Sonntag, 29. September 2013, 23:03 - 23:59, Ö1
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KUNSTRADIO - RADIOKUNST




“Radio Plays Itself”

von Raviv Ganchrow


soundPLAY


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“Wenn ich das Publikum dazu bringen kann, sich selbst beim Radiohören zu beobachten, dann habe ich erreicht, was ich wollte”, sagt Raviv Ganchrow über sein neues Radiostück “Radio plays itself”. Der Architekt und Künstler beschäftigt sich eingehend mit dem Radio, seiner Geschichte, Technologie und seinen Räumen, unter anderem in der Trilogie “Listening Subjects”.
 
Raviv Ganchrow kommt aus Israel, er hat in den USA gelebt und lebt nun in den Niederlanden, in Amsterdam. In Den Haag unterrichtet er am Institute of Sonology der Kunstakademie, neben seiner freischaffenden Arbeit als Künstler. Ausgebildet ist er als Architekt, was sein Interesse für Räume und Akustik begründen mag – seine Soundinstallationen sind auf die Räume, in denen sie stattfinden, zugeschnitten. Ganchrow untersucht damit Hörgewohnheiten, die kulturell und sozial geprägt sind – auch im Hören gibt es keine physische Realität meint er, man könne daher auch keine Realität akustisch rekonstruieren.
 
Raviv Ganchrow hat an dem Langzeit-Projekt Tuned City teilgenommen, das nach der Neubewertung architektonischer Räume aus der Perspektive des Akustischen fragt und den Architekturdiskurs um die flüchtige Dimension des Hörens erweitern will. 2008 hat das Projekt in Berlin mit einer Konferenz und ortsspezifischen Installationen seinen Anfang genommen. Raviv Ganchrows Soundinstallation “Inwound” fand in einer leerstehenden Bahnhofshalle am Potsdamer Platz statt und bezog über vor Ort platzierte seismologische Sensoren Schwingungen ein.
 
2010 wurde das Projekt in Tallinn in Estland fortgesetzt. Ganchrow benützte einen Hangar für Wasserflugzeuge für seine Installation “Crescents”. Diese macht sich die zeitversetzten Resonanzen und Reflektionen von Schall durch die vorhandene Baustruktur und durch Einrichtungsgegenstände zu eigen. Vor einem Jahr, 2012, war er eingeladen für das Kremser Kontraste-Festival in der Wachau eine Soundinstallation zu entwickeln. Ort seiner Arbeit “Fray” war ein Verkehrstunnel in Dürnstein – wiederum ein akustisch herausfordender architektonischer Raum.
 
Die Räumlichkeit des Radios findet er besonders interessant: man kann Räume nebeneinanderstellen, überlagern, Entfernungen zusammenfallen lassen, und diese Räumlichkeit sei eine Grundvoraussetzung von Radio.
 
Physische Räume, in denen Radio produziert wird, deren Geschichte, ihre historischen Entstehungsbedingungen untersucht der Künstler in der Reihe “Listening Subjects”. Teil davon ist das Radiostück “Radio Plays Itself”, das er für das Kunstradio produziert und teilweise im ORF Funkhaus in Wien aufgenommen hat. Genauer: im digitalen Hörspielstudio RP4, in dem ein Großteil der Hörspiele entsteht. Hörspielstudios öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, hat Ganchrow recherchiert, ähneln sich europaweit oft – etwa ist im Funkhaus Nalepastrase in Berlin, wo von 1956 bis 1990 der Rundfunk der DDR seinen Sitz hatte, ein ähnliches Sortiment an hölzernen, metallenen und steinernen Treppen für die Hörspiel-Aufnahmen vorhanden. Dennoch gibt es im RP4 in Wien stadtspezifische Eigenheiten, etwa die für Gründerzeitbauten typischen Doppel-Flügelfenster.
 
Die Gestaltung eines Studios, vor allem eines Hörspielstudios, wird also laut Raviv Ganchrow von Konventionen des Hörens bestimmt, aber auch von Konventionen des Sehens, selbst im Radio. Wie ein Raum, die Ausstattung oder Requisiten klingen, ist auch durch ihre visuellen Qualitäten beeinträchtigt, fand er bei seinen Recherchen in verschiedenen Hörspielstudios heraus. Als Anschauungsbeispiel nennt er zwei blaue Tassen, die als Requisiten offenbar seit Jahren im Studio RP4 des ORF Funkhauses verwendet werden. Obwohl sie von der Form her keine Kaffeehäferl sind, wurden sie – wie er bei der Analysen zahlreicher Hörspiele aus dem ORF Archiv feststellte – ihres Klangs wegen als solche bei den Aufnahmen verwendet.
 
Im Hörspielstudio des ORF Funkhauses hat er mehrere Tage verbracht und – in Abwesenheit anderer – Aufnahmen mit teils selbst gebauten, übersensiblen Mikrophonen gemacht. Aufnahmen für ein Hörspiel ohne Schauspieler, Statisten, Regisseure und Tonmeister, allein aus den vorhandenen Klängen der Gegenstände, der Einrichtung und des Raumes. Diese Aufnahmen hat er mit Produktionen aus dem Archiv abgeglichen. Über Jahrzehnte werden die gleichen Studios und Requisiten für die Produktion von Hörspielen verwendet – deren akustische Eigenschaften prägen sich also, so die These Raviv Ganchrows, in das Hörgedächtnis der Radiohörerinnen ein, ebenso wie die Eigenschaften eines Konzertsaals bei seinem Stammpublikum.
 
„Radio Plays Itself“ ist mit Unterstützung des Mondriaan Fonds und der Kunstuniversität La Hague entstanden.
 


Fotos: Lucas Norer

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