Sonntag, 8. Februar 2015, 23:03 - 23:59, Ö1

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KUNSTRADIO - RADIOKUNST





„wien, wie es klingt“

von Gerhard Rühm zu dessen 85. Geburtstag


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Der Komponist, Dichter und bildende Künstler Gerhard Rühm wird am 12. Februar achtzig Jahre alt. Im Kunstradio ist aus diesem Anlass und im Rahmen eines Ö1-Schwerpunkts http://oe1.orf.at/gerhardruehm das Hörstück „wien wie es klingt“ zu hören. Diese Produktion des ORF ist 1992 bereits im Kunstradio gesendet worden http://www.kunstradio.at/1992A/18_6_92.html und ist dann auch auf CD http://kunstradio.at/TAKE/CD/ruhm.html erschienen. Es handelt sich um ein akustisches Wien-Portrait in 24 Stationen: 24 unterschiedliche Wiener Orte werden hörend besucht. Aus etwa zwölf Stunden Tonmaterial hat Gerhard Rühm für sein Stadtportrait ausgewählt – für ihn erwächst „aus der spezifischen Schnitttechnik eine eigendynamische Dramaturgie, die sich im Spannungsfeld zwischen rhythmisch strukturierter Komposition und atmosphärischer Dokumentation bewegt."
 
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Gerhard Rühm zum 85. Geburtstag
von Anna Soucek

 
Künstlerisch tätigen Menschen ist die Frage nach der Disziplin, dem Genre oder der Gattung ihres Werkens meist viel weniger wichtig als jenen Menschen, die über die künstlerisch tätigen Menschen schreiben und sprechen. Künstlerinnen und Künstler verwehren sich gerne einer Kategorisierung und der „Schubladisierung“ – und diese Haltung wird wiederum von den über sie schreibenden und sprechenden Menschen willkommen geheißen und überliefert. Oft sind die Berufsbezeichnungen künstlerisch tätiger Menschen ausufernd, eine Aneinanderreihung von mehr oder minder gewichtigen und aussagekräftigen Begriffen, die die einfachen Umstand verhüllen, dass es nicht immer sinnvoll ist, in beruflichen Kategorien zu denken, zumal einige Tätigkeiten sehr eingehend eingeübt und ausgeübt werden, während andere einmalige Exkurse darstellen. Gerhard Rühm ist diesbezüglich ein interessanter Sonderfall, da er alles, was er macht, akribisch genau macht, auf forsch erkundende Weise und mit augenfällig profunder Kenntnis der Materie, ihrer Geschichte und ihrer Theorie. Er ist also von Beruf: Komponist, Dichter und bildender Künstler. Manche bezeichnen ihn aufgrund dieses Mehrfach-Könnens als Universalkünstler, oder, weil das offenbar ein aussterbender Beruf ist als einen „der letzten Universalkünstler“. Einen „Gesamtkünstler“ nannte ihn der deutsche Autor und Literaturwissenschaftler Michael Lentz aus Anlass seines 80. Geburtstags: „Geben Sie ihm einen Bleistift, und er macht Zeichnungen oder Bleistiftmusik. Geben Sie ihm eine Schreibmaschine, und er macht Schreibmaschinenideogramme (1954), konkrete Poesie oder lässt Goethes ,Erlkönig‘ auf Schreibmaschine erklingen. Geben Sie ihm einen Rahmen, und er erfindet das Bild. Geben Sie ihm ein Bild, und er macht den Rahmen zum Thema. Und wenn Sie schon gar nicht mehr wissen, was Sie ihm noch geben könnten, geben Sie ihm gar nichts, stellen Sie Rühm in einen leeren Raum ohne irgendwelche Gegenstände und Materialien: Sie werden den Raum nach kurzer Zeit nicht wiedererkennen“. Aus Anlass seines 85. Geburtstags sind ihm auf Österreich 1 mehrere Sendungen gewidmet, die verschiedene Aspekte seines Schaffens würdigen.
Gerhard Rühm lebt in Köln und Wien, wo er am 12. Februar 1930 geboren worden ist. An der Wiener Musikakademie studierte er Klavier und Komposition, Privatunterreicht bekam er von Josef Matthias Hauer, dem Erfinder des „Zwölftonmusikspiels“. In den 1950er Jahren begründete er gemeinsam mit Friedrich Achleitner, H.C. Artmann, Konrad Bayer und Oswald Wiener im Umfeld des avantgardistischen Art Club die Wiener Gruppe. Das konservative, kulturelle Milieu der Nachkriegszeit in Wien, wo der Art Club zum Sammelbecken experimenteller, fortschrittlicher Tendenzen wurde, beschreibt Gerhard Rühm im von Peter Weibel zur Biennale di Venezia 1997 herausgegebenen Buch „die wiener gruppe“: „nach sieben jahren gewaltsamer absperrung galt es aufzuholen, was sich inzwischen draussen getan hatte, für uns junge, die bisher verfemte moderne kunst wiederzuentdecken. sie hatte, gerade in österreich, auch vor 1938 nur eine kleine minderheit erreicht; die grossen bibliotheken hatten es versäumt, ihre wichtigsten dokumente zu sammeln, oder sie waren ‚gesäubert‘ worden. wir waren auf verstreute dürftige privatbestände angewiesen. die bruchstückhaften informationen über expressionismus, dadaismus, surrealismus, konstruktivismus wurden gierig aufgenommen, weitergereicht, mühsam zu einem bild zusammengefügt. man musste zunächst einmal die wichtigsten namen und titel herausfinden, um überhaupt zu wissen, wonach man suchen sollte. das machte jeden hinweis, jedes kleinste zitat zu einer aufregenden entdeckung.“
Die Wiener Gruppe verstand Sprache als visuelles und als akustisches Material. Aus dieser Auffassung heraus und von Anfang an intermedial orientiert, entwickelte Gerhard Rühm eine Reihe von literarischen, poetischen und visuellen Genres: visuelle Poesie, auditive Poesie, visuelle Musik, meditative Klaviermusik, neue Dialektdichtung, Tondichtung, Sprechtexte, automatische Zeichnungen, sowie radiophone Texte. Bei letzteren handelt es sich um Texte, die nur gehört werden sollten, nicht angesehen, und die sich die Möglichkeiten des Tonstudios zunutze machen. Anknüpfend an die Avantgarden des beginnenden 20. Jahrhunderts, wurde Rühm in den 1960er Jahren zu einem wichtigen Protagonisten des Neuen Hörspiels. „Das Neue Hörspiel, mit dem eigentlich die radiophone Kunst, die bewusst die medienspezifischen Mittel des modernen Tonstudios in die Konzeption ihrer Produkte einbezieht, begonnen hat, wurde von gewissen Kritikern, wie stets alles Neue und Konsequente, immer wieder als ästhetische Spielerei verharmlost, wenn nicht gar abgetan und totgesagt. Der Neuen Musik ist es anfangs nicht anders ergangen“ meinte Gerhard Rühm in seiner Dankesrede für den Hörspielpreis der Kriegsblinden. Dieser wurde ihm 1984 für sein Stück „Wald – Ein deutsches Requiem“ zuerkannt, eine in ihrer Machart immer noch aktuelle, radiophone Auseinandersetzung mit dem katastrophalen Waldsterben. “Nackte Tatsachen, durch keinerlei Erzählfloskeln verbrämt, haben die stärkste, weil direkteste Wirkung“, schreibt Rühm über das Hörstück, „auf die künstlerische Möglichkeit einer Emotionalisierung des dargebotenen Materials habe ich keineswegs verzichtet – schon um es zu akzentuieren, auffällig zu machen, aus der Nachrichten-Sphäre herauszuheben. Das geschieht einerseits durch die Erstellung eines akustischen Kontextes, der von assoziationsträchtigen musikalischen Zitaten bis zu entsprechenden Geräuschbildern reicht, andererseits durch die Art der Präsentation des Textmaterials selbst. (…)  Dieses Hörspiel soll vor allem eine durch künstlerische Mittel eindringliche Mitteilung sein, das den Hörer, ohne Kommentar, ohne Polemik und ohne persönliches Credo belastet, zu einer eigenen Stellungnahme provozieren will."
Während dieses ausgezeichnete Hörspiel am Dienstag, 10. Februar 2015, im Ö1 Hörspielstudio gesendet wird, präsentiert das Kunstradio bereits am Sonntag, 8. Februar 2015, das O-Ton-Hörspiel „wien wie es klingt“. Das akustische Wien-Portrait mit 24 Stationen in der Stadt wurde vom ORF produziert und ist auch als CD erschienen. Beginnend mit der Ankunft am Westbahnhof, über den Schlachthof St. Marx, den Donauhafen Freudenau, die U-Bahn, den Naschmarkt und die Kärntner Straße, landet man zur Mittagszeit am Stephansplatz, zieht man hörend weiter über den Kursalon im Stadtpark, eine Straßenbahn, den Prater und den Zentralfriedhof, bis zum Abflug vom Flughafen Schwechat. Für Gerhard Rühm erwächst "aus der spezifischen Schnitttechnik eine eigendynamische Dramaturgie, die sich im Spannungsfeld zwischen rhythmisch strukturierter Komposition und atmosphärischer Dokumentation bewegt."
An seinem Geburtstag selbst wird Gerhard Rühm, unterstützt von seiner kongenialen Partnerin Monika Lichtenfeld, sich selbst an Klavier und Mikrophon setzen, um Sprechduette, Prosastücke, Gedichte und Chansons zu geben. Denn – das muss erwähnt werden – Rühm ist nicht nur Komponist, bildender Künstler und Dichter. Er ist auch, immer noch und zweifelsohne der beste Interpret der Arbeiten von Gerhard Rühm.
 
 

8.2.2015, 23.03 Uhr
Ö1 Kunstradio-Radiokunst
„wien wie es klingt“ von Gerhard Rühm (1990)
 
10.2.2015, 21.00 Uhr
Ö1 Hörspielstudio
„Wald – Ein deutsches Requiem“ von Gerhard Rühm (1983)
 
10.2.2015, 23.03 Uhr
Ö1 Zeitton
Wortmusik – Kunst von und mit Gerhard Rühm
 
12.2.2015, 19.30 Uhr, Großer Sendesaal, Radiokulturhaus
Gerhard Rühm: Wortlaute
Eintritt: 27,- EUR

 


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