Sonntag, 12. Juli 2015, 23:03 - 23:59, Ö1

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KUNSTRADIO - RADIOKUNST





STERNENROTZ (KINOSKULPTUR), 2015 - Teil 2

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Glas, phosphoreszierender Schleim, Pumpe, Hörspiel (100 Min.), Maße variabel

Biochemische Konzeption: Thomas Seppi
Stimme: Tina Muliar, Komposition: szely, Produktion: Peter Szely und Ö1 Kunstradio,
Text und Skulptur: Thomas Feuerstein

Das Hörspiel erzählt eine Geschichte, die real in der Ausstellung PSYCHOPROSA vorhandene Substanzen und biochemischen Prozesse in eine literarische Fiktion einbindet. Die Erzählung, die zwischen Groschenroman, Trashliteratur und wissenschaftlicher Abhandlung oszilliert, beginnt wie ein Beziehungsroman, der in einem naturwissenschaftlichen Umfeld spielt, entwickelt sich jedoch rasch zu einer mit Referenzen aus Wissenschaft, Mythologie, Popkultur und Kunst gespickten Science-Fiction-Story. Indem sich Gehörtes und Gesehenes in der Wahrnehmung des Betrachters der KINOSKULPTUR vermischen, wird die Entgrenzung zwischen Innen- und Außenwelt verstärkt.

In der Ausstellung PSYCHOPROSA wird eine molekulare Skulptur in Form eines neuen synthetischen Moleküls produziert Würde man die molekulare Skulptur PSILAMIN einnehmen und im eigenen Körper "ausstellen", hätte deren halluzinogene Wirkung den Effekt, feste Gegenstände in der Wahrnehmung zerfließen zu lassen. Der über die Kinoskulptur fließende Schleim ist ein Begleitprodukt der chemischen Synthese und spiegelt einen inneren, psychischen Vorgang im äußeren, realen Raum wider.

Sternenrotz ist eine gallertartige Substanz, die sich in der Natur manchmal am Boden oder auf Bäumen findet und die bereits in Texten aus dem 15. Jahrhundert beschrieben wird. Die prosaische Erklärung ist, dass es sich dabei um die von Vögeln oder Raubtieren ausgewürgten, unverdaulichen Innereien von Amphibien handelt. Dennoch hält sich seit Jahrhunderten auch die Vorstellung, es könne einen Zusammenhang mit Meteorschauern geben.

PSYCHOPROSA

Galerie im Taxispalais, Innsbruck
7. März – 10. Mai 2015
Frankfurter Kunstverein, Frankfurt am Main
29. Mai – 30. August 2015
Kunstverein Heilbronn, Heilbronn
3. Oktober – 22. November 2015

In seiner Ausstellung PSYCHOPROSA setzt der österreichische Künstler Thomas Feuerstein biochemische Prozesse als künstlerisches Ausdrucksmittel ein und schafft eine Installation im Grenzbereich zwischen Kunst und naturwissenschaftlicher Versuchsanordnung. Er verwandelt die Ausstellungsräume in ein zusammenhängendes Ensemble aus Gewächshaus, Laborküche, Kühlraum und Fabrik. Die über Schläuche untereinander in Verbindung stehenden Apparaturen und Objekte erscheinen als handelnde Akteure: Substanzen werden in gläsernen Skulpturen von unsichtbaren Laboranten transformiert, Kühlschränke öffnen und schließen sich wie von Dämonen und Geistern belebt, transparente schleimige Fäden tropfen von raumgreifenden gläsernen Installationen.

Thomas Feuerstein stellt in seinen Werken, die neben den Medien Skulptur und Installation auch Grafik, Malerei, Fotografie und Netzkunst einschließen, vielschichtige Bezüge zu Biologie, Technologie, Wissenschaftstheorie, Ökonomie, Philosophie und Kulturgeschichte her. Prägend für sein künstlerisches Schaffen ist die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Theorien und deren ästhetische Aneignung. Er nutzt naturwissenschaftliche Methoden, um in seinen prozessualen Installationen das Faktische mit dem Fiktiven zu verschränken, den Wahrheitsanspruch wissenschaftlicher Erklärungsmodelle zu dekonstruieren und neue Bedeutungszusammenhänge entstehen zu lassen. Chemisch-physikalische Vorgänge werden zu Metaphern für gesellschaftliche Strukturen, Vorstellungen aus der antiken Philosophie mischen sich in dem von Feuerstein eröffneten Forschungsfeld der DAIMONOLOGIE mit Phänomenen der heutigen technologisierten Welt.

Die Ausstellung verknüpft neue Arbeiten mit einigen älteren zu einem eigenen Narrativ. Die installativen Arbeiten werden durch Grafiken und ein Hörstück ergänzt, die weitere Interpretationsräume öffnen. Am Anfang steht ein Gewächshaus, in dem Algen und Pilze kultiviert werden. Die organischen Materialien werden in gläserne Skulpturen gepumpt, um über einen chemischen Prozess ein synthetisches Halluzinogen zu gewinnen: das bislang in der Natur nicht vorkommende Molekül PSILAMIN. Aus der restlichen Biomasse der Algen und Pilze geht ein Schleim hervor, der durch Erhitzen, Kühlen und Rühren zu einem Material von zähfließender Konsistenz wird: Dicke Fäden und Schlieren formen sich zu einer transparenten, liquiden Skulptur. Würde man sich die „molekulare Skulptur“ PSILAMIN einverleiben, würden sich feste Gegenstände in der Wahrnehmung verflüssigen und zerfließen. So wird die psychotrope Wirkung der halluzinogenen Substanz, die der Ausstellungsbesucher freilich nicht erfährt, sondern nur fantasieren kann, in der Ausstellung als realer Prozess gespiegelt.

Die Entgrenzung zwischen Innen- und Außenwelt ist ein zentraler Aspekt in Feuersteins PSYCHOPROSA. Der Schleim, der sich thematisch wie real durch die gesamte Ausstellung zieht, nimmt einerseits Bezug auf die Horrorliteratur und ihren frühen Meister H. P. Lovecraft (1890–1937), andererseits verweist er – als soziale Metapher – auf Fragen nach der Definition des Individuums und gesellschaftlicher Entgrenzung.

Links:
http://daimon.myzel.net/