Im Aufarbeiten des Tonarchivs reißt der Nebel des Verstummtseins auf. Es werden nicht nur Tonaufnahmen wieder hörbar, es wird auch die Materialität des Aufbewahrens sichtbar. Tonbänder, DAT Cassetten, Musikkassetten, Schallplatten, CDs, Speicherkarten, Festplatten. Dazu alle Geräte, die für die Aufnahme und für das Wiederhörbarmachen gebraucht werden, einschließlich Computer, Mischpulte, Endstufen, Lautsprecher und die gesamten Verkabelungen dazwischen.
Aus den wieder ins Hören erweckten Tönen entstehen die einen Gedankenfolgen dieses Hörspiels. Aus der den Lebensräumen gegenüber unfreundlichen Materialität des Aufbewahrens entsteht das generelle Hinterfragen der Sinnhaftigkeit des Festhaltens all dieser Töne als Tonarchiv in diesem Hörspiel.
Im ersten Feld, das hörbar wird, wenn sich die Nebel lichten, rascheln die abgewickelten Bänder nur mehr, sind Teil des auch sonst hörbaren Abbaus des Ortes geworden. Diese Probleme der beschwiegenen Kollateralschäden unserer Festhaltenwollens und Verfügbarhaltenwollens brennen als dringend zu erledigende Aufgaben.
Das zweite Feld erzählt die konkrete Erfahrung aus Tonaufnahmen für Filmproduktionen. Ein untragbar gewordener Materialverschleiß für ein wenig Scheinwelt. Von den aufgenommenen Tönen gelangen maximal 20 Prozent in den Schneideraum, im Film selbst kommen noch 3-5 % der aufgenommenen Töne vor. Ebenso des aufgezeichneten Bildmaterials. Der Rest ist Müll geworden.
Diese Produktionsform ist in ihrer Ressourcenverschwendung längst obsolet geworden.
Im dritten Feld wird der Blick auf das freigelegt, dass hinter den errichteten Welten für Film, Fernsehen, Streaming, soziale Netzwerke, hinterlegt und bewegt auf Serverfarmen, vernetzt über Satelliten und digitale Kabel und Funknetze, aufrechterhalten mit viel elektrischer Energie, liegt: Verwüstung. Die aufgelassene Salpeterstadt Humberstone in der Atacamawüste vermittelt ein eindrucksvolles Hörbild davon, unterstrichen noch vom Kampfjet, der mir durch die Aufnahmen donnerte.
Im vierten Feld eröffnet sich eine andere Perspektive auf die Materialität: das Erforschen der Tonaufzeichnungstechnik und der Klangbearbeitungstechnik zur Erweiterung des Sprechens, der Erzählformen und des Stimmklangs – Lautpoesie, sound-poetry und poésie sonore formen dieses Feld.
Das fünfte Feld, nach dem Verlassen des Tonarchivs, ist ein Blättern im Hörbuch der Hörgeographien. In Form von Hörkarten. Hören als Orientierung. Ein Verweis auf das Erste Hören als direkte Verbindung mit den Orten. Mit dem Wunsch, dass der Abbau der Orte, in denen wir leben, beendet wird. Zugunsten dieses Ersten Hörens, das Hören hier als wesentlicher Teil unserer Verbundenheit mit unseren Lebensräumen.
Und zwischen diesen Feldern: die Elemente der Verbindungen: eins: die Pilzfäden, das Mycel, das als Bindegewebe subterran existiert, hier umgesetzt als Flötentrialoge, die auf den Gesängen afrikanischer Pilzesammlerinnen aufbauen; zwei: die Lebensenergien und -rhythmen, hier gespielt auf der kleinen Trommel, zweimal solo, zweimal verbunden mit dem Klang einer Töpferwespe aus den Südkarpaten; drei: das reale Tonarchiv als Ort der Überspielung und als Ort des Entstummens, als Ausgangsort dieser Erzählung; vier: das gesprochene Digitalisieren, dieser Verweis auf den Druck, den der Verfall der Tonträger und der Aufzeichnungstechnik ausübt, alles stets in neue Formate kopieren zu müssen, um es verfügbar zu halten; fünf: und die Gedichte, die die Ebene der Reflexion, des Nachdenkens beim Weitergehen bilden;
Die Musik des Streichorchesters eröffnet, setzt die Mitte und beschließt dieses Nachdenken über das Zweite Hören.
- Text, Komposition, Stimme, Flöten, Aufnahmen, Mischung: Bruno Pisek
- Trommel: Rudi Wachet
- Streichorchester: Vl: Joanna Lewis, Phoebe Violet Iordanov, Maria Patera, Teresa Machul, Va: Judith Reiter, Christiane Hörlein, Martina Reiter Vc: Maria Frodl, Kb Thomas Stempkowski, aufgenommen in den Amannstudios, Christoph Amann
- Sprecherin, Zeichnungen: Denisa Angheluţă
- Format: Stereo
- Dauer: 48‘43“