Sonntag, 24. Juli 2016, 23:03 - 1:00, Ö1

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KUNSTRADIO - RADIOKUNST




Prix Palma Ars Acustica 1

sound PLAY


Heute hören Sie so etwas wie die Vorentscheidung zum Eurovision Songcontest der Radiokunst – und zwar meine: Ich wählte für das ORF Kunstradio aus einundzwanzig Einreichungen aus ganz Europa, fünf Stücke aus, die ich als Radiokunst bezeichne. Meine Auswahl und die Auswahl meiner europäischen Kolleginnen und Kollegen wurde von weiteren Expertinnen und Experten in Galway in Irland begutachtet und sechs Stücke daraus wiederum ausgewählt für das Finale des Prix Palma Ars Acustica. Diesen klingenden Namen trägt der Preis für Sound Art und Radiokunst der jährlich von der Ars-Acustica-Gruppe der Europäischen Rundfunkvereinigung EBU vergeben wird. Ein Stück gewann schließlich – dieses hören Sie nächsten Sonntag, wie auch drei Finalistenstücke. Heute stelle ich Ihnen für mich interessante Einreichungen für den Prix Palma Ars Acustica vor:

Zuerst hören Sie aber einen Ausschnitt aus dem Stück, das der ORF eingereicht hat: Alvin Curran mit „Hello, how are you? - a sound portrait of Maryanne Amacher“. Maryanne Amacher war eine us-amerikanische Komponistin. Sie wurde 1938 geboren und starb 2009. Ihre eindrücklichen, klanglich dichten Drone-Flächen zogen Klanggebilde in Räume. Ihre Sounds färbten Architekturen ein. Informatik und Ars Acustica gehen Hand in Hand.
Der ebenfalls aus Amerika stammende Komponist und Künstler Alvin Curran widmete seiner Kollegin und guten Freundin Maryanne Amacher die Radioarbeit HELLO, HOW ARE YOU? [FOR M. A.] . Das Stück basiert auf Tonaufnahmen, die Curran mit Maryanne Amacher 1970 auf der Harmony Ranch, einer Künstlerkommune in Connecticut, gemacht hat. Sie bestanden im Wesentlichen aus Gesprächen zwischen Amacher und dem Hauspapagei Clifford, die sich beide täglich ihrer Interspezieskommunikation hingaben. Andere Feldaufnahmen wiederum hatte Amacher gemeinsam mit Serge Tcherepnin hergestellt. Auf ihnen sind die Piepschöre winziger Laubfrösche, die im Mittfrühling nächtelang ihre komplizierten Kanons quaken zu hören. Das ist, wie gesagt, die Einreichung des ORF Kunstradios für den Prix Palma 2016. Sie wurde zu einer der sechs Finalisten. Ausgestrahlt am 13. Dezember 2015.

Zwei Stücke fand ich persönlich besonders interessant und die möchte ich Ihnen nicht vorenthalten. Das erste heißt „Moving Homes“ und kommt von dem australischen Radiokünstler Thomas Meadowcroft. „Moving Homes ist eine gefälschte musikethnographische Arbeit über einen fiktiven Ort an der Küste von Queensland, irgendwo ‚oben im Norden‘“, heißt es in dem Begleittext zum Stück. „Die Bewohner dieses Küstenstreifens erlebten mehrere Tropenstürme - nur die Radioempfänger leisteten ihnen Gesellschaft. Da hörten sie die Smash Hits der 1970er Jahre. Ein Zyklon vermag physische Objekte zu zerstören: das Sofa, das Dach oder das Haus selbst. Er vermag auch eine symbolische Ordnung der Dinge zu zerstören: wo man hingehört, die Regeln der Gesetze oder der Zusammenbruch öffentlicher Infrastruktur. Vor allem aber zerfetzt ein Zyklon die Realität. Im Zeitalter der ökologischen Katastrophen werden wir daran erinnert, dass die Welt dahin ist.“ So der Text zu „Moving Homes“. Für mich ist das Stück, das was Radiokunst im 21. Jahrhundert sein soll: Radioplay, Soundtrack wie beim Film, gute Musik, gute Texte von tollen Stimmen vorgetragen und Radioart.
Die von Thomas Meadowcroft gesammelten Texte stammen von Emmanuel Kant, Alain Badiou, Simon DeDeo, Søren Kierkegaard, Paul Virilio, Simone Weil und vielen anderen. Und weil es uns so gefällt hören Sie das Stück in voller Länge: 43 Minuten 8 Sekunden. . Produktion: Deutschlandradio Kultur 2016

Ein Stück möchte ich Ihnen heute noch präsentieren aus meiner Auswahl für den Prix Palma Ars Ars Acustica. „The Use of Pleasure (Nautintojen käyttö)“ von Taina Riikonen, eingereicht vom finnischen Rundfunk. „The Use of Pleasure erkundet Michel Foucaults bahnbrechendes Buch Sexualität und Wahrheit als Quelle einer fleischlichen und sinnlichen Untersuchung von Sexualität in den Parallelbereichen des imaginierten antiken Griechenlands und der heutigen Konsumgesellschaft. Das Hörstück stellt die Frage, wie Sexualität zu einem moralischen Thema werden konnte in den modernen westlichen Gesellschaften, und wie die ethischen Codes des alten Griechenlands in der zeitgenössischen, obsessiven Jagd nach Vergnügen nachklingt. In diesem Zusammenhang untersucht das Stück die Meisterschaft von Sehnsüchten, Versuchungen, Abstinenz und Exzess mittels der bearbeiteten Sounds von U-Bahnen, Dildos und Geschlechtsakten. Von der ersten Szene – der Kauf eines Dildos in einem Pariser Sex-Shop – bis zum Ende des Stücks, dem Tätowieren von Haut, geht Taina Riikonen hartnäckig der Frage nach, wie sexuelle Subjekte danach gieren, ihr intimes Anderssein und ihre Objektivität zu berühren.“, heißt es im Beipackzettel zum Stück. Der in finnischer Sprache gesprochene Text ist ein Auszug aus Sokrates' Memorabilia, niedergeschrieben von Xenophon im Jahr 371 vor der Zeitenwende. Dort heißt es „Zu lieben, Du weißt wie das geht, bin ich sicher, sowohl zärtlich als auch aufrichtig; und dass Deine Freunde Dir Befriedigung geben, davon überzeugst Du sie, ich weiß, nicht mit Worten sondern mit Taten.“ „The Use of Pleasure (Nautintojen käyttö)“ von Taina Riikonen – Dauer: 6 Minuten 21 Sekunden

Danke an Anna Soucek für die Mitarbeit an der Sendung.
Hans Groiss

https://www.ebu.ch/projects/radio/palma-ars-acustica.html