Sonntag, 14. März 2021, 23:03 - 0:00, Ö1

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RADIOKUNST - KUNSTRADIO






"And they were prisoners"

von Carlos Prieto Acevedo

Konzept und Schnitt: Carlos Prieto Acevedo
Textzitate: José Revueltas
Deutsche Übersetzung: Alexander Bruck Santos
Aufnahmen: Gudinni Cortina y Carlos Prieto (Hacienda de Santa Barbara,
Tlaxcala; Archivo General de la Nación – Ex Lecumberri prison, Mexico City)
Stimmen: Jan Machacek, Doris Steinbichler
Musikausschnitte: Antonio Russek “Para espacios abiertos”, Rubén Patiño "Dungeon of laughter"

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Ausgehend von der Erfahrung seiner Inhaftierung im Gefängnis von Lecumberri im Jahr 1968 schrieb der kommunistische mexikanische Schriftsteller José Revueltas den Roman "El Apando", eine krude Meditation über das Zusammenleben der Gefangenen des ersten Panoptikums, das im 19. Jahrhundert in Mexiko errichtet wurde.

Neben der Schilderung der grotesken Realität der Bewohner dieser Strafmaschine, die darauf reduziert sind, ihre Begierden unter unmenschlichen Bedingungen zu befriedigen, verkörpert der Monolog des Protagonisten in seinen Beschreibungen die ästhetischen Auswirkungen der Unterdrückung durch die Geometrie der Enge, die hypodermische Überwachung und die körperliche Misshandlung.

All diese Aspekte des Gefängnisses, die Revueltas in seinem (auf Deutsch unveröffentlichten) Text festgehalten hat, lassen sich auch auf die Erfahrungen übertragen, die wir heute in der Coronavirus-Ära unter den Bedingungen von Ausgangssperren und gesellschaftlicher Distanzierung machen. Ebenso spiegelt sich darin unser aktueller Kontext einer narzisstischen, konsumorientierten Gesellschaft wider, die nicht nur reichlich Abfall produziert, sondern auch soziale Ausgrenzung und Entfremdung erzeugt.

Das 1900 vom Diktator Porfirio Díaz eingeweihte Lecumberri-Gefängnis war Mexikos erstes rational konzipiertes Absonderungsprojekt, das auf Entwürfen von Jeremy Bentham basierte. Kaum ein Jahrzehnt nach seiner Inbetriebnahme wurde es zum Paradebeispiel für das, was mexikanische Gefängnisse werden sollten: Fabriken der Korruption und der menschlichen Erniedrigung.



Bekannt als der "Schwarze Palast von Lecumberri" - ein wahrer Ableger der Hölle auf Erden - wurde es 1976 endgültig geschlossen und zum Sitz des Nationalarchivs umgewandelt, einer Institution, die sich der Pflege des dokumentarischen Gedächtnisses Mexikos widmet. Zu den berühmtesten Personen, die dort inhaftiert waren, gehören Ramón Mercader (der Mörder von Leo Trotzki), Pancho Villa, William Burroughs und der Wandmaler David Alfaro Siqueiros.

Basierend auf Auszügen aus Revueltas' Roman ist dieses Radiostück eine Meditation über die neue und allgegenwärtige Realität der Isolation und Abgeschiedenheit, in der wir heute leben. Das Stück besteht aus Klangspaziergängen, die im ehemaligem Lecumberri-Gefängnis und seiner Umgebung aufgenommen wurden, in Einkaufszentren, aus heimliche Aufnahmen aus dem Reclusorio Norte (Nordgefängnis) in Mexiko-Stadt und Fragmenten elektronischer Musik mexikanischer Komponisten, die sich mit dem Thema der Inhaftierung beschäftigen.

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