Sonntag, 16. September 2012, 23:03 - 23:59, Ö1
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KUNSTRADIO - RADIOKUNST




CUT-UPs 

compiled by Colin Fallows


soundBrian Gysin - Cut-Ups Self-Explained (1960 - 1962)

soundWilliam S. Burroughs - Are You tracking Me? (1965)



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Colin Fallows, Künstler, Kurator und Professor für Sound and Visual Arts an der Liverpool John Moores University, hat für das Kunstradio eine Auswahl seltener Aufnahmen zum Thema Cut-ups getroffen. Zum einen handelt es sich um eine Erklärung der Cut-up-Methode von Brion Gysin, zum anderen um ein bedeutendes Stück von William S. Burroughs, für das er verschiedene Formen der Methode anwendet, u.a. auch unter Einbeziehung von Radio.

Die Sendung findet im Rahmen der Ausstellung “Cut-ups, Cut-ins, Cut-outs. Die Kunst des William S. Burroughs” statt, die Colin Fallows für die Kunsthalle Wien zusammengestellt hat. Zu sehen ist die Ausstellung noch bis 21. Oktober 2012. Sie enthält Cut-ups in unterschiedlichen Medien, wie Text-Bild-Collagen, Photo-Montagen, Experimente mit Audiokassetten und Film, sowie die legendären Shotgun Paintings, und sie hebt den medienübergreifenden Charakter seines Werks hervor. Dieses hat bekanntlich viele Bereiche von Popkultur, Kunst, Musik und Techniken des digitalen Samplings beeinflusst.

William S. Burroughs freundete sich 1958 mit dem Künstler Brion Gysin an. Gysin hatte die Cut-up Methode im Oktober 1958 in Paris zufällig entdeckt, oder besser: neu erfunden, als er mit einem Stanley Messer Passepartouts für seine Aquarelle zurechtschnitt. Die Klinge schnitt durch Schichten von Zeitungspapier, die Gysin aufgelegt hatte, um die Oberfläche des Arbeitstisches zu schützen. Als sich die Zeitungspapierschichten nach und nach abschälten, erkannte er, dass die Überlagerung verschiedener Schichten neue Texte entstehen ließ. Er bewegte die Schnipsel hin und her, um neue Phrasen und Sätze zu bauen. Ein paar Tage später zeigte er Burroughs seine Entdeckung. Dieser erkannte in der Spielerei eine für ihn wichtige Arbeitsmethode, um Texte zu erstellen und intuitiv Bilder zu gruppieren, sodass offene, assoziative, narrative Strukturen entstehen. Burroughs sah in der Cut-up Methode eine Möglichkeit, die Grenzen von Sprache auszudehnen und das menschliche Bewusstsein zu beschreiben. Er weitete die Methode auf Sound und bildende Kunst aus und produzierte ein umfassendes Werk in unterschiedlichen Ausformungen. Das Konzept der Cut-up-Collage, das in Dada seine Wurzeln hat, befreite Burroughs von den Einschränkungen eines linearen Erzählstrangs.

Die Sendung eröffnet mit einer Aufnahme von Brion Gysin, der in ‘Cut-Ups Self-Explained’ (ca. 1960-1962) die Grundzüge seiner Arbeitsmethode vorträgt. Publiziert wurde das Stück auf der British Library CD ‘William S. Burroughs and Brion Gysin’ (2012) im Rahmen der Ausstellung in der Kunsthalle Wien. Das Stück enthält Gysins berühmte Aussage, die Literatur sei der Malerei fünfzig Jahre hintennach. Gysin’s zufällige Entdeckung der Cut-up-Methode war eine Fortsetzung der Ideen, die Tristan Tzara in ‘Um ein dadaistisches Gedicht zu machen“ vorbringt:

„Nehmt eine Zeitung. Nehmt Scheren. Wählt in dieser Zeitung einen Artikel von der Länge aus, die Ihr Eurem Gedicht zu geben beabsichtigt. Schneidet den Artikel aus. Schneidet dann sorgfältig jedes Wort dieses Artikels aus und gebt sie in eine Tüte. Schüttelt leicht. Nehmt dann einen Schnipsel nach dem anderen heraus. Schreibt gewissenhaft ab in der Reihenfolge, in der sie aus der Tüte gekommen sind. Das Gedicht wird Euch ähneln. Und damit seid Ihr ein unendlich origineller Schriftsteller mit einer charmanten, wenn auch von den Leuten unverstandenen Sensibilität.“

Gysin, der 1935 mit einigen Dada-Künstlern gemeinsam ausgestellt hatte, war mit deren Werk vertraut, auch – wie Burroughs – durch Robert Motherwells Anthologie ‚The Dada Painters and Poets‘ (1951). Als weitere Vorläufer betrachteten Gysin und Burroughs etwa T.S. Eliots ‚Das wüste Land‘ (‚The Waste Land‘, 1922) und John Dos Passos‘ USA-Trilogie aus den 1930er Jahren. Im Rahmen seines lettristischen Werks entwickelte auch Gil J. Wolman in den 1950er Jahren Cut-up Methoden. Für William S. Burroughs kam Gysins Vorführung der Methode dennoch einer Offenbarung gleich.

Künstler: Brion Gysin
Titel: Cut-Ups Self-Explained
Aufnahmedatum: ca. 1960-1962
Dauer: 3’50’’
Aus: William S. Burroughs and Brion Gysin, British Library, NSACD111, London, 2012 [CD]

Der zweite Teil der Sendung beinhaltet eines von Burroughs wichtigsten Soundwerken, das mithilfe der Cut-up Methode entstanden ist. Das Stück mit dem Titel ‘Are You Tracking Me?’ (1965) wurde in New York aufgenommen, und es kombiniert Radio Cut-ins mit einer von Burroughs eingelesenen Tonspur. Die regelmäßig veränderten Radiofrequenzen pausieren hin und wieder an Stellen, wo Rauschen oder Morse-ähnliche Geräusche zu hören sind, abwechselnd mit Nachrichten in englischer Sprache und Musik, mit deutschen und spanischsprachigen Sendern. Gelegentlich korrespondieren Burrough’s Cut-ins mit dem Radiosprecher. Das Stück enthält auch Ausschnitte eines Englischkurses – eine Anspielung auf Themen, die der Sprache und der Kommunikation zugrunde liegen. Die Kombination von Popmusik, Nachrichten, Werbung und Fragmenten aus Burroughs’ eigenen Short Stories erzeugt ein faszinierendes Soundscape zum Überthema der Kommunikation in den USA der 1960er Jahre. Das Stück endet damit, dass Burroughs zwischen Kurzwellen-Sendungen, internationalem Sprachgemisch und Radiorauschen herumschaltet.

Künstler: William S. Burroughs
Titel: Are You Tracking Me?
Aufnahmedatum: 1965
Dauer: 44’30’’
Aus: William S. Burroughs: Real English Tea Made Here, Audio Research Editions, ARECD301, Liverpool, 2007 [3 CDs]

Viele der Cut-up-Soundarbeiten, Schlüsselwerke Burroughs, sind auf der dreiteiligen CD ‘Real English Tea Made Here’ (2007) enthalten. Sie geben wertvolle Einblicke in Burroughs’ Methodologie und dokumentieren, wie er seine Cut-up Praxis von Papier auf die Stimme und Experimente mit Sound ausweitete. Die meisten der Tonband-Arbeiten wurden in Tangier und New York umgesetzt, unter Verwendung von analogem Tonband und Sound-zu-Sound-Technologie. Spätere Werke, die nicht erhalten sind, nahm Burroughs 1965 in Paul McCartneys kleinem Experimental-Tonstudio am Montagu Square in London auf, mit dessen Manager, Ian Sommerville, er befreundet war. Burroughs war ein regelmäßiger Besucher und u.a. Zeuge davon, wie McCartney ‚Eleanor Rigby‘ komponierte. Umgekehrt konnte McCartney alles über Cut-ups erfahren.

Burroughs’ ausgiebige Beschäftigung mit der Cut-up Methode und ihren vielen, unterschiedlichen Ausformungen eröffnete Künstlern neue Möglichkeiten des Schreibens und der Arbeit mit Sound. Er machte Cut-up-Soundarbeiten und Audiocollagen lange bevor das als künstlerische Technik anerkannt war.

Link:
http://www.kunsthallewien.at/cgi-bin/event/event.pl?id=4625&lang=de

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