Sonntag, 16. Juni 2013, 23:03 - 23:59, Ö1
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KUNSTRADIO - RADIOKUNST





Christof Cargnelli, Wien, 2011, Foto: Selma Doborac


In memoriam Christof Cargnelli


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Der Soundkünstler, Komponist und Musiker Christof Cargnelli ist im April in Wien verstorben. Er wurde 42 Jahre alt. Christof Cargnelli machte Soundinstallationen, Klangarchitekturen, Arbeiten fürs Radio, Live-Performances und intermediale Kunstprojekte. Die ersten Jahre seiner künstlerischen Laufbahn arbeitete er eng mit dem Künstler Peter Szely zusammen, nachher entwickelte er sowohl eigene Projekte als auch zahlreiche Arbeiten mit anderen Musikern und Künstlerinnen, Architekten, Filme-, Theater- und Ausstellungsmachern.
 
Cargnelli wurde 1969 in Wien geboren. Als Jugendlicher freundete er sich mit dem gleichaltrigen und ebenfalls musikinteressierten Peter Szely an, mit dem er in der Folge etwa 15 Jahre als Duo zusammenarbeiten sollte. Eine Formation, die Christof Cargnelli und Peter Szely gemeinsam mit Martin Krenn gründeten, hieß Demobilat. Als Demobilat wurden die drei jungen Künstler 1990 bei Heidi Grundmann vorstellig, die mit der Sendung Kunstradio-Radiokunst einen Aufführungsort für akustische Kunst im ORF Hörfunk etabliert hatte. Heidi Grundmann gab der Gruppe Demobilat die Möglichkeit, die Debüt-Radiokomposition „Töne existieren“, im Kunstradio zu präsentieren. An der ELAK, dem Institut für Komposition und Elektroakustik der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien, studierten Cargnelli und Szely Computermusik und elektronische Medien. Mit den ersten Sound-Installationen begannen sie sich Szely/Cargnelli bzw. Cargnelli/Szely zu nennen.
 
Ein wichtiger Einfluss für Cargnelli und Szely war der Schweizer Künstler Andres Bosshard, ein Pionier der Klangarchitektur, der den beiden jungen Künstlern nicht nur ein Mentor, sondern auch ein künstlerischer Partner war. Gemeinsam setzten sie etwa das Projekt Sound Dream Nights in mehreren Folgen um. Die Besucher der Performances wurden eingeladen, zu den live generierten Sounds zu schlafen. Mehrere Stationen hatten die Sound Dream Nights, neben Bamberg und Berlin auch die Documenta 10 in Kassel, von wo die Performance live im Hessischen Rundfunk übertragen wurde.
 
Im Laufe ihrer 15-jährigen Zusammenarbeit nahmen Cargnelli/Szely an zahlreichen Ausstellungen und Musikfestivals teil. Sie entwickelten Sounds für Installationen der Künstlergruppe Gelatin, etwa für den Human Elevator im MAK Center for Art and Architecture Los Angeles. Sie bauten Klangräume, spielten Konzerte und installierten Stadtbeschallungen. Sie arbeiteten in Wien, Berlin, New York, Japan, Mexiko und an vielen anderen Orten. 2003 lösten Christof Cargnelli und Peter Szely die künstlerische Partnerschaft auf und gingen fortan getrennte Wege.
 
Peter Szely gründete gemeinsam mit Georg Weckwerth die Initiative TONSPUR, die im Wiener MuseumsQuartier eine Passage im öffentlichen Raum mit eigens produzierten Soundarbeiten internationaler Künstlerinnen bespielt. Eine der ersten TONSPUR-Klanginstallationen wurde von Christof Cargnelli gestaltet. Aus seinem Text dazu: „das akustische ausgangsmaterial der klanginstallation ‚melting‘ besteht ausschließlich aus aufnahmen unterschiedlicher, sich paarender, oder in anderen liebesspielen verschmelzender lebewesen: kopulierende kängurus, kreischende pinguine, sudernde seerobben, vögel usw. – entspannungstechniken aus dem reich der tiere. durch mannigfaltige bearbeitungen am computer werden diese klänge teilweise abstrahiert, um sie als material für ein klangarchitektonisches environment in einem neuen raum zu etablieren. der ursprüngliche raum der aufnahmen schwingt dennoch mit, als ob er im realen raum versteckt zu sein scheint.“


Christof Cargnelli, Graz, 2010, ESC im Labor, Foto: Kunstradio Archiv
 

Während eines Gastkünstler-Aufenthaltes in Japan freundete sich Cargnelli mit dem Künstler Bernhard Gál an. Sie verband nicht nur die künstlerische Arbeit, sondern auch, dass beide in Wien und Berlin Wohnsitze hatten und zwischen den beiden Städten pendelten. 2007 hatte Bernhard Gál Einladungen nach China und Taiwan. Mit Christof Cargnelli, der ebenfalls Kontakte in dieser Weltgegend hatte, entwickelte er eine Konzerttour, die fünf Wochen dauerte und von Gál als intensiv und lehrreich, wenn auch nicht friktionslos, beschrieben wird.
 
Christof Cargnellis letztes größeres vollendetes Projekt ist eine Soundinstallation für die Ausstellung „Spiele der Stadt“ im Wien Museum, die bis 2. April 2013 geöffnet war. Für die Mehrkanal-Installation verwendete Cargnelli Audiomaterial aus seiner eigenen Sammlung an Field Recordings, er machte aber auch viele neue Aufnahmen von Spielsituationen, etwa von Kindern, die Aufzählreime aufsagen, und von Erwachsenen bei einem Pokerabend, von Spielplätzen und Spielautomaten. Brigitte Felderer, Kuratorin, hat Cargnelli bei dieser Zusammenarbeit kennengelernt als einen Künstler, der „süchtig nach Klängen“ war, wie sie sagt, und sich an der Schönheit unserer akustischen Umgebung geradezu berauschen konnte.
 

(Klang)wallungen im Gemüt
von Georg Weckwerth, Künstler und Kurator
 
Christof Cargnellis Tod hat mich sehr betroffen gemacht. Über den beruflichen Kontakt hinaus ist er in den zwanzig Jahren unserer Bekanntschaft zu einem Freund geworden. Bereits während meines ersten Klangkunstprojekts, der „SoundArt 95“ in Hannover, haben wir uns kennengelernt. Während „sonambiente–festival für hören und sehen“ in Berlin 1996 intensivierte sich die Bekanntschaft. Und nach meiner Übersiedelung von Berlin nach Wien im gleichen Jahr sind wir Freunde geworden.
 
Leider haben wir uns in den vergangen Jahren mehr und mehr aus den Augen verloren – das hatte in erster Linie mit seiner Übersiedlung nach Berlin zu tun – in der deutschen Klangkunstmetropole wollte er sein Glück suchen. Ich hätte ihn gerne öfter getroffen und mich mit ihm ausgetauscht, wie es gerade mit Christof sehr intensiv möglich war. Denn er hat immer und trotz aller Widrigkeiten an die Kraft der Kunst geglaubt. Rund um diese gemeinsame Haltung ließ sich trefflich und besonders lebhaft kommunizieren.
 
Klang war sein Material als Künstler, es ist meines als Kurator. Vor einigen Monaten – Christof war inzwischen dauerhaft zurück in Wien – haben wir verabredet uns wieder intensiver über unsere Arbeit und geplante Projekte zu informieren. Wir hätten sicher erneut zusammengearbeitet. „Was würde noch alles möglich sein (...), gerade weil jetzt das Material Klang mehr und mehr an Bedeutung gewinnt. Die Ausdauer würde sich noch bezahlt machen.“
 
So bleiben für mich persönlich viele Erinnerungen und uns allen Christof Cargnellis TONSPUR 4 „Melting“, die ganz zu Beginn der Serie mit Klangarbeiten für einen öffentlichen Raum entstand. Das ist bald zehn Jahre her. Viel Zeit und doch wie gestern, unter heiklen Umständen entstanden, umso schöner und wichtiger sie jetzt zu haben. Wir werden Sie in memoriam während einer mehrtägigen Präsentation Ende Juni 2013 in London zusammen mit anderen Stücken aus der TONSPUR_collection aufführen und damit einen Künstler ehren, für den der Klang (künstlerischer) Mittelpunkt seines Lebens war – eines viel zu kurzen!

 
Gedanken zu Christof Cargnelli, kurz nach seinem Tod
so verfasst von Xaver Bayer, Selma Doborac, Kathrin Resetarits
 
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Er war ein Mensch des feinsinnigen Hörens. Das bezog sich auf seine Arbeit, in der Stille und Geräusche auf eine Weise verbunden wurden, dass einem als Zuhörer zum Staunen gebracht wurde, aber auch auf seine Art der Kommunikation mit Menschen: Er konnte zuhören und hatte ein Gespür für die feinen menschlichen Zwischentöne.
 
Er war ein aufgeschlossener Mensch, von einfühlsamer Heiterkeit und tiefgehendem Verständnis für die Angelegenheiten anderer.
 
Er war einer der rarer werdenden, besonderen Menschen, die nicht den Weg des Konformismus für sich gewählt haben, sondern ihr Leben in den Dienst ihrer Sache stellen, sprich ihrem Bedürfnis, Kunst zu schaffen, um in ihr auf die Schönheit und die Wichtigkeit des Erhalts der Welt hinzuweisen. So hat er in seiner Arbeit sein Ohr auf das Poetische gerichtet, ohne dabei sein politisches Verantwortungsgefühl hintanzustellen.
 
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Was Christof (hat, ist) war: mein Freund.
 
Ewiger und außerordentlicher, fast kindlicher Optimismus, wobei man nicht versteht woher der rührt, was wunderschön ist.
 
Die ständige Bereitschaft weiter zu gehen; von Zweifel geprägt und auch davon getragen; jedoch trotzdem: weiter, was einen selber gleichsam auch immer, immer mehr weiter gebracht hat.
 
Das ständige Bedürfnis Liebe zu leben und sie zu bekommen, sie effektiv zu spüren; auch in der Lage sein diesen Wunsch, diese direkte Erwartung wahrhaftig zu artikulieren, so dass es nicht beschämend oder befremdlich wirkt – in diesem Belang sehr mutig also.
 
Das große und ausdauernde Bemühen verstanden zu werden, und auch das Gelingen dessen, und: die noble Fähigkeit andere zu verstehen.
 
Immer in der Lage sein, bei aller Verworrenheit der eigenen Gesinnung, das Gegenüber, also Außenstehendes, zu erkennen
und auch anzuerkennen – vorbildhaft.
 
Sich seiner eigenen Fehler sehr bewusst zu sein und durchaus bemüht darüber hinaus zu wachsen – mit sich und mit anderen ebenso; immer mit der Gewissheit wem in wie weit und zu welchem Zeitpunkt die eigene Schwere, aber auch die eigene Freude zumuten, was an wen herantragen – seelig.
 
Die Fähigkeit zu unterscheiden und auf elementare Zusammenhänge aufmerksam zu machen – intelligent also.
 
Schüchtern in vielen Belangen, auch bedächtig, was das Zeichen von Umsicht ist, im Grunde.
 
Mein Verlust besteht allenfalls darin, dass Einer dem ich vertrauen, zu dem ich tatsächlich sprechen konnte, was schwer ist sonst, was auch Thema war, oft, nicht da sein wird, was das Gefühl von Verlassenheit hinterlassen wird; und was in vielen, vielen Belangen, den großen, vor allem aber auch den kleinen, denjenigen die im Alltag am häufigsten einen Freund und dessen Ohr brauchen, eine eventuell nichtschließbare Lücke zurücklassen wird.

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Der Christof war einer der Menschen, von denen es – wenigstens in meinem Leben – sehr wenige gibt.
 
Ein Mensch nämlich, mit dem Vertrautheit möglich war – eine Offenheit. Ein Kontakt. Fernab von Falschheit oder Kitsch. 
Der Christof war wie ein Freund aus der Kindheit,
wie einer aus dem selben Haus, wie ein Bruder vielleicht.
Einer, der die Größe hatte, offen zu sein, ohne die Angst etwas zu verlieren, einer, dem man im Gegenzug ohne Taktik oder ohne etwas von ihm zu wollen dieselbe Offenheit entgegenbringen konnte. Einer mit Schmäh, also mit Distanz zu sich selber.
Einer Distanz zu sich selber, die eine gewisse Vertrautheit erst ermöglicht. 
 
Einer, den man jahrelang nicht sieht und mit dem man  beim Wiedersehen trotzdem so redet, auf den man trotzdem so trifft, als hätte man sich gestern Abend erst verabschiedet.
 
Einer, mit dem ich immer in Kontakt war.
 
Einer, mit dem einem der Gesprächsstoff nicht ausgegangen ist, und zwar deshalb, weil man ihm so viel zu sagen hatte, weil man das Gefühl hatte, endlich wieder auf einen Menschen zu treffen – nach langer Einsamkeit – mit dem man sich austauschen kann über die Wunderlichkeiten des Lebens. 
 
Einer, der sich seiner Blauäugigkeit dem Leben gegenüber nicht geschämt hat, weil er gescheiter war, weil er wusste, dass es uns allen so geht. 
 
Er war für mich das zweite Kind auf der Erwachsenenparty, oder der erste Mensch, den man trifft, nach einer langen Wanderung allein.
 
Einer, vor dem man sich nicht zu fürchten brauchte oder zu verstecken, und einer, der sich nicht verstecken musste, weil er sich nicht gefürchtet hat. 
Einer mit dem echte Nähe möglich war – kein so tun als ob. Mit dem eine Berührung möglich war. Ein miteinander in dieselbe Richtung schauen. 
 
Das war ein großes Geschenk, das man selten kriegt. Mir wird der Christof – unter anderem deshalb – sehr abgehen.




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Art's Birthday 2010
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