Sonntag, 4. September 2016, 23:03 - 1:00, Ö1

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KUNSTRADIO - RADIOKUNST





„Distanzen 2016“
von Anatol Bogendorfer

sound PLAY


Die Klangwelt Österreichs wird diesen Sommer auf Ö1 künstlerisch vermessen und radikal vor Ohren geführt: in 35 Folgen sind im Rahmen der Serie Land & Laute „akustische Attacken“zu hören, die quer durch Österreich aufgenommen wurden, von den verstörenden Geräuschen einer Tierschlachtung bis zum penetranten Rattern des Rasenmähers in Nachbars Garten. Für das Ö1 Kunstradio gestaltet der Musiker Anatol Bogendorfer einen Radiomix aus dem Audiomaterial, das für diese Sommerserie, einer Kooperation zwischen Ö1 und der Hörstadt Linz, gesammelt worden ist.

Statement Anatol Bogendorfer:

„Auf Distanz gehen – das hieß für mich im Frühling und Sommer 2016 mehrerlei Dinge. Zunächst ging es um räumliche Distanzen, wenn ich zwischen Vorarlberg und Burgenland unterwegs war, um mich mit dem Mikrophon auf die Suche nach Klängen zu begeben. Manche von diesen Klängen fand ich zufällig oder beiläufig, etwa dann, wenn ich genug Muße und Geduld hatte, meine Mikrophonangel einfach mal ins Schallmeer hinauszuwerfen und abzuwarten welche Sounds anbeißen. Andere Klangorte habe ich vorher recherchiert und dann bewusst aufgesucht. Ich rief zum Beispiel bei einem Schlachthof in Tirol an und eröffnete der Person am anderen Ende der Leitung mein Anliegen: Ich würde gerne vorbeikommen und mich mit meinem Mikrofon so weit wie möglich dem Tier nähern, das getötet, aufgeschlitzt, zum Ausbluten aufgehängt, gehäutet und zerlegt wird. Die Frau am Telefon reagierte, und zwar anders als die vier Schlachtbetriebe zuvor, nicht distanziert, sondern mit Nachfragen und Interesse. So begegnete ich in den vergangenen Monaten nicht nur interessanten Klängen, sondern größtenteils auch interessierten Menschen. Ihr Interesse galt dann weniger meiner Arbeit, als plötzlich ihrem eigenen akustischen Alltag, den sie ansonsten in der Regel kaum bewusst wahrnehmen.



Die richtige Distanz zu bestimmen wirft im Bereich von Field Recordings manchmal ethische Fragen auf, aber ebenso einfache technische Fragen und darüber hinaus immer künstlerische. Wie weit darf ich mich im öffentlichen Raum Menschen mit dem Mikrofon nähern, ohne ihre Privatsphäre zu verletzen? In welcher Distanz zur Soundquelle positioniere ich das Mikrofon, um klangtechnisch das für mich beste Ergebnis zu erzielen? Welche innere Distanz sollte ich überwinden, um dort hinzukommen, wo ich glaube, dass sich eine interessante Geschichte verbirgt? Diese Fragen kenne ich zu Genüge aus der Parallelwelt der Foto- und Filmkameras. Und dennoch fiel es mir in den vergangenen Monaten nicht immer leicht sie zu beantworten. Etwa im Hochsicherheitstrakt der Justizvollzugsanstalt Stein, wo ich mich für wenige Stunden unter den Lebenslangen aufgehalten habe, weil ich erfahren wollte, wie es dort in einer Einzelzelle klingt.



Größere geographische Entfernungen als für die Arbeit an der Ö1-Sendungsreihe Land & Laute, von der in diesem Text zumeist die Rede ist, habe ich in den letzten 20 Jahren auf Tournee als Musiker in einer Rockband zurückgelegt. Bis Jänner 2016. Dann hat sich die Band aufgelöst. Ich habe dieses Ende als positiven Impuls erlebt, um mich in den darauffolgenden Monaten – im Studio oder auf Reisen im Hotel – wieder vermehrt Computer generierter Musik zuzuwenden. Auch das hat mit Distanz zu tun. Weniger im Sinne meiner persönlichen Entfernung, als vielmehr eines Interesses daran, was sich in relativer Entfernung zur analogen Klangwelt alles entdecken lässt. Einzelne Stücke oder rohe Skizzen davon sind hier auszugsweise zu hören.“



Links:

Ö1 Land und Laute
Hörstadt
Personal Soundscape 2013
Persoanl Soundscape 2014
Radio Aporee