RECYCLING THE FUTURE 4
INSTALLATIONS

UNRAUM

sha./Martin Burkhardt
Virtualismus, der: philos. Meinung, nach der Wirklichkeit nur aus der Wirkung von Kräften (u. Gegenkräften) erkannt werden kann Virtualität, die; -, -en: 1. innewohnende Kraft od. Möglichkeit 2. (vom Computer vorgespiegelte räumliche Scheinwelt virtuell: der Kraft od. Möglichkeit nach vorhanden (aber nicht immer wirklich existierend) / duden 94


funktion: hallraum, erbaut 1935, im keller des ORF funkhauses, diente lange zeit ausschließlich der analogen erzeugung von akustischen raumeffekten: man schickte das signal in den raum hinab, projizierte es dort via lautsprecher und nahm den hall (die reaktion des raumes) mit mikrophonen wieder auf. vor fast drei jahrzehnten wurde der gebrauch des raumes durch die möglichkeiten der elektroakustik überflüssig. seither steht er leer.



arbeitstexte

<weg> eingang - foyer - flur - türe aus glas - schmale treppe - im keller. lange niedrige gänge, schwere lüftungsrohre, stromleitungsstränge, schlechtes licht, viele türen - eine aus stahl. geöffnet, fällt der blick in einen dunklen raum mit dichten betonwänden. eindrücke, die sich während des weges zum raum gesammelt haben und eindrücke, die der blick in den raum vermittelt, bilden ein gemisch: raum wie eine kapsel inmitten des gebäudefundaments; das gesamte haus scheint auf dem raum zu lasten.
<ausdehnung> im raum scheint platz zu sein. je tiefer man in ihn eindringt, desto mehr scheint er sich zu schliessen, scheint er dicht zu machen. der raum, der zuvor anbot erobert zu werden, scheint verschwunden. unraum ist leer. ein raum der nicht für menschen gemacht ist. falsche proportionen. glatte wände verstärken diesen eindruck. man versucht den ort zu wechseln, den dumpfen eindrücken auszuweichen, andere blickwinkel zu finden, um luft zu erhalten, um den zustand im raum leichter zu machen. dieser zeigt tausend gesichter: auschnitte, facetten, winkel, die entsprechend der beweglichkeit unserer augen, unseres gesamten körpers ständig wechseln. ein leerer raum, ohne richtung, unklar uneindeutig. er gibt keine sicherheiten, kein gegenüber im raum kein objekt gleicher dimension. objekte wären aufzufassen, würden unraum bilden, würden den raum in kleinere, faßbare einheiten gliedern. versicherungsvakuum droht.
<wände> beton, glatt, fast gläsern geschliffen. glätte an sich zeigt homogenität. unter der glätte scheinen sich grauwölkchen zu rühren. struktur drängt einem entgegen.
<keine spur> der raum wurde lediglich zur beherbergung von technischem equipment konstruiert. für den benutzer war er als begehbarer raum nie existent, wurde nie betreten, da keine notwendigkeit bestand. so verzeichnet er keinerlei spuren menschlicher aktivität.

martin burkhardt



das wesentliche qualitätsmerkmal eines hallraumes wird durch die linearität der signalbearbeitung beschrieben. d.h. als ideal gilt, wenn der raum auf alle frequenzbereiche gleich reagiert, also das signal nicht durch verstärkung bestimmter klangaspekte verfremdet. derartige erfremdungen drängen sich bei unraum auf, sind hier vor allem in den randzonen des hörbereichs leicht zugänglich: das helle, scharfe säuseln der schritte ist ebenso wahrnehmbar wie das raumerfüllende / körperfühlende beben des türschlags. in seiner ursprünglichen funktion waren diese "fehler" kaum von bedeutung: durch die reaktion des raumes wurde das einströmende signal vor allem mit nachhall (und den damit verbundenen raumakustischen "cues") versehen. stellt nun aber bereits das einströmende signal die raumreaktion dar, kommt es zu interferenzen, resonanzen, stehenden wellen und anderen phänomenen. bei wiederholter projektion dieser raumreaktion bilden sich allmählich komplexe, raumchaotische strukturen aus. unraum wird zum instrument, zur gratwanderung an den grenzen auditiver wahrnehmungsfähigkeit, gemessen an den grenzen spezifischen eigenschaften dieses seltsamen raumes.
diese eigenschaften bilden schließlich den projektionsrahmen für die klanginstallation "unraum": den prägnanten aspekten des raumes werden klangquanten entnommen, wiederholt und mit sich in ihrer mikrostruktur minimal verändernden replikationen transformiert. in der strengen zeitformalen struktur liegt einerseits der ästhetische verweis auf den in sich ruhenden charakter, die die abgeschlossene historie des raumes. andererseits eröffnet diese kompositionstechnik die öglichkeit, das rauminhärente potential mit ebenso rauminhärentem material zu überwinden. liefert man sich der hysich/psychischen grenzsituation aus und läßt man sich vom klangbad ganzkörperlich umspülen, werden neue räumliche ebenen, neue volumina und deren wirkungsfelder zugänglich: akustische virualität greift um sich, überschreitet die physikalischen (raum)grenzen, dreht, spiegelt, krümmt. der hörer steht mitten im hall, wird selbst zum hallraum, zum resonanzkörper und wird durch seine raumposition / positionsveränderung teil der komposition.

sha.