Wortwerft

Aufstehen mit Jesus Christ Allin
von Clemens Marschall

Die Sonne als Mordinstrument. Auch Maschinen können sich Besonderheiten zur Gewohnheit machen. Ein kleines Siechen.
Auf. Ich bleibe nackt, weil ich nicht zuviel schwitzen möchte. Das heißt: auch barfuss, und sobald ich Schritte mache, sind sie dreckig, die baren Fußsohlen. Wie meine Mama die ganze Hütte samt Holzboden so reingehalten hat, dass meine Sohlen immer sauber geblieben sind. Oder ob mir das, was man von oben herab nicht sieht – schwarz – damals nicht aufgefallen ist. Mach dir Gedanken. Wie viel an einem Tag? Effektiv wohl Sekunden. Drei: 21, 22, 23. Drei Sekunden im Durchschnitt, wie das klingt? Oder nach System: Am Montag eine Sekunde, am Dienstag zwei, Mittwoch drei, und so weiter. Bis Sonntag kommt man auf sieben, bringt mich zum Lachen. Wenn dann aber der zweite Montag bei acht weiterzählt, der dritte bei 15, ergibt das über Jahre gerechnet wohl das, was man Altersweisheit nennt. Mein Onkel, der dickhäutige Fleischer aus Amerika, zieht in der Mittagspause seine Stoppuhr aus der Hosentasche, ist dem Befehl seines Kalenders hörig, und kommt auf, sagen wir, 97 Sekunden – er schreibt also den siebten April und fängt jedes Jahr mit eins an, während es am 31. Dezember mit Null aufhört, ein kräftiger Rausch – also auf eineinhalb Minuten purer Nachdenkzeit, das ist lange. Dem Schlächter mag vielleicht gar nichts einfallen, aber er hätte es versucht, der sich nun Schämende. Oder: die täglich erzwungene Nachdenkzeit bringt ihn um seinen Verstand und der Metzger kommt auf die irrsten Ideen. Mitunter fatale: Die Hacke in greifbarer Nähe und die dumme Sau von gegenüber scheppert vehement ans verschlossene Tor.
Meine Finger riechen nach Knoblauch. Ich habe die Angewohnheit, ständig an ihnen zu riechen. Abort, lege mich hin, Antriebslosigkeit, ich reibe an meinen Hoden. Dann rieche ich. Aus der harmlosen Bewegung entwickelt sich ein ebenso harmloser Vorgang der Selbstbefriedigung, ohne, dass ich etwas zu befriedigen hätte. Meine Technik erlaubt es dem Samen, zwischen meine Finger zu rinnen. Der Orgasmus ruft ein kurzes Stöhnen hervor, und dann lecke ich das Sperma von meinen Händen und verschmiere die Reste irgendwo an meinem Körper. Ich fange wieder an zu riechen. Und gerade vernehme ich Knoblauch, den ich verabscheue, eben des Geruches wegen. Folglich schneide, weder esse ich ihn, woher kommt der Gestank?
Ich habe wohl schon lang nicht mehr geduscht, und Feinde meiner Nase erobern. Wenn sich die einen Körperteile gegen die anderen entscheiden, sollte der Geist durch richten Ruhe bringen. Das fordert Konzentration - und der heutige Tag gibt mir 133 Sekunden: die schwarzen Sohlen ohnehin unsichtbar. Außerdem wundere ich mich nicht über die Reinigungskraft meiner Mama, sie heißt Arleta Gunther, und auch das ist mir egal. Warum ich vorher das Gegenteil behauptet habe, weiß ich nicht mehr. Im Wald war immer alles schwarz. Noch 121 Sekunden. Wenn ich den Gang zur Toilette hinausgezögert hätte, wüsste ich, wie Zeiteinteilung funktioniert. Doch gibt es noch viel anderes, was man mit sich alleine tun kann. Mit Knoblauchfingern den Anus massieren. Und nachdenken, heute mehr als gestern. 108 Sekunden noch. Eine Fliege hat sich verirrt. Wie Fliegen sich mit ihren Fliegenaugen verirren, und da wären wir, ich und die Fliege im selben Raum. Was sie hier tut? Frage nicht! Aber es gibt noch immer Idioten, die glauben, alles verstanden zu haben und kontrollieren zu können. Deshalb also die Hitze, man nennt das Hygiene. Die Fliege, entgegen dem Sprichwort, scheint sauber, während die Uhr mir noch 68 Sekunden gibt. Nicht nur meine Finger, ich als ganzes rieche unangenehm. Ich muss lachen, niemand weiß es. Aber es fängt an zu jucken, fallweise passiert das, die Achselhöhlen brüten 24 Stunden am Tag. Achsel. Höhle. Zwei sonderbare Begriffe werden zu einem stinkenden und behaarten zusammengeschweißt. Dem Blockwart gehört die Wampe in all ihrer Bewegungs- und Wachstumsfreiheit: egal, wie man sich dreht, der Arsch bleibt immer hinten. Die Erdfaulsau gräbt immer tiefer, ohne Angst vor Schließmuskeln. Die andere Seite durch Dammbruch getauft, aber nicht bei mir. Wie ein ratterneder Derrick, äh! äh! äh! ächz! Schallschlucker, Lautspucker, Gedankenträger und -empfänger, der große Schwindel macht weltweit Schule. 22 Sekunden. Ampel rot. Ampel gelb. Ampel kaputt. Wir verkaufen unser Oma sein klein Häuschen, dort liegen die besten Liköre im Keller. Warum nicht, solange es sie gibt?! Versteckt in den Geheimratsecken und zugefroren, nicht vor Kälte, sondern vor Alter und Vergessen. 9 Sekunden. Billig und gut, und keiner weiß, wie ich stinke! 7. Hilft alles nichts, die Krätze kratzt, Scharlatanerie, schöne Tage. Die Oma hilft: jetzt aber! 3. Siehst du, verrinnt! 2. Die Zeit, die scheiß, und all die anderen. 1. Olé, olé, mach Schluss! Und aus. Zurück zum Wesentlichen.

Information:
Jesus Christ Allin, genannt GG Allin, wurde 1956 in Lancaster, New Hampshire, geboren und wuchs in einer Waldhütte ohne fließendes Wasser und ohne Elektrizität in einem sehr strengen und äußerst eigenartigen Elternhaus auf: Seine Erzeuger gehörten zu jener Art von Katholiken, die ihrem Sohn den Namen des Erlösers geben und ihm dann Frauenkleider anziehen. Mit seinen Performances, während welcher er seine Fäkalien aß, ins Publikum warf, sich selbst und die Zuschauer verprügelte, sich Mikrophone in den After steckte und mit Frauen sexuell verkehrte, wurde er zu einer der kompromisslosesten Bühnenfiguren der (Musik-)Geschichte. Die Meinungen über ihn driften weit auseinander, für die einen ein „missverstandenes Genie“ für die anderen ein „soziopathischer Vergewaltiger“. 1993 starb er an einer Überdosis Heroin.