Sonntag, 18. Juni 2017, 23:03 - 00:00, Ö1

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KUNSTRADIO - RADIOKUNST






„Soundprints as Memory”
von Colin Black

sound PLAY

In seinem Buch “Landscape and Memory” verhandelt Simon Schama Erinnerung als Projektion auf bestimmte Orte der Landschaft. Er argumentiert, dass in westlichen Kulturen der Garten für den durch verschiedene kulturelle Gewohnheiten der Menschheit geprägten Blick konzipiert wurde. Als Konsequenz dieses Prozesses der Umrahmung überlagern wir Mythologie und menschliche Vorstellung auf geographische Örtlichkeiten und verleihen ihnen in unserer Erinnerung Körperlichkeit. [1]. Darüberhinaus konzipiert Pierre Nora in “Realms of Memory” Erinnerung als Ort oder als Platz (Lieux de memoire). Er argumentiert, dass innerhalb einer Gemeinschaft Lieux de memoire, also Orte der Erinnerung, als Ersatz für die gelebte Erfahrung aufgekommen sind. Für Nora ist moderne Erinnerung vor allem archivarisch, er sagt: „Sie beruft sich vollständig auf die Ausprägung der Spur, die Materialität ihrer Überreste, die Konkretheit der Aufnahme, die Sichtbarkeit des Bildes. [2].

“Soundprints as Memory” ist ebenfalls ein akustisches Überbleibsel, eine Gedächtnishilfe, eine Überlagerung von “Mythologie” und menschlicher Vorstellung. All das wird projiziert auf die akustischen Eigenschaften geographischer Orte und mischt sich mit der gelebten Erfahrung von Erinnerung des Publikums, um diese möglicherweise zu ersetzen. Durch das Vergrößerungsglas der elektroakustischen Wahrnehmung, das Mikrophon also, besuchen wir mit Erinnerungen verknüpfte Orte; Erinnerungen an Orte außerhalb des Landes, die viele von uns besucht haben mögen, eine Überlagerung von Mythologie, Fantasie und Erinnerung. Wenn wir genau hinhören, moduliert das Werk zwischen abstraktem und nicht-abstraktem Soundscape, und das Ziel ist, einen Punkt zu erreichen, wo Erinnerungen nicht nur auf Orte projiziert werden, sondern sich mit diesen verflechten. In diesem Sinne fordert das Werk die Zuhörerinnen heraus, zu erwägen, ob diese akustischen Erinnerungsorte durch die Vergangenheit mit Energie aufgeladen sind, oder ob sie eine Projektionsfläche der Gegenwart sind. Oder man fragt sich, je mehr Schichten das Werk entwickelt und je dichter es Erinnerungen verwebt, ob gar falsche Erinnerungen aus den Träumen über diese Orte hervorgegangen sind.

Während der Live-Performance der “Soundprints of Memory” zeichnet der Künstler “Reiselinien” auf eine Landkarte, sodass, wenn die neue Soundlocation östlicher ist als die vorhergehende, das Publikum hört, wie der Stift vom linken zum rechten Lautsprecher wandert und umgekehrt. Diese gezeichneten Linien entsprechen nicht den tatsächlichen Örtlichkeiten auf der Karte, sondern sie sind akustische Wegweiser für das Publikum oder minimalste Regieanweisungen. Außerdem kartographiert dieses Mapping-Element nicht den physischen Raum und den Ort, sondern eher wie der Geist die Distanz verzerrt, wo die Essenz noch vorhanden ist, aber sich das Detail im Laufe der Zeit in der Erinnerung verflüchtigt.

Fotos von den verschiedenen Orten werden wie ein Kartenspiel gemischt und generieren die Abfolge der Orte, die per Computer ausgelöst und zuweilen gefiltert werden (die Abstrahierung ist eine Metapher für die Weiterentwicklung von Erinnerungen über den Lauf der Zeit). Erinnerungen sind nicht chronologisch, sodass die erklingenden Orte auch nicht chronologisch sind, sondern zwischen Erinnerung und Erinnerung, von Ort zu Zeit gemischt werden. Eingeblendet in diese Ortsaufnahmen werden kurze Reflektionen von verschiedenen anderen Orten, gemeinsam mit Preisen und Details von verschiedenen Hotels und Fahrtkosten, gesprochen von einer Computerstimme. Nachdem die Fotos gemischt wurden und eines ausgewählt wurde, fügt der Künstler es in ein Reisetagebuch ein, gemeinsam mit Zeichnungen und Notizen. Das Reisetagebuch und die Landkarte dienen der Dokumentation der Performance, sie sind ein neues Kunstwerk und eine Partitur, nach der die Klangreise nachverfolgt werden kann.

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[1] Simon Schama, Landscape and Memory. (London: HarperCollins, 1995).
[2] Pierre Nora, Realms of Memory, The Construction of The French Past. (New York: Columbia University Press, 1997), 8.





























In Kooperation mit der Stromschiene der Alten Schmiede Wien:

http://www.alte-schmiede.at/programm/2017-06-09-1900/