Kunstradio Projects / Literatur als Radiokunst

Bernhard Kathan:

Hungerkünstler

1. Tue jeden Tag etwas Nützliches. / Man druckt mich nicht mehr. Man zahlt mir das Geld nicht aus und begründet das mit irgendwelchen zufälligen Verzögerungen. Ich fühle, es geht etwas Geheimes, Böses vor. Wir haben nichts zu essen. Wir hungern fürchterlich. Ich weiß, dass mein Ende gekommen ist. / 2. Stehe spätestens um 12 Uhr auf, außer in extremen Fällen. / Schwäche, Hunger und belegte Zunge, der ewige Drang zur Nahrungsausscheidung und die schmiegsamen Säfte zärtlicher Mädchen sind schreckliche Störungen. / 3. Wenn du aufgewacht bist, stehe sofort auf, ergib dich nicht in morgendliche Betrachtungen und auch nicht dem Wunsch zu rauchen. / Mich interessiert nur der “Quatsch”; nur das, was keinerlei praktischen Sinn hat. Mich interessiert das Leben nur in seiner unsinnigen Erscheinung. Heroismus, Pathos, Schicksal, Moral, hygienisch Reines, Sittlichkeit und Glücksspiel - sind mir verhasste Wörter und Gefühle. Dagegen begreife und achte ich zutiefst: Entzücken und Begeisterung, Inspiration und Verzweiflung, Leidenschaft und Beherrschung, Laster und Keuschheit, Kummer und Leid, Freude und Lachen. / 4. Treib jeden Morgen und jeden Abend Gymnastik und reibe dich danach trocken. / Ich will nicht länger leben. Ich brauche nichts mehr. Hoffnungen habe ich keine mehr. Ich brauche Gott um nichts zu bitten, was Er mir auch schickt, soll geschehen: ist es Tod, dann Tod, ist es Leben, dann Leben, - alles, was Gott mir schickt. In Deine Hände, Jesus Christus, lege ich meinen Geist. Behüte und bewahre mich und schenke mir das ewige Leben. Amen. / 5) Täglich mindestens 10 Gedichtzeilen schreiben.

( © Daniil Charms | Bernhard Kathan )