscheinungsbildern des kulturellen Wandels gestellt. Stichwort paradigmatische Relevanz und die Untauglichkeit, Kriterien des Herkömmlichen auf das Neue anzuwenden.

Die Frage bleibt, welche Konsequenzen hat das Neue etwa für den sogenannten Diskurs (durch den auch Arbeitsbedingungen nominiert werden); welche Konsequenzen hat es für die Beobachtung in bezug auf jene Medien, durch welche sich Beobachtung vermittelt: kurz die Instanzen und Institutionen der "Kritik" (= mediatisierte Beobachtung)?

Die Probleme sind durchaus vergleichbar: Ebenso wie sich uns "Kunstwerke" im Neuen nicht mehr "ex cathedra" entgegensetzen, so spricht die "Kritik" nur mehr aus technischen (sprich medienimmanenten) Formatierungszwängen heraus oder in Verkennung der Verhältnisse ihre Urteile über Projekte der NeuenKunst "ex cathedra". Die Inanspruchnahme abschließenden (vereinnahmenden) Wissens über Hervorbringungen im Kunstzusammenhang ist dem Gegenstand unangemessen und würde lediglich zu mehr oder weniger inadäquaten Aussagen führen.

Der Abschied vom Alten, den alten Kriterien, bietet die Chance, abseits formatierten und formatierenden Handelns und Denkens eine andere Form des Kunst-Diskurses zu etablieren oder zu erproben, die weniger ideologisch geprägt ist ( und, was vielleicht noch wichtiger ist ( die "Produktion" einschließt.

Ich will daher ( und in der gebotener Kürze kann das natürlich nur sehr rudimentär geschehen -: den Vorschlag deponieren, es mit dem Prinzip der Wissenschaft, ihre Theorien zu verhandeln, zu probieren. Im Bereich der NeuenKunst wären mit Theorien vor allem jene Recherchen angesprochen, wie sie im Rahmen geisteswissenschaftlicher Disziplinen ( Soziologie, Gesellschafts- und Kommunikationstheorie, "cognitive science" oder der Kulturphilosophie ( erfolgen und die Vorstellung vom kulturellen Wandel/Paradigmenwechsel prägen.

Der Entwurf einer wissenschaftlichen Theorie ist einerseits dadurch gekennzeichnet, daß sie in sich schlüssig sein soll, anderseits dadurch, daß sie uns mit Voraussagen konfrontiert.

Wenn Physiker das Wort "voraussagen" benutzen, dann nicht im Sinne einer Weissagung. Die Frage: "Sagt diese Theorie die Lichtgeschwindigkeit voraus?" gilt nicht der Eignung der Theorie, die Höhe der Geschwindigkeit des Lichts am morgigen Tag zu erklären, sondern der theoretischen Bestimmbarkeit der Geschwindigkeit des Lichts, ohne sie zu messen. Frei nach Stephen Hawking liefert eine (gute) Theorie einerseits die Beschreibung einer Klasse von Beobachtungen auf der Grundlage eines Modells und ermöglicht bestimmte Voraussagen über die Ergebnisse künftiger Beobachtungen. (Andererseits sollte sie auch Beobachtungen nominieren, welche ihre (der Theorie) Fehlerhaftigkeit voraussagen.)

Die Anschauungsweise von Kunst gemäß der Anschauung des Vermögens einer wissenschaftlichen Theorie wäre eine überlegung wert.

Nicht zuletzt gründet der Vorschlag, Verhaltens- und Handlungsweisen der Wissenschaft als Vorbild zu nehmen, in ihrer Kultur und ihrem Ethos: sie ist, und das aus sehr gutem Grund, kollektiv, kollaborativ und kommunikativ ( und bietet damit auch eine Entsprechung der NeueKunst bestimmenden Eigenschaften. Theorien werden von verschiedenen Seiten einer überprüfung unterzogen und durch Experiment+Beobachtung zu verifizieren bzw. falsifizieren versucht. Experiment / Beobachtung / Erfahrung sind auch die Eigenschaften der Kunst, die zu ihrer diskursiven Erörterung und theoretischen Bestimmung führen. Mit der Substitution von Ex-cathedra-Produktionen durch Experimente oder Projekte der Verifikation respektive Falsifikation, und wenn es gelänge, den Erkenntnisgewinn daraus zu popularisieren, wäre ien gehalten wurden.

Der Begriff "Revolution" wird in der Kunst gern überstrapaziert; und doch kommt man nicht umhin, in der Tat revolutionäre Veränderungen auszumachen. Sie finden ihren Ausdruck in der Praxis und im einschlägigen Diskurs der Auflösungstendenzen sowohl des Werk- als auch des Autorenbegriffs und der damit verbundenen Konsequenzen für ästhetische Handlungszusammenhänge.

Nach Thomas Kuhn konstruiert der Wissenschaftler seine Vorstellung von der Wirklichkeit in bezug auf bestimmte "Paradigmen".

Ein Paradigma ist keine eigenständige Theorie, sondern ein Denkschema, um das herum die durch Experiment und Beobachtung erworbenen Daten angeordnet werden. Es ist weder richtig noch falsch, sondern spiegelt lediglich eine Perspektive, einen Wirklichkeitsaspekt wider. Das gilt in einem gewissen Sinn auch für die Kunst.

Von Zeit zu Zeit unterliegt die Geistesgeschichte einem Paradigmenwechsel, der mit den Weltbildern auch ästhetische Theorien erfaßt. Ein solcher Wandel hat bereits eingesetzt. In der Wissenschaft hat er sich in der Abkehr von dem mechanistischen-materialistischen Weltbild vollzogen; in der Kunst, speziell der neuen, der Kunst des elektronischen Raumes und der postulierten Konnektivität, erlangen die Immaterialien maßgebliche Bedeutung.

Beim Begriff 'Immaterial', so sein Schöpfer, Jean Francis Lyotard, handelt es sich um einen etwas gewagten Neologismus. Damit ist lediglich ausgedrückt, daß heute (...) das Material nicht mehr als etwas angesehen werden kann, das sich wie ein Objekt einem Subjekt entgegensetzt. Das Bewußtsein von den Immaterialien gestattet uns, den weltweiten Prozeß der Mediatisierung zu begreifen.

Damit verändern sich auch etwaige disziplinäre Kriterien. Mit den alten ist das Neue nicht zu erfassen; die neuen eignen sich nicht, auf das Alte angewendet zu werden. Sie sind nur im Verhältnis zum jeweiligen Bezugssystem relevant und können daher nicht sinnvoll gegeneinander ins Treffen geführt werden. Kulturelle bzw. paradigmatische Relevanz ( gemessen an Konnektivität, Immaterialität, Interaktivität und Reversibilität ( wird solcherart zu einer, wenn nicht zur zentralen ästhetischen Bestimmungsgröße der neuen Kunst.

Ich will im folgenden versuchen, durch Vergleich und Abgrenzung die meiner Einschätzung nach folgenreichsten Gesichtspunkte des Neuen und so das Begriffsbild dieser Kunst zu skizzieren. Betont sei, daß ich mit meinen Ausführungen selbstverständlich nicht den Anspruch auf die einzig gültige Anschauung erhebe.

Das Prädikat "neu" bezieht sich dabei in erster Linie auf die infolge neuer Organisationsformen geänderten Paradigmen der Rezeption.

Das Denken des Galerismus’ anerkennt sie lediglich als Mode. Interaktive Kunst sei mittlerweile out, habe ich gehört. So richtig aktuell sei im Medienzusammenhang nur das Internet, wobei ( das ist zumindest meine Alltagserfahrung ( von den In- und Out-Diagnostikern kein Unterschied gemacht wird zwischen homepagemäßig im Netz gezeigten Bildern und einer netzspezifischen Anwendung, um beispielsweise den Zugriff auf Bilder dschon viel gewonnen.

Weiters wären Bezugnahmen auf die Ideen (und deren Durchsetzung) anderer möglich und, mehr noch, in Notwendigkeit begründet. Der Hinweis auf die Autorenschaft wäre sowohl ein Gebot der Höflichkeit als auch ein Gebot der Transparenz des Diskurses.

Einerseits wäre eine offenherzigere Haltung sowohl seitens der Künstler als auch der Beobachter möglich. Experimente könnten an ihrem Erkenntnisgewinn gemessen werden; somit auch daran, wie es eventuell besser/effektiver gemacht werden könnte, und die Beurteilung wäre nicht nur vom glücklichen Ausgang abhängig usw. ...

Andererseits hätte das Prinzip etwa eine größere Genauigkeit bei der Bestimmung des theoretischen Hintergrundes zufolge, den wir bei unseren Versuchen, zu Aussagen (ästhetischen wie diskursiven) zu finden, reflektieren. Es sind in unserem Reden immerhin stets unterschiedliche ästhetische Theorien im Spiel, obwohl es nach außen hin den Eindruck erweckt, als würde stets von der ein und derselben Sache gesprochen.

Unnötig zu sagen, daß die Theorienbildung der Kunst in ihrer Bezugnahme auf Soziologie, Gesellschafts- und Kommunikationstheorie, Kulturphilosophie, freilich mehr essayistischer Natur als von mathematischer Präzision ist; desgleichen die Theorienbildung der geisteswissenschaftlichen Disziplinen über Kunst. Ich denke aber doch, daß auch essayistisch geprägte Hypothesen als Theorien mit Voraussagequalitäten zu sehen sind.

Zum Beispiel sagt Donna Haraways Cyborg-Denkmodell ja nicht voraus, daß wir leiblich Hybriden werden, sondern prognostiziert neue Verhältnisse in Sachen Sex (Geschlecht) und Gender (Rolle in der Gesellschaft).

Haraways Cyborg meint nicht das fiktionale Wesen, sondern das unserer Realität nähere, das ein Hybrid aus Mensch und Maschine nur insofern ist, als es die zunehmende Obsoleszenz bestimmter Dichotomien ( Mann/Frau, Natur/Kultur etc. ( aufgrund apparativer Seinsweisen repräsentiert. Ein phänomenologisches Wesen, das allenfalls im Avatar ( d.h. dessen Anlagen ( inkarniert.

Die NeueKunst ermöglicht diesbezügliche Erfahrungen.

Niklas Luhmanns Einsichten über das aus Zerfall und Neuaufbau ihrer Elemente bestehende Organisationsverhalten der Gesellschaft und die Rückführung dieses Prozesses der permanenten Produktion und Reproduktion auf Kommunikation bilden sich ebenfalls in den Experimenten der NeuenKunst ab.

Die NeueKunst hat meines Erachtens auch etwas mit Versuchsanordnungen (im Sinne der methodisch-planmäßigen Herbeiführung meist variabler Umstände zum Zweck wissenschaftler respektive künstlerischer Beobachtung) im Hinblick auf gewisse theoretische Annahmen gemein.

Hinter dem Prinzip des wissenschaftlichen Modells des Diskurses und der Organisation der NeuenKunst stehen Dialog und Toleranz; hinter dem konventionellen Modell stehen im Prinzip Macht und Tollerei.

Ersteres könnte natürlich durch Personen (von der Methode unabhängige Charaktere) verletzt werden; zweiteres müßte dank integerer Charaktere nicht virulent werden.

Heimo Ranzenbacher

Der Begriff "Revolution" wird in der Kunst gern überstrapaziert; und doch kommt man nicht umhin, in der Tat revolutionäre Veränderungen auszumachen. Sie finden ihren Ausdruck in der Praxis und im einschlägigen Diskurs der Auflösungstendenzen sowohl des Werk- als auch des Autorenbegriffs und der damit verbundenen Konsequenzen für ästhetische Handlungszusammenhänge.