Sonntag, 9. Juni 2019, 23:03 - 0:00, Ö1

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RADIOKUNST - KUNSTRADIO





KLANGSUPPE
Restlessen

Ein Essay über Nahrungszubereitung als akustischer Vorgang.
von Lenja Gathmann, Lale Rodgarkia-Dara und Theda Schifferdecker.

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Von März bis Juni 2019 finden im Projekt Haben und Brauchen im Künstlerhaus wöchentliche Kochshows statt. Jene werden akustisch dokumentiert und der gute Rest wird neugekocht.
Das Restlessen wird collagiert aus Aufnahmen und Sendungen, die im Mai und Juni auf Radio Orange 94.0 von Tim Voss, Patrick Kwasi, Lisa Puchner, Julia Grillmayer, Lenja Gathmann, Lale Rodgarkia-Dara und Theda Schifferdecker produziert wurden. Kunst, Kochen und akustische Reste verwerten




In der Küche steht das Radio.
Der Kochtopf ist der Ort des Hörens,

Sind Ohren und Zunge miteinander verbunden?
Lassen uns Klänge das Wasser im Mund zusammenlaufen?
Können sie uns den Appetit verderben?

Den Zungenohren entkommen, noch lange, schon lange nicht mehr Hören, was wir brauchen, taub, was wir haben.
Die Suppe macht es wieder wett.

Die Suppe macht es wieder gut. Wiederaufwärmen. Beim Dessert das Weinen. Ich weiß schon lange nicht mehr, Zeiteinheit. Also zwei Zwiebel, die Sondereinheit des Sozialgeldes, der Appetit ist verdorben. Was haben? Ich koche, was ich habe und kaufe Bio ein, aber nicht, wenn mehr als drei Leute zum Essen kommen. Das kann ich mir nicht leisten. Ich hab schon lange keine Zeit mehr, muss Geld verdienen für die Kunst. Versalzen und schon wieder schief gelaufen und der Klang hat keine Kochshowtrainer*innen im Körper; geschält, ausgehöhlt. Es geht um Verbindungen. Saucen. Es geht um die Karotte, um die Wurst. Es geht um den Radioraum angehoben und Low Carb, gelbe Gedanken, Fremdschämen und die Produktplatzierungen. Es klingt etwas zerhackt und matschig? Das Radio ist voller Geschmacksrichtlinien, am Küchenradio die Fettspritzer der abgelegten Lieben, die wir gebraucht haben und meist geliebt. Was gibt es eigentlich zu sagen? Was gibt es zu hören, zwischen Suppe und Dessert liegt das normale Leben, macht sich keine Gedanken über die Speisenabfolge. Holt die Künstler*innen in die Sichtbarkeit, Hörbarkeit. Wer hört zu, wer isst mit?

Wer zahlt das Essen? Wer kocht? Ich tauche in die Pflegedebatte ein, die Fachärztinnen der grünen Küchen, seit kurzem im Europäischen Parlament backen Brote für reiches Klientel. Wir essen die Apotheke auf. Kochen hält Sie gesund, kochen Sie. Fühlen Sie sich wohl. Die Armen pflücken nicht im Garten Wiesenkräuter und trinken Biolimo. Dong 12 Uhr die Nachrichten. Dong 17 Uhr die Radioküche ist eröffnet. Dong 26 Uhr es gibt heute Einheitsbrei aus dem Äther.

Und zuletzt geht es um den Klimawandel, die Weizendebatte und den Kaffee. Es geht immer um den Kaffee zur rechten Zeit zwischen den Zweigen der Gedanken, stark und nicht zu bitter. Der Kaffee, die Debatten, die Zigarette im Auto vorm Radiogerät. Hier darf es sich noch linear bewegen, linear die Taktung des Lebens. Dong 7 Uhr die Nachrichten. Dong 12 Uhr die Radioküche ist eröffnet. Dong 36 Uhr es gibt wieder Einheitsbrei aus dem Äther. Dong 377 Uhr Podcast on demand. Dong 679 Uhr Cloudstream abgebrochen. Dong 890 G5 Sicherheitskonzept, Ritual abgebrochen. Wie viel Neues verträgt der Mensch? Den Gipfel der Zuversicht in den Äther verlegt, den Astralkörper entdeckt, vereinzelt das Gesundheitssystem, die einzelne tanzt zwischen den Karotten in der Suppe, fühlt sich vereinzelt. Der Referenzraum ist verloren gegangen, hat sich aufgelöst in den hitzigen performativen Machtansprüchen, zahnlos, ratlos. Es flackert, es ist hell, singt brillant in Dolby Atmosphere- die Stimme. Zuletzt wieder die vertraute Stimme. Wenn sie sich selbst zureden, mit sich selbst sprechen, dann gelingt die Zuversicht, gelingt das Auffangen der letzten Gedanken, der Zerstreuung, dann gelingt die Zentrierung im Körper. Wenn die künstlich generierte Stimme zu mir spricht und mir meine Stimme stiehlt, mich in meiner Stimme überredet, die richtige Abzweigung nimmt, dann höre ich ihr aufmerksamer zu, dann glaube ich ihr, denn ich kenne sie; Tag ein Tag aus, kenne ich meine Stimme und wenn sie nun aus dem Radio kommt, meine Stimme? Mir zuredet, mich auffordert zu kochen den Rhythmus des Tages einzuhalten, den Algorhythmus des Tages einzuhalten, mich interdependent einfädelt, in die Markowschen Ketten legt, mir meine Lieblingssounds kocht, zusammenstellt, mir sagt, wann ich aufzuhören habe. Dong 18 Uhr die Nachrichten. Dong 20 Uhr die Radioküche ist eröffnet. Dong 36 Uhr es gibt wieder Brei aus dem Äther. Dong 2988 Uhr meine Stimme in zweiundzwanzig Lautfolgen zerlegt. Dong 9987 meine Stimme singt mir ein "Gute Nacht Lied". Dong Multiplex.

Die Geschmacksrichtlinienrichtlinie A 37/2019 kennt mich, sie spricht mit meiner Stimme, sie spricht mir zu, das Radio läuft nicht nur einfach so, so wie ich nicht einfach so loslaufe. Was brauche ich noch? Das Empfangsgerät und den Druckkochtopf. Es ist wieder Zeit über Vertrauen zu sprechen. Wir mischen kein Gift in unsere Speisen. Wir mischen keine Drogen in unsere Speisen. Wir mischen nichts Gesund-Machendes in unsere Speisen. Wir mischen gar nichts in unsere Speisen. Sie leben von Luft, Klang und Liebe. Der Rest quasi, der unbedenkliche Rest im Druckkochtopf. So wie auf allen Packungen steht, was nicht enthalten ist, so setzen wir sie mit dem Rest dem unbedenklichen Rest an einen Tisch. Es kocht. Zum Zeitpunkt der Streuung war der unbedenkliche Rest ein stiller wohlgekleideter Genosse, der mit meiner Stimme gesprochen hat, mir nicht mehr aus dem Mund gesprochen hat, sondern schlicht und einfach meine Stimme genommen hat. Wir geben keine Garantie auf, dass dem in drei Tagen auch noch so ist. Performative Risikoanalysen können wir uns nicht leisten. So wie wir uns die Langzeitstudie zu Auswirkungen von Kunstaktionen nicht leisten können. Wir haben die Mindestsicherungsfrage versus Erwerbsarbeit gesalzen mit der Akzeptanz der ausgeschlossenen Gruppen. Wir erheben unsere eigene Stimme für das eigene, manierlich die Schattenzone der Geschmacksrichtlinien. Seit kurzem schließt der Geschmack wieder aus. Ist es das was wir haben?

Ich kratze das alte Fett vom Küchenradio, die Spuren der Lieben lassen sich auch runterkratzen. Es ist noch nicht Zeit abzuwaschen, vielleicht wascht irgendjemand immer ab, kommodifiziert das Abwaschen, performativ wird es zum Zen, zum Sortieren, in leisen Klängen, kein Wort wird gesprochen, die Kamera liegt meist auf den Händen, lässt sie in Großaufnahme bedacht die Dreckränder von weißen Villeroy Boch Tellern waschen. Man hört keine schweren Atemzüge, hört keine saturierte Müdigkeit, man sieht die manikürten Fingernägel einer Influencerin. Die Abwasch als die Selbstreinigungsritualstätte in der Küche; das Radio lächelt retro, die Bluetooth-Boxen klingen nicht mit. Klingen viel zu klar wie die Sounds zu klar klingen, geputzt und flach. Ich fühle mich beeinflusst. Was brauche ich noch? Ich brauche ein Knacksen. Ich habe dieses Knacksen vermisst, dieses schmutzige Rauschen geht mir ab. Der Brei kennt klare Züge, der Wiederholung. Der neue Referenzraum mein Bett aus Infantilität einer sich immer wieder wiederholenden Abfolge. Dong.

Link:
Haben und Brauchen im Künstlerhaus 1050