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Tak-a-lite. palimpsestation installée


Ein Gespräch mit Clemens Gadenstätter und Toni Kay (t.a.f.k.a.k.) am 17. Jänner 2001 im Wiener Konzerthaus


CG: Clemens Gadenstätter

TK: Toni Kay (t.a.f.k.a.k.)

TS: Thomas Schäfer


TS: Wir wollen eine etwas andere Form des «Einführungstextes» versuchen. Wir sind in einem Arbeitsstadium, wo noch an Eurem Projekt «Tak-a- lite.palimpsestation installée» weitergedacht und -gearbeitet wird, wobei mich gerade die Form von Überschreibung in und von zwei verschiedenen Kunstsparten interessieren, die dann in einer gemeinsamen Arbeit zusammenlaufen. Wie ist die Arbeit zwischen dem Installationskünstler Toni Kay(t.a.f.k.a.k.) und dem Komponisten Clemens Gadenstätter in Gang gekommen?

CG: Toni Kay(t.a.f.k.a.k.) und ich haben uns, ich glaube, 1999 kennengelernt, und zwar durch eher verstrickte Wege über gemeinsame Literatur bzw. Verlegerfreunde. Aber eigentlich hat es mit dem Projekt «Decodierung/Recodierung» begonnen. Das Projekt «Decodierung/Recodierung», von dem ich eben gesprochen habe, hat Toni in der Kunsthalle gemacht. Toni hat auch mich eingeladen, einen Text zu schreiben und zu überlegen, wie ich mit den Begriffsfeldern Decodierung/Recodierung umgehe. Ich habe dann den Text «Das bedingte Ereignis» dazu geschrieben und auch im Rahmen dieses Kunsthallenprojekts einen kleinen Vortrag gehalten. Übrigens liegen die Ergebnisse dieses Projekts mittlerweile auch in Buchform (beim «Triton»- Verlag) vor.

TK: Richtig. Und dann haben wir über die Veranstaltung im Konzerthaus gesprochen, über die Einladung zu den «Hörgängen 2001». Es war für mich von Anfang an sehr spannend, daß es Euch interessiert hat, diesen Abend etwas anders zu gestalten als nur als «reines» Konzert.

CG: Für mich war es so, daß ich schon seit längerem daran interessiert bin, die Präsentation von Musik vom typischen Konzerttypus wegzubringen oder Kunst insgesamt etwas anders zu gestalten, so wie auch in den sechs Salons, die ich mit Lisa Spalt gemeinsam gemacht habe. Das war ein Versuch, diese Vorstellung zu realisieren, indem man jetzt nicht das Ereignis an sich als Kunst präsentiert, sondern innerhalb eines Ereignisses sehr viele miteinander verbundene Formen von Kunst bzw. von Wissenschaftsbetrachtung auf struktureller Ebene gemischt hat. Auch der ganze thematische Überbau «palimpsest», Überschreibung, Übermalung, Neutextierung usw. hat mich interessiert, nachdem meine Musik an sich ja schon gewisse Dinge überschreibt. Ich wollte mich dann auch einmal trauen und das Ereignis «Konzert», also einen Abend insgesamt, zu überschreiben. Und dabei war mir einfach sympathisch, es nicht im selben Medium «Musik» zu überschreiben.

TS: Toni, wie kann man sich das vorstellen: Ihr habt Eure Arbeit im Untertitel «palimpsestation installée» genannt, was etwa soviel wie «installiertes Palimpsest» bedeutet. Wo ist hier der Bezugspunkt zu Deiner Arbeit zu sehen?

TK: Mich hat vor allem einmal Clemens' Idee interessiert, das Ereignis «Konzert» einmal gar nicht so wichtig sein zu lassen und praktisch den Prozeß, der auch während eines Konzertes stattfindet, in den Mittelpunkt zu rücken. Ich arbeite schon längere Zeit an diversen Projekten über das «Prozessuale als Methode», u.a. in Untersuchungen an Gräsern. Letztlich geht es darum, daß nicht ein Produkt wichtig und entscheidend für den Rezipienten ist, sondern eben der Prozeß, der stattfindet, der Weg, der nötig ist, um dorthin zu kommen.

CG: In den ersten Stadien war es mir wichtig, daß Toni nicht etwas die Musik Verdoppelndes gestaltet, also etwa zu meiner Musik ein Video macht. Mir war sehr wichtig, daß wir von dem Additionsprinzip wegkommen. Und da habe ich mich wunderbar mit Tonis Vorstellung getroffen.

TK: Wir haben uns eher in einer Arbeitshaltung getroffen und in einer Einstellungshaltung zur Kunst im allgemeinen. Das ist auch die Basis der Zusammenarbeit. Wie Clemens gerade gesagt hat, es ging auch mir nicht um einen Kommentar zu seiner Musik - das hat sie gar nicht nötig.

TS: Der Prozeßcharakter in dieser Arbeit gefällt mir sehr gut, wobei ich ja eigentlich nur immer als Beobachter dabei war. Durch diese Form im Umgang mit Deiner Musik relativiert sich gleichsam so ein schwerer Begriff wie «Werk» als etwas Feststehendem. Die Musik, so wichtig sie ist, rückt ja erstmal bei diesem prozeßhaften Charakter in den Hintergrund, und Du stellst sie quasi als Objekt in den Raum, wobei Toni dann eigene, andere Objekte hinzustellt - und beide Bereiche treffen sich. Wie wird der Konzertcharakter, den ihr ja attackieren wollt, wie wird der konkret an dem Abend aufgebrochen?

TK: Das beginnt sicherlich schon beim Betreten des Neuen Saales, oder eigentlich schon vorher beim Hinuntergehen am Stiegenabgang. Da wird es bereits eine irritative Intervention geben, weil man genötigt ist, über einen künstlich ausgelegten Rasen zu gehen. Und die Besucher werden sich unweigerlich die banale Frage stellen: Was soll dieser Rasen hier? Das ist schon das erste kleine Zeichen, daß an diesem Abend etwas passiert, was vielleicht nicht unbedingt erwartet wird. Um dieses Prozessuale als Methode in Untersuchungen an Gräsern, das ich vorher angedeutet habe, in einen allgemeingültigen künstlerischen Kontext zu stellen, wird dieses work in progress durch Videofilme, die Menschen beim Rasenmähen zeigen, ergänzt. Woimmer ich mit meiner Kamera bei dieser Tätigkeit zugegen bin, mache ich eine Aufnahme, und reihe sie nach erfolgtem Editing als Kurzfilme unter genauer Angabe von Ort und Zeit aneinander. Dem Sound der Rasenmähmaschine kommt in diesen Filmen eine wesentliche Geltung zu, (be)tont er doch eindringlich die Dialektik von Künstlichkeit in der Natur mit dem natürlichen Tun des Künstlichen.In der jeweiligen Nische dieses Stiegenabgangs wird ein Monitor plaziert sein, auf dem dann diese Videos zu sehen sein werden.

Und dann betritt das Publikum den Saal: Zwei Parteien sitzen sich quasi gegenüber und schauen sich gegenseitig an. Auf zwei großen Leinwänden werden Videoprojektionen gezeigt, auf einer der beiden Leinwände eine Liveprojektion, auf der anderen, wird zeitversetzt das Überschreiten des Rasens und das Betreten des Saales zu sehen sein.Die Zuschauer und Zuhörer des Konzerts können während des Konzerts sich praktisch selbst beobachten, wie sie sich verhalten, sich in dieses Ereignis einbringen, und es ist schwer abzuschätzen, inwiefern das tatsächlich auch dann die Wahrnehmung des Konzerts beeinflußt.

Rest-Ereignisse treten also ins Zentrum der optischen Bearbeitung, sie überschreiben den vorgebenen Rahmen des Konzerts und lassen dieses zu einer vieldimensionalen Installation werden. Wesentlich ist dabei der Aspekt des geänderten Umfelds, das auf die Verhaltens- und Wahrnehmungsweisen des Publikums einwirken soll. Die Zuhörenden werden von Kameras beobachtet, und beobachten ihrerseits wieder sich selbst: allein schon der Aspekt der Beobachtung läßt andere Wahrnehmungsprioritäten aufkommen, läßt ein andersartiges Erleben dessen zu, was eigentlich ein Konzert auch sein könnte. Das Publikum wird auf diese Art zu einer Gruppe von Mitspielenden im Überschreibungsprozeß, dem der Abend unterzogen wird.

TS: Wahrnehmung ist ein gutes Stichwort für Dich, Clemens, weil der Begriff für Deine Arbeit eine wichtige Rolle spielt.

CG: Ja, ganz richtig. Wenn es mir um Wahrnehmung geht, dann ist es immer wichtig, davon auszugehen, daß man erst dann wahrnimmt, wenn man anders wahrnimmt als zuvor. Und die Idee, die Toni hatte, daß man an diesem Abend dort ansetzt, wo eigentlich das Konzert als Konzert aus der Wahrnehmung herausfällt. Das bedeutet, daß wir dort ansetzen, was uns beim Konzert am wenigstens auffällt: das Hineingehen in den Saal, die Geräusche, die passieren, die Geräusche, die während des Konzerts unweigerlich passieren, die stören uns ja nur, auch das Visuelle stört manchmal; es gibt vielleicht einige Besucher, die das mit Genuß beobachten - Cage hat das auch mal so beschrieben, wenn die Musik nicht gut ist, dann kann man sich ja auch auf das Umfeld konzentrieren, und es wird immer noch ein tolles Konzert sein. Diesen Rest wollten wir bearbeiten.

TS: Aber das «Konzert» als Ereignis wird ja häufig auch deswegen nicht mehr wirklich als solches wahrgenommen, weil es etwas Ritualhaftes geworden ist. Der Besucher im Konzert hat ja unglaublich viele rituelle Momente, die er ja gar nicht mehr reflektiert.

TK: Ich weiß nicht, ob ich ein beispielhafter Konzertbesucher bin, weil ich generell, wenn ich in Konzerte gehe, eben genau das besonders beachte, was im Umfeld passiert, was möglicherweise auch gar nicht passieren sollte, oder was eigentlich praktisch nicht beachtet werden sollte. Und da spann ich schon meine Ohren besonders auf und registriere das, auch mit Genuß. Das mag etwas ungewöhnlich klingen heute, aber dennoch wäre meine Forderung: Man sollte den Besuchern die Möglichkeit geben, sich selbst einzubringen und eben nicht einen autoritären Standpunkt einzunehmen - übrigens meine ich dabei auch den Komponisten. Wenn man keinen Freiraum läßt, dann ist das Stück schon bei der Aufführung für meine Begriffe tot.

TS: Inwieweit spielte der Neue Saal des Konzerthauses, in dem wir auch jetzt gerade sitzen, eine Rolle für eure Konzeption?

TK: Ich finde es sehr spannend, in und mit diesem Saal zu arbeiten, weil er meine Erwartung seitens der Form wunderbar erfüllt. Ich weiß also, der Saal ist veränderbar und schaut heute so aus, und morgen kann es ein anderes Konzert geben, und dann schaut er wieder ganz anders aus. Da ist von vornherein die Flexibilität potential da, und das erleichtert mir den Zugang zur Musik, auch übrigens die Entscheidung überhaupt, zu einem Konzert zu gehen. Ich glaube zudem auch, daß die Arbeit, die wir hier machen, nur hier in diesem Saal möglich ist.

CG: Das denke ich auch. Wir hätten mit dem Mozart-Saal sicher größere Probleme gehabt, weil wir dann viel mehr hätten reagieren müssen, weil man auf die Architektur, auch auf die geschichtsbeladene Architektur in irgendeiner Weise hätte reagieren müssen. Dieser Saal ist dagegen noch fast unbeschrieben. Er ist zwar voller Konnotationen, das ist uns klar, aber es ist die Geschichte des 19. Jahrhundert aus diesem Saal zumindest weitgehend herausgehalten, was die Arbeit sehr erleichtert hat. Es wäre natürlich in jedem anderen Saal auch möglich gewesen, nur würde dann das Projetk auch anders ausschauen. Man hätte noch mehr Ebenen dazudenken müssen. Der Saal hier bietet soviele Möglichkeiten, wir haben auch einige Stadien durchdacht, bis wir dann bei dieser Aufstellung - links und rechts das Publikum, in der Mitte so etwas wie eine «Bühne» - gelandet sind.

TK: Das war nicht von vornherein so gedacht und als Konzept schon feststehend, sondern das hat sich im Lauf entwickelt, auch mit der Entwicklung des Saales hier. Wir waren zwei oder drei Mal hier, und es hat sich jedes Mal wieder etwas Neues ergeben, was wir vorher noch nicht gesehen haben.

CG: Es hat sich dann etwas ergeben, was für mich sehr spannend war, daß wir nicht davon ausgegangen sind, unsere Arbeit nicht auf den Raum hin zu bearbeiten, sondern plötzlich hat der Raum sich mit seinen Möglichkeiten hineingedrängt - und es ist dann plötzlich klar geworden, daß es eigentlich nur hier, auch mit den beiden Treppenabgängen, sein kann. Das war eine schöne Synergie.

TK: Für mich war die mehrfache Begehung des Neuen Saales auch deswegen wichtig, weil sich unsere Vorstellungen in der Folge immer mehr vereinfacht haben. Das ist für mich sehr entscheidend, weil die Form, die wir umsetzen wollen - auch in der Videoprojektion - sicherlich wesentlich reduzierter ist, als das ursprünglich angedacht war.

CG: Wichtig erscheint mir noch, daß wir in Zusammenarbeit mit dem Kunstradio dieses Projekt, die visuelle und die klangliche Ebene, zeitgleich ins Internet stellen. Wir haben auch da versucht, nochmals, sozusagen auf einer dritten, Überschreibungsebene zu arbeiten. Diese Netzüberschreibung ist nicht ident mit dem, was man hier sieht, weil die Bildprojektion und Musikprojektion im Netz anders funktionieren, und als vierte Ebene sind wir vom Kunstradio eingeladen worden, über dieses Projekt noch eine Sendung zu machen, bei der wir den gesamten Rest, der eigentlich verlorengeht, bearbeiten: Das sind Geräusche, Pausengeräusche, Gespräche, alles, was sozusagen den Rest ausmacht. Aus diesem Rest werden wir versuchen, auf ähnlichen Strukturen wie jetzt die Videoarbeit bzw. meine Musik passiert, eine Kunstradioproduktion zu machen.

TS: Das ist für mich das Schöne an diesem Projekt, daß es sich über verschiedenen Stadien der Vorüberlegung dann weiterhin selbst überschreibt - mit seiner Materialität und mit seinem ganzen Gedankengestus, der damit verbunden ist.

CG: Auch für uns ist das sehr spannend, weil dies eine Arbeit ist, bei der man überhaupt noch nicht abschätzen kann, welcher Rest übrigbleibt. Wir wissen es einfach noch nicht.

TK:Es ist fast so etwas wie ein Prozeß der Auflösung, der dann letztlich in der Auflösung wieder ein Material entstehen läßt, das durchsichtig wird. Da möchte ich noch einmal auf den Titel zurückkommen der ganzen Arbeit: «Tak-a- lite». Das ist im Grunde ein Begriff aus dem geologischen Fachbereich und bedeutet dort so etwas wie ein Äquivalent zu «Palimpsest». Und jetzt wird es natürlich kompliziert, deshalb versuche ich es auf den Punkt zu bringen: «Tak-a-lite» ist eigentlich nichts anderes als ein vulkanisches Gestein, das quasi in der Auflösung durch die Hitze fast ein Stück Glas wird, d. h. es löst sich in unglaublicher Geschwindigkeit auf und wird dann in der Auflösung transparent. Das ist vom Prozeß her sehr spannend, wie ich finde.

CG: Ich finde diesen Ausdruck, Tak-a-lite, sehr schön, weil er den Prozeß der «Vulkanisierung» eines Konzerts sehr gut beschreibt - nur in diesem Fall eben ein installiertes Palimpsest.

TK: Es trägt ja jeder etwas zu dem Projekt bei. Jeder, der in diesen Saal hineinkommt, jeder Konzertbesucher ist auch ein Teil der Installation. Nicht nur durch seine physische Präsenz, er kann auch die Installation durch seine Reaktion und seine Aktion verändern. Weil es ja aufgenommen wird und wir nicht vorhersehen können, wie die Besucher reagieren, ist alles sehr offen und spannend, wie es dann letztlich ausschauen wird. Der Moment, wenn die Besucher über den Rasen gehen, wird ja gefilmt, und diese Bilder werden dann auf der einen Leinwand zeitversetzt eine halbe Stunde später zu sehen sein. Die Besucher sehen sich dann selbst, und auf der anderen Leinwand sieht man die Live-Bilder, d. h. da werde ich quasi als VJ agieren - mit beweglichen Kameras, mit denen ich Details heranholen und bearbeiten kann.

CG: Diese Zeitaspekte, von denen Toni eben gesprochen hat, laufen natürlich alle zuerst einmal innerhalb des groben Zeitaspekts «Konzert» und dann natürlich auch innerhalb der musikalischen Zeit selbst ab. Es gibt gleichsam eine ständige Überlagerung von Zeitebenen, die mir spannend erscheint. Damit meine ich bewußt gesteuerte Vorgänge und Zeitaspekte von Vorher, Nachher und Gleichzeitigkeit. Immer sind unterschiedliche Zeiten angesproechen: Die persönliche, subjektive Zeit eines jeden Konzertbesuchers, die musikalische Zeit, die sich darüber legt, Tonis Zeit des Videomischens - und dazu gespiegelt die Zeit der Vergangenehit, die durch die Videozuspielung sofort präsent wieder wird. Und vergessen wir nicht die Eigenzeit im Internet. Ob und wie diese Zeiten miteinander in Beziehung treten, wird sich dann erst am Abend selbst erweisen. Das läßt sich natürlich nicht kalkulieren.

TK: Dieser Rest ist aber ja das eigentlich Spannende - bei jeder künstlerischen Arbeit.




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