Ein Symposion zur Theorie und Praxis einer Kunst im elektronischen Raum. Am Beispiel der Radiokunst.

IM RAUSCHEN DER ZEICHEN

von Richard Kriesche




1.
als folge einer totalen ästhetisierung unserer gesamten lebenssphäre scheint erstmals kunst überflüssig geworden zu sein. kunst wird nur noch als widerspruch zum alltagsleben stilisiert, aus dem leben ausgegrenzt wird ihr die "freiheit" in der toten materie garantiert. der öffentliche, d.h. gesellschaftliche raum ist für kunst der "freiraum des toten". mit dem leben selbst hat der künstler nichts mehr zu schaffen, wie er in der gesellschaft der lebendigen ausgedient hat. seitdem aber die gentechniker die ärzte abzulösen beginnen, hat sich ein paradigmatischer wandel vollzogen, das schaffen des lebens aus dem toten, als die ultima ratio technologischer kunst - eine metapher für den schöpfermenschen - hat die totgesagte kunst auf den plan der gesellschaftlichen wirklichkeit gerufen.



2.
mit der zunehmenden industriellen dynamisierung der körper wurde die freiheit des geistes suggeriert. dieser freiheit im informationellen folgte die auslagerung der körper in tote räume. der sich vom dynamisierten körper loslösende geist wurde im kunst-werk noch einmal manifest zu machen versucht. die manifestation der freiheit verlangte tote objekte. aber an stelle des wiederholt propagierten todes der kunst in der industriellen moderne ist die kunst des todes in der informationsmoderne getreten. der tod, als widerspruch zur dynamisierung und ästhetisierung des alltags, ist das ergebnis der exponentialen beschleunigung im informationellen environment. in ihm ist der kunstinhalt sein eigenes verschwinden, die kunstform ist das rauschen.



der öffentliche raum
die sphäre des "öffentlichen raumes` - damit einer "öffentlichen kunst" - ist die der "veröffentlichung des verkehrs"; der kommunikation, der information, des telefons, des radios, des fernsehens, des übertragens, des sendens, der auto-, bahn- und satellitennetze, des globalen und kosmischen verkehrs. im dynamisierten zustand innerhalb der kommunikationsbahnen beginnen sich die körper ihrer bestimmung nach aufzulösen und lassen jegliche sichtbarkeit der körper reaktiorär erscheinen, der körper als datenträger verschwindet im interesse der beschleunigten daten, wie das auto im verkehr. das freie dynamische subjekt ist demnach nicht mehr nach gestalt bzw. form zu bemessen und auszumachen, sondern am grad seiner auflösung. auflösung ist der selbstausdruck des technisch mobil gewordenen subjekts.

aber erst mit der elektrisierung des dynamisierten subjekts wird aus der bewegung der subjekte im raum auch deren auflösung eingeleitet. ein beredtes zeugnis dieser transition vom "mobilen subjekt" zum "mobilen hintergrund" verkörpert die entwicklung vom radio zum autoradio. ja ich behaupte: erst mit dem autoradio hat das radio seine eigentliche definition und bestimmung erfahren. diese geschichte des radios begleitet den geschichtsausschnitt der in bewegung geratenen technischen gesellschaft. von den stationären kästen, über transistor zu autoradio, vom ruhenden über das mobile zum dynamischen objekt. dynamisch deshalb, weil der "apparat radio" mit der dynamik der "maschine auto" so "verschaltet" wird, daß die dynamik der maschine und die statik des apparats sich gegenseitig potenzieren. wie das fahrende auto das radio in bewegung setzt, heizt das radio den jetzt bewegungslosen - in gurten niedergefesselten - körper auf. (fernsehen hingegen begleitet seit seinem aufkommen den technisch reisenden körper. autofernsehen wird durch collagen am autofenster ersetzt. der tv-screen wird durch die windschutzscheibe ersetzt. autofahren, ob entlang der autobahnen oder im städtischen rushhour-verkehr, entspricht zunehmend der collagetechnik der dadaisten. konkreter dreck auf den scheiben, vermengt mit fetzen der landschaft, verschmelzen zu einer unlösbaren einheit. die video cliptechnik der kürzesten schnitte und töne setzt die reise in höchsten geschwindigkeiten im mentalen raum fort, jenseits aller sichtgeschwindigkeiten und wahrnehmungsgesetze. die besondere bedeutung des autoradios liegt in seiner einzigartigkeit der verschmelzung der industriellen mit der informationellen kommunikationsebene. das autoradio ist das transitorische zeichen der wandlung vom bewegten objekt zum bewegten symbol. für niemanden sonst, als für das sich bewegende subjekt werden radiofrequenztafeln als sichtbare zeichen der unsichtbaren frequenzen entlang der kommunikaktionswege (autobahnen) aufgestellt. diese zeichen müssen aber als ausdruck für den übergang von industrieller zu informationeller kommunikation und der darauf gegründeten gesellschaft gelesen werden. damit wird deutlich, daß sich das einmal in bewegung gesetzte mobile subjekt zunehmend in ein rauschen der zeichen auflöst. im autoradio verschmieren sich die daten der kanäle mit motorengeräusch und den zeitlichen collagen der auto-windschutzscheibe zu einer synästhetischen wahrnehmung der welt. je schneller die bewegung, desto stärker tritt dieser hintergrund hervor, je höher die geschwindigkeit, desto schwieriger wird es, "stationäre daten" aus dem datenhintergrund zu filtern, d.h. dem programm zu folgen, information zu entnehmen. der mehrdimensionale datenhintergrund wird zum eigentlichen programm. in ihm ist die geschwindigkeit des bewegten körpers dem rauschen der zeichen proportional, bis er schließlich unlösbar mit dem hintergrund verschmilzt und nur noch diese eine information, die des hintergrundes freigibt. das interesse bei nachrichtensendungen wird dadurch angeheizt, daß der datenhintergrund, der informationsverlust bedeutet, künstlich mitgeliefert wird. in der raumzeit suggeriert dieses rauschen nicht, wie zu beginn der radiozeit, die entfernung vom schauplatz des ereignisses zum empfänger, sondern komprimierte geschwindigkeit für das in bewegungslosigkeit (todesstarre!) verharrende subjekt.



radioman
der elektrische mensch hört nicht mehr radio er ist selbst radio: gleichzeitig auf empfang und ausstrahlung geschaltet. als zeichen seiner existenz zeichnet er damit seine spuren auf den datenhintergrund. im zeichnen der zeichen liegtseine existenz begründet. (auf video, bankkarte, telefon, fax, pc, etc.) gleichsam in anerkennung der elektrischen schaltkreise in seinem eigenen organismus, lädt sich der "radioman" mit mobilen elektronischen rechenmaschinen, uhren, daten und diktiergeräten, walkman, mobiltelefon, elektronischen suchgeräten, laptop, notebook, etc. auf. batteriegestützt bildet er um sich die postmoderne aura einer omnipräsenz. strahlend wie das waschmittel "radion" ist sein äußeres, eingebettet in die elektronische gemeinschaft des datenhintergrundes sein inneres. er selbst ist ein licht-punkt (pixel) im raum der oberflächen, des "computerplanes", der vordergründe, hintergründe und imageplanes. in sie taucht er ein, um zu verschwinden und um woanders als ein anderer aufzutauchen, als lichtpunkt hat der "radioman" in permanenz die form des fluchtpunktes angenommen.

mehr noch: "radioman" ist mit dem fluchtpunkt verschmolzen. "radioman" hat den raum der renaissance, mit der absoluten autorität des fluchtpunktes und den damit verbundenen eindeutigen regeln der repräsentation und betrachtung, überwunden. in diesem raum war der fluchtpunkt selbst unsichtbar (vanishing point = punkt des verschwindens), dagegen war er in allem und jedem präsent. man könnte auch sagen, der fluchtpunkt hat sich im raum der objekte und gegenstände selbst aufgelöst, indem er den raum über die sichtbare und eindeutige ordnung der objekte vergegenständlichte. dieser fluchtpunkt war nicht sichtbar, doch war er in allem und jedem präsent. dieser unsichtbare, unendlich ferne punkt, der dem auge flieht, setzt den betrachter in eine eindeutige beziehung zur welt und schafft kontrolle über die welt. gleichzeitig durchwirkt über die im endlichen gegebene unsichtbarkeit des fluchtpunktes unendlichkeit den raum. diese unsichtbare macht des fluchtpunktes im endlichen verleiht in der "technifestation" der fotografie jedem einzelnen foto den eigentlichen glanz, der aus dem unendlichen spricht.

im kameralosen zoomen der computergenerierten datenbilder wird der fluchtpunkt selbst dynamisiert. jedes pixel ist seine eigene unendlichkeit, fluchtpunkt seiner selbst. fluchtpunkt und elektronisches subjekt - " radioman " - treffen sich im lichtpunkt an der oberfläche der bildschirme, um sich im rauschen der zeichen unauflöslich zu vereinigen, das verschwinden der objekte im unendlichen, bzw. die auflösung im rauschen der zeichen führt zum verschwinden aller unterschiede im endlichen.

der einst auratische fluchtpunkt, der auch als symbol gesellschaftliche hierarchie repräsentiert und auf die unendlichkeit des raumes verwies, vergegenständlicht sich mit dem "radioman" zum lichtpunkt im raum der oberflächen. in diesem lösen sich die einst dem fluchtpunkt unterworfenen räume und objekte zu ihren eigenen fluchtpunkten auf, um im unendlichen datenhintergrund zu erstrahlen. die vektoren im datenhintergrund, oder kommunikationstheoretisch im netzwerk, zeigen dabei in alle richtungen und zeiten.



allwissen
hieß es in den industriellen gesellschaften, daß "wissen macht bedeutet", so heißt dies in die elektrische gesellschaft übertragen, daß "die alleinige macht 'wissen über das wissen' bedeutet". damit tritt "der menschheitstraum der allwissenheit, der auch die faszinationsgeschichte der informationstechnik bestückt, in eine qualitativ neue phase. es bezeichnet wohl nicht zufllig ein können und privileg, das vor allem göttern vorbehalten war." (doris janshen, bilder vom menschen, computer und kultur) mit der allwissenheit wird der hintergrund allen wissens angesprochen, die in der allgegenwart ihren ort und zeit hat, die im kommunikationsnetz der informationstechnik ihre technische grundsetzung erfahren hat. wissen hat nichts mehr mit informationen in netzen und systemen zutun, sondern mit dem rauschen der zeichen und ihrer systeme: "wer allwissend ist, durchbricht auch die schranken des raumes und der zeit und weiß, was es zu jeder zeit und zu jedem ort zu wissen gibt. eben diese große geste wird durch die kommunikationsnetze und computer mit ihren schier unerschöpflichen wissensdaten auf ganz menschlich säkuläre weise handlich." (d. janshen, op.cit.) telekommunikative netze überwinden alle natürlichen hindernisse, wie berge, meere, flüsse, aber auch alle historisch bedingten gesellschaftlichen, kulturellen, sozialen und alle grenzen zwischen privat und öffentlich (eine kunst im öffentlichen raum hat hier ihre legitimation zu finden), in diesem telekommunikativen zeitraum müssen "stadt, land, berg, fluß, tier, pflanze, bubenname, mädchenname - die objekte unserer kindheit im alten kinderspiel - zu daten gerinnen, um in den unendlichkeitshorizont des allwissens einzugehen, womit der ursächliche zusammenhang mit dem all bzw. universum als wissensbasis bzw. datenhintergrund zum tragen kommt.



unendlichkeit
im kontext des datenhintergrundes ist jedes sich zeigende objekt eine beliebige manifestation des unendlichkeitssyndroms von fluchtpunkten und zeitläufen. die objekte in der auf unendlichkeit ausgelegten universalmaschine mit ihren flüchtigen speichern und bildschirmen sind auf den unendlichen ort hin ausgelegt, von wo sie mit unendlicher zeit zu uns sprechen. die maschine ist, wie ihre objekte, eine paraphrase auf die unendlichkeit des universums. als universalmaschine ist sie das kind derselben universumshypothesen moderner wissenschaften, von der u.a. der amerikanische astronom frank wilczek spricht: "zum zeitpunkt des urknalls als die von allen wissenschaftlern akzeptierte theorie des beginns des universums - war das universum nicht nur unendlich dicht, sondern auch unendlich heiß." (frank wilczek, materie und antimaterie, kosmologie, spektrum der wissenschaft, heidelberg, 1986.) dieser zustand unendlich hoher dichte liegt milliarden jahre zurück. der fluchtpunkt im raum hat sich in der unendlichkeit der dichte aufgelöst. die amerikanischen astrophysiker david l. meier und rashid a. sunyaev sehen zumindest theoretisch die möglichkeit, auf die zeitliche unendlichkeit stoßen zu können, denn "könnten wir objekte beobachten, die soweit entfernt sind, daß ihr licht 16,5 milliarden jahre braucht, um die erde zu erreichen, so sähen wir diese objekte in dem zustand, in dem sie sich unmittelbar nach der entstehung des universums befanden." (david 1. meier und rashid a. sunyaev, galaxien im frühzustand, kosmologie, spektrum der wissenschaft, heidelberg, 1986.)



verschwinden
mit dem verschwinden-machen des einen fluchtpunktes in der renaissance entstanden im vordergrund die objekte in ihrer ordnung. mit dem aufscheinen machen der fluchtpunkte im elektronischen verschwinden die objekte in den hintergrund. zeichnete sich die renaissance durch ihre universelle ordnung der objekte in ihrer einzigartigkeit in raum und zeit aus, so zeichnet sich das informationelle design durch ein "verschwinden-machen-der-objekte" aus. am anfang dieses prozesses steht die ununterscheidbarkeit der gegenständlichen welt, bei gleich zeitigem "alles-und-jedes sein können".

das resignative design führt uns dabei in seiner post modernen beliebig- und farbigkeit sehr augenscheinlich den längst verlorenen kampf gegen das verschwinden der objekte vor, denn die eigentliche designentscheidung ist längst im mikroelektronischen schaltkreis gefällt worden, in welchem das unterscheidungskriterium nicht deshalb ohne belang ist, weil es in ihm selbst nichts mehr zu sehen gibt, sondern weil nichts gesehen werden darf, was einen unterschied ausmacht. (in der nächsten chipgeneration wird im vergleich eine erbse auf der größe von 5 fußballfeldern das funktionieren des chips verhindern. die gegenwärtige technologie ist in ihrem mikrodesign an die atomaren materialgrenzen gestoßen. es werden die dimensionen der lichtwellen unterschritten, sodaß auch absolut ein sehen ausgeschlossen ist.) damit ist die absolute auflösung des ins unendliche weisenden fluchtpunktes vollzogen. mit dem verschwinden des einen fluchtpunktes im raum treten die unendlich vielen lichtpunkte der fläche auf. darin konstituiert sich der rausch der zeichen, jenseits aller akustischen und visuellen informationsinhalte. "dabei verschwindet der raum in einem neuen zeitgefühl" so julian halliday auf der communication conference in montreal 1987, "der neue raum wird semantisch als eine oberfläche für spiele und zerstreuung definiert, geteilt in angst und versprechen, eine oberfläche, über welche existenz und objekte ihre materialität ausstellen und verdrängen... ein raum, der oberflächlich und leer wahrgenommen und gezeigt wird, enthüllt nichts, sondern stellt nur aus, so wie alle oberflächen... die archetypische illustration dessen ist walt disney`s film TRON, dessen raum kein realer, sondern ein virtueller ist, der buchstäblich im schaltkreis des computers ausgebreitet ist," (julian. g. halliday, co-opting the future, paper presented to the international communication association conference, montreal, 1987). das verschwinden des raumes und der zeit zugunsten einer permanenten mutation hat hermann weyl, ein enger mitarbeiter einsteins, schon 1920 zur erklärung der einsteinschen theorien so ausgedrückt:"wir leugnen eine 'den raum' durch ihr bloßes dasein erfüllende materie ganz und gar; hat es nach der relativitätstheorie keinen sinn mehr, von dem gleichen raumpunkt zu verschiedenen zeiten oder von dem gleichen zeitpunkt an verschiedenen orten zu reden, so fällt auch die sinnvolle möglichkeit dahin, 'dieselbe substanzstelle' wiederzuerkennen und durch ihre geschichte zu verfolgen, es gibt keine unveränderlichen substantiellen korpuskeln, an denen die feldkräfte nur von außen anpacken, sie hin und her schiebend..." (hermann weyl, die einsteinsche relativitätstheorie, gravitation, spektrum der wissenschaft, heidelberg, 1987).

einstein selbst sprach gar von einem gespensterfeld..., "in welchem die wellen nur dazu da seien, um den korpuskularen lichtquanten den weg zu weisen... dieses führungsfeld bestimmt die wahrscheinlichkeit dafür, daß ein lichtquant, der träger von energie und impuls, einen bestimmten weg einschlägt." (zitiert nach walter greiner, elementare materie, vakuum und felder, spektrum der wissenschaft, heidelberg 1986). wenn gleich diese theorie einsteins heute keine gültigkeit mehr hat, wird im bereich des makrokosmischen erneut von feldern gesprochen, die unter dem begriff der "hintergrundstrahlung" des weltraums firmieren, "deren gleichförmigkeit darauf schließen läßt, daß diese strahlung bei der entstehung des universums (urknall) erzeugt wurde und sich seither durch die expansion des universums auf 2,9 kelvin (2,9 über dem absoluten nullpunkt) abgekühlt hat", wobei "die intensität der hintergrundstrahlung bis auf abweichungen von weniger als einem promille - über den ganzen himmel eine gleichmäßige verteilung ergab". (john d. barrow und joseph silk, raum und zeit, spektrum der wissen schaft, heidelberg, 1987). schließlich zwingt der erst unlängst entdeckte röntgenhintergrund gemäß seinem entdecker bruce margon dazu, "daß sich die astronomen mit der tatsache vertraut machen, daß sie bislang möglicherweise 99 prozent der materie im universum außer acht gelassen haben. die bekannten galaxien und die leuchtenden objekte in ihnen wären dann nicht mehr als eine verunreinigung des intergalaktischen mediums". (bruce margon, der kosmische röntgen- hintergrund, kosmologie, spektrum der wissenschaft, heidelberg, 1987). all dies wäre nicht so interessant, würden diese thesen nicht gleichzeitig mit einer neuen weltwahrnehmung im sozialen zusammenfallen, die als lebenshintergrund unser leben zu tragen scheint, diesen hintergrund zu erfassen fällt uns deshalb schwer, weil er nicht mitgeteilt werden kann, weil auf ihm die gegenseitige kommunikation beruht bzw. über ihn stattfindet, was, wie uns die astrophysik zeigt, die kosmische hintergrundstrahlung für das weltall bedeutet, ist für das funktionieren der gesellschaften dem "gesunden menschenverstand" gleichzusetzen. wir glauben zu wissen, daß es ihn gibt, ihn zu beschreiben ist uns bis jetzt nicht möglich gewor den, wie uns dies der stand der "K.I."-forschung sehr aufschlußreich nahebringt. "das problem des gesunden menschenverstandes, hat jeglichen fortschritt gerade in der theorie der künstlichen intelligenz in den letzten 20 jahren verhindert" weil das verstehen natürlicher sprache darauf angewiesen ist, daß menschen und computer über einen allgemeinen verständigungskontext (den gesunden menschenverstand) verfügen, ist es nötig, das problem zu lösen, was gesunder menschenverstand meint und was er umfaßt. (hubert I. dreyfus, menschliche sprache versus computercode, computer und kultur, hrsg. manfred schmutzer, wien 1986). ohne die kenntnis über den "gesunden menschenverstand" als wissenshintergrund geht nichts in der K.I.-forschung, wie in der astronomie nichts geht ohne die "hintergrundstrahlung", wie in der neuen kultur nichts gehen wird ohne das "rauschen der zeichen", als dem die zeichen selbst konstituierenden hintergrund.



der tote datenhintergrund
hatten uns telegraph, funk, radio, fernsehen, telefon etc. noch aus fernen räumen berichtet, so bereiten wir uns jetzt auf den bericht jenseits dieser räume vor, es sind tote räume, räume des toten, die auf uns zukommen. eine vorahnung davon gibt uns die stimme des radios. die distanz zwischen sender und empfänger, die technisch überwunden, d.h. aber auch technisch ausgeschaltet bzw. ausgelöscht wurde, ist metaphorisch gesprochen "ein toter raum", der, das sollte man nicht vergessen, in der technischen stimme ständig mitschwingt. die technische stimme ist die stimmung der ausgelöschten räume und zeiten, wobei es vollkommen gleichgültig ist, ob uns die stimme live oder aus dem speicher erreicht. "live" ist nur noch eine sentimentale technische lüge. erst die auslöschung, das verschwindenmachen des raumes und der zeit ermächtigt die speichertechniken auf den plan zu treten, um die ihrem wesen eigene kompetenz der verlebendigung des toten zu verwirklichen. speichertechniken sind die vorboten der verlebendigungstechniken, die die tötung des lebendigen in raum und zeit zur voraussetzung der verlebendigung des raum -und zeitlosen haben. konnte man sich vorstellen, daß zeuxis so perfekt das diesseits überbot, als er in einem angeblichen wandbild trauben simulierte, daß sich sogar vögel irrten, so kann man sich noch viel eher vorstellen, daß mit dem radio - den immanent vorhandenen technisch toten räumen - das jenseits simuliert wird, das zu uns spricht. (in der "virtuellen realität" der computerräume haben obige schon ihren ersten namen erhalten.) jetzt müssen wir lernen, in den Informationen der technisch übermittelten botschaften, im rauschen der zeichen, die verlebendigung des toten auszunehmen. damit beginnt die "auferstehung von den toten" auf einem qualitativ neuen stand. waren es in den anfängen formen, muster, gestalten, rhythmen, die aus dem dreidimensionalen raum zu uns sprachen, die in den apparaten eingang, ausgang und gestalt gefunden haben, so spricht jetzt der gesamte datenhintergrund, der datenspeicher jenseitiger räume und zeiten, "himmel und hölle" zu uns, der unsere körper aber nicht mehr in bewegung setzt, sondern uns mit dem rauschen des datenhintergrundes in synchrone vibration versetzt, als "radioman" sind wir die mentalen resonanzkörper des allwissens, der toten räume, des universums. damit schließt sich der kreis: das beschleunigte radio liefert uns eine vorahnung aus dem reich des daten-toten. nichts ist für eine radiosendung beängstigender als die strahlenunterbrechung, weil sich dadurch der tote raum zwischen sender und empfänger verlebendigt. in der strahlumgsunterbre chung fällt für augenblicke der tote raum mit dem tod des "radioman" potentiell zusammen.

der "radioman" oszilliert zwischen dem "toten daten hintergrund" und der "techno-sphäre" als vordergrund wie ein elektrischer körper. damit durchbricht er in der nach-ära der postmoderne das bislang praktizierte erstrahlen der techno-sphäre und das verstrahlen des sozialen. wie im "radioman" erfährt in der totalen erstrahlung der technosphäre die ästhetisierung ihre vollendung. womit, wie viele meinen, kunst in ihrer politischen, gesellschaftlichen und ästhetischen funktion zu einer schönen erinnerung geworden ist. an die stelle dieser "schönen" gesellschaftlich abgekoppelten kunsthistorisierenden materialkunst der museen hat sich das futurisierende pendant einer"elektronischen kitschkunst" eingefunden. im gegensatz zur ersteren, die noch vorgibt politisch zu sein, ist letztere, in ihrer vorgeblich unprätenziösen zurschaustellung, die politischeste kunst in der geschichte der menschheit: als auswurf des datenhintergrundes.

daß in der ästhetisierung des technischen in technischen gesellschaften die gesellschaft sich selbst ästhetisiert und dies zur ästhetisierung des politischen führt, ist gemeinplatz. daß technologien trendverstärkend wirken, daß sie freiheit wie herrschaft, tod wie leben forcieren können, ein anderer. zieht man in betracht, daß die informationstechnik eine militär technik ist, dann bringt "die verallgemeinerung der technologien - insbesondere der informationstechnologien - für die zivilen und inneren belange des staates die gefahr mit sich, die totale maschinerie des militärs, einschließlich der projektiven triebsteuerungen in alle bereiche der gesellschaft hineinzutragen" (janshen, op.cit.). damit bekommt die eminent politische rolle einer "kunst der technischen medien" als kitschkunst einen neuen stellenwert: sie hat den "technischen todestrieb" der gesellschaft als "schönheitskunst" mit den ihr eigenen technischen mitteln zu verklären.



vibration, oszillation, rauschen
auf den toxischen rausch mit drogen zu beginn der 60er jahre folgt der technische datenrausch der simulation. im rauschen der zeichen erhält der zunehmend gelähmte körper seine frequenzimpulse. rauschen ist nicht bewegung im konventionellen raum, rauschen ist die synchronisierung mit dem vibrieren den gesellschaftskörper. aus dem rauschen der zeichen geht der "radioman" hervor, im rauschen werden raum mit zeit wie im chip 0 mit 1 verknüpft, im rauschen der zeichen treffen tod und leben aufeinander. rauschen ist die oszillation zwischen den gründen und oberflächen ohne tiefe, zwischen denen der "radioman" hin und her diffundiert. rauschen ist die vibration, die dauernde massage als die einzige botschaft. rauschen ist die stimulation mentaler sensorik, das informationelle pendent zum vibrator. im rauschen erstrahlt der bislang tote hintergrund. im rauschen der zeichen kehrt die zeit in ihrer unendlichkeit wieder. rauschen ist die frequenz des unendlichen. diejenigen, die in diesen datenhintergrund eingebunden sein werden, werden auch jene sein, die die handlungen all derer bestimmen, die ihre entscheidungen noch in abhängigkeit von den traditionellen zeiten und räumen treffen, demnach über abhängigkeit und unabhängigkeit, freiheit und herrschaft entscheiden.


radio version: Jan. 1, 1989