Sonntag, 01. November 2020, 23:03 - 0:00, Ö1

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RADIOKUNST - KUNSTRADIO





White City
Vents e Voix de Provence


von Arsenije Jovanović


In seinen dramaturgisch komplex gebauten Sound- und Radioarbeiten greift der vielseitige Radiokünstler und Theaterregisseur immer wieder auf Klänge, Sounds und Aufnahmen aus seinem umfangreichen Soundarchiv zurück. Die Stücke von Arsenije Jovanovic zeichnen sich durch eine über Jahrzehnte weiterentwickelte und verfeinerte „Sound-Handschrift“ aus, die in durchwegs allen seinen Arbeiten zu erkennen ist. So auch in White City aus dem Jahr 1997 und in seinem neuen Radiostück Vents e Voix de Provence.



White City




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In Erinnerung an jene Massenproteste in Belgrad, mit denen die Bevölkerung ihren Widerstand gegen eine machtbesessene und korrupte Regierung zum Ausdruck brachte, hat der Belgrader Künstler Arsenije Jovanovic diese Radioarbeit realisiert.

"Es sind akustische Reminiszenzen" sagt der Autor. Denn auch die Protestierenden in Belgrads Straßen wußten die Akustik als "Medium" ihrer Macht zu nutzen. "Sie verwendeten alles, was Geräusche und Klänge erzeugt", erzählt Jovanovic: "Alle Arten von Tellern und anderen Küchenutensilien, Möbelteile, Radios, Glocken, Pfeifen, Autosirenen, alle möglichen Musikinstrumente, die verfügbar waren. Sie nutzten ihre eigenen Stimmen und die ihrer Haustiere. Ihre Geräusche und Klänge schallten von Balkonen und Fenstern, von Dächern und Terassen, aus Autos und von Fahrrädern aus. Sie waren überall: auf Gehsteigen ebenso wie auf Bäumen. All diese Klänge und Geräusche ergaben eine einzigartige akustische Flut, die die Stadt überströmte und alles zum Schweigen brachte, sodaß nichts anderes mehr zu hören war - vor allem nicht die propagandistischen Sendungen des staatlichen Radios und des Fernsehens".

Arsenije Jovanovic nennt dies "Paradoxismen des Lärms": Klang gegen Klang. Radio gegen Radio. Medium gegen Medium. Ein akustischer Krieg war ausgebrochen, ein tönender Alptraum, der etwas Futuristisches an sich hatte. Es klang - so der Autor - wie ein akustisches und musikalisches Experiment mit tausenden von Mitwirkenden.

"White City" vermittelt den HörerInnen Eindrücke dieses politisch-akustischen Großereignisses, von dem die ganze Welt Notiz genommen hat. Erzählt wird auch das Schicksal eines demonstrierenden Tuba-Spielers. Ein Mann, der niemals zuvor Tuba gespielt hatte, wie Jovanovic weiß: "Er hatte überhaupt keine musikalische Ausbildung, das Instrument hatte sich rein zufällig in seinem Haus befunden. Er nahm von seinem Balkon aus in einer der größten Straßen der Stadt an der allgemeinen "Performance" teil und wahr sehr froh, daß er quasi einen Platz "am Podium" des "größten musikalischen Ereignisses aller Zeiten" einnehmen konnte. Unglücklicherweise war sein Herz in keiner guten Verfassung. Mitten im "Konzert erlitt er einen Herzanfall. Man sagt, daß er noch im Sterben bat, mit seinem Instrument begraben zu werden". Dieser Tuba verleiht Jovanovic die Bezeichnung "Euphonium" - wenngleich er zugibt, nicht so genau zu wissen, um welchen Typus es sich dabei tatsächlich gehandelt hatte. Denn der Terminus "Euphonium"- im Englischen "euphony" (Wohlklang) bezieht sich in diesem Stück auf die Rolle des Tuba-Spielers als Teil eines riesigen Klangorchesters.



Vents e Voix de Provence




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Arsenije Jovanovics hat mit Vents e Voix de Provence ein weiteres Kapitel in seinem akustischem Reisetagebuch eingetragen. Der Künstler verwendet keine sprachliche Übersetzung, auch keinen Fotoapparat um seine Eindrücke zu dokumentieren:

"Ich beschreibe lieber mit Sound anstatt mit Worten. Im akustischen Territorium hat die Vorstellung mehr Raum. Dort fällt es mir leichter, mich all dieser realistischen Details zu entledigen, die ein Reisender wie einen unnötigen Ballast mit sich umherschleppt."

Mit Hilfe von Aufnahmegerät und Mikrophon skizziert Arsenije Jovanovic in "Vents e Voix de Provence" eine Reise, die er vor mehreren Jahren unternahm.