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OLIVER MARCHART




ATTACKEN





  • STATEMENT

    Die Prominenz der neuen Medien steigt seit dem Internet-Hype kontinuierlich. Aus unerfindlichen Gründen haben die neuen Medien einen radical, vielleicht sogar subversive chic. Gleichzeitig sind sie aber ein Fall für Trendforschung, Managerberatung und Sozialpädagogik.

    So wie ein bestimmter Teil der Medienkunst im Verdacht stand, das Schöne (bzw. Bloß-Hübsche) in der Kunst rehabilitieren zu wollen, so hat sich über lange Jahre Medientheorie den Ruf erarbeitet, nicht mehr zu bieten als begriffliche Dekoration. Schlagworte wie Simulation, Dromologie, Verschwinden, Fraktalität, Virtualität schmücken die Symposien und werden je nach Saison abgelöst durch Körper, Kontext, hybridity, reflexivity (je nach Branche auch durch Medieguerilla, Störung, TAZ, digital activism). Das Pop-Konzept von Medien/Kunst/Theorie hat vor Erfolg abgewirtschaftet.

    Denn diese Art von Mickey-Mouse-Theorie gilt inzwischen als niedrigste Wissenschaft im post-modernen Theoriekanon, selbst in Topform selten heranreichend an auch nur durchschnittliche Texte des post-struktural informierten Feminismus, der Psychonalyse, culture studies, Filmtheorie, etc. Medienwissenschafter ernähren sich ganz gut vom abgesunkenem Theoriegut ernsthafter Disziplinen - ähnlich wie sich die Medienkünstler vom Abfall der Techniker ernähren. Es wäre mal an der Zeit, daß beide ihr stilles Versprechen einlösen, und die Künstler endlich zu Technikern werden und die Medien-Wissenschafter zu Wissenschaftern.

    Die folgenden Attacken sind angesiedelt zwischen Bericht und Kommentar, Report und Kritik. Das bringt eine gewisse Parteilichkeit mit sich, eine objektive Subjektivität, die ihren Standpunkt nicht verheimlicht: den der politischen Diskurstheorie, wie sie u.a. über eine dekonstruktive Neulektüre des Hegemoniebegriffs durch Ernesto Laclau und Chantal Mouffe entwickelt wurde. Es ist ungewöhnlich aber lohnend, die neuere Hegemonietheorie in die Medien- und Kunstanalyse einzuführen - lohnend vor allem, weil sie mit den meisten Phänomenen in diesem Bereich das "post-moderne" Paradigma sehr wohl teilt (Habermas wäre weniger lohnend). Und doch kann sie an dieser Stelle nur als Korrektiv zu den candies der neuen Medien dienen: Ein unsystematischer Versuch, den Magen wieder einzurenken.

    Oliver Marchart, Dez. 1995



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