"DER HIMMELBLAUE PROTEUS" (Epyllion)
Projekt für ORF Kunstradio 2011von Peter Pessl


Auf die Verse 387 - 424 des Proteus - Epyllions
aus Vergils "Georgica" ("Vom Landbau"),
die (ich) vorsprechen hörte (und später viele mehr,
mit Glasgrün gefärbte, im Nebelgrimm),
als (ich) weithin wanderte wachte
(und wetterte), in jenem schwarzen Eichenwald Latiums,
den man den ciminischen nennt:

"In der Tiefe des Carphatischen Meeres wohnt ein Seher, der himmelblaue Proteus, der mit Fischen und einem Gespann zweifüssiger Seepferde über das weite Meer fährt. Dieser besucht eben Emathiens Häfen und seine Heimat Pallene; ihn verehren wir Nymphen und selbst der uralte Nereus, weil er als Seher alles weiss, was ist, was war und was bald in Zukunft heraufzieht; also nämlich wollte es Neptun, dessen riesige Rinder und garstige Robben er in der Tiefe weidet. Diesen, lieber Sohn (Aristaeus), lege erst in Fesseln, damit er dir jeglichen Grund der Seuche enthüllt und glücklichen Ausgang verleiht. Denn ohne Gewalt erteilt er dir keinen Rat, und Bitten beugen ihn nicht; gebrauche harten Zwang und ziehe dem Gefangenen die Fesseln scharf an; daran allein werden seine eitlen Ränke zerschellen. Ich selbst führe dich, wenn die Sonne die Mittagsglut entzündet, wenn das Gras schon verschmachtet und sich das Vieh schon nach Schatten sehnt, zum Versteck des Alten, in das er sich, ermüdet von den Wogen, zurückzieht, so dass du ihn leicht überfallen kannst, wenn er schlummernd daliegt. Hast du ihn aber gefasst und seine Hände in Fesseln geschnürt, dann werden dich allerlei Gestalten und Tiergebilde narren, wird er doch plötzlich zum borstigen Eber, zum schrecklichen Tiger, wird schuppiger Drache und fahlmähnige Löwin, oder er prasselt als Flamme und will so den Banden entschlüpfen, oder wird, zu rieselndem Wasser zerfliessend, entrinnen wollen. Doch je mehr er sich in alle Formen wandelt, desto straffer schnüre, lieber Sohn, die Bande der Fesseln, bis er sich wieder in den verwandelt, den du sahst, als der erste Schlaf ihm die Augen bedeckte."
So sprach sie (Cyrene), goss feuchte, wohlriechende Ambrosia aus und salbte damit den ganzen Leib ihres Sohnes; da duftete ihm das schön geordnete Haar von köstlichem Wohlgeruch, und geschmeidige Kraft drang ihm in die Glieder. Tief streckt sich eine Höhle in der hohlen Flanke eines Berges, in die der Sturm Wasser in Fülle drängt, das sich in tiefe Winkel verteilt, seit jeher der sicherste Zufluchtsort für überraschte Schiffer; drinnen birgt sich Proteus im Schutz eines mächtigen Felsriegels. Dort versteckte die Nymphe den Jüngling im dunklen Winkel und blieb selbst ein wenig entfernt in einen Nebelschleier gehüllt stehen."

antwortete (ich), weil die glasgrünen Verse,
dringend, Antwort wollten!,
ganz himmelblaues Echo, Anprall, Ach,
im Gewitter (Fragewinter war),
als (ich) allein, bewölkt nur mit Tauben,
(und für immer unstet) reiste in allseits
rasender Sprache, die Wennsprache,
ganz Verwüstung, Wannsprache war,
als Sprengsel Tupfen grober Bärenhüter Abyssus,
so:

(Dem Waldknauf gehörte ich an)

"Waldmutter Wannwann,
Wiesenschwester Wennwenn,
dir (immermir) erzähle ich viel
in den abflachen blauenden Dammwäldern,
(dem Waldknauf gehörte ich an).
"Wannauch!" rufe ich, "Wennauch!"
wie der himmelblaue Proteus mich rettete,
den du mir nanntest, tröstend, als Zuflucht,
als ich wesensjung war, Taube (Tarantel),
und allein mit der kochenden Sprache, die abfloss,
tropfend aus hohem Gestein einer Traufe im Berg,
der sich reiht, parliert, sanft hinreiht.     Und schwarzer Stotter Tierbildnisse Phönix Bläh
flossen mir aus den Händen, auswärtig, die ich mit Stimmen besprach,
Lockstimmen Flammenspeer,
(und schweres, unvorhersehbares Unglück,
Frauenunglück dann und wann),
die so sehr verschieden waren vom Klang der Menschenstimmen,
weisse Schwanstimmen Froschsingen kamen mir,
und Menschenseelen durstig, dunstig (Malabar).
Seitenlang sah ich wucherndes Pflanzenwerk (böse),
dürftige Takelagen, Dursttraum, Trockenstoff Thermo, Stachelmärz.
Und hoch warf sich in einmal die Sprache der Wiesen auf,
(die himmelhohe Wirkwiesen nur im Mythos sind),
in die himmelblaue, die Aberluft, die ich einzog, als Wolf,
und immer mit den Schritten, den Fangbewegungen meiner,
deiner, der rot bemalten Arme Würgarme Pfoten Frame,
stürzten Flöckchen, goldene, weisse, rote,
von Butter, von Eichblatt, von Eisen, in tausend Arabesken
nieder vor mir, der ich offen staunte, notierte, zeichnete, stanzte,
war ich doch langlang ausgesetzt gewesen
(nur) den Verwüstungen der Seelenteiche, der Falze,
dem Körperspann.     Proteus aber, den ich fischte,
trocknete, streng festband, löste mich aus jeder, der harten Bedrängnis (mit Zangen),
nahm die Riemen mir ab der geschwärzten Sprache,
die lebenslang lackt und leimt,
führte mich ans Tageslicht einer Windlichtung, immens,
einer Stadtlichtung Mondstadt Weltpark, die ganz bunt,
ganz froher Nachmittag, Nähung aus Sounds
war, dabei hölzern, roh, vernünftig,
und gab mir Krapfen zu tragen stattdessen, Borten,
dampfende Formeln, den fernsten Alpenklang!
Stahlträger bog er vor mir zu Kreisen!
Feuer schrieb er aus schuppigem Leib lang aus,
und ein interner Schweif aus Helis (bärtigen Helikoptern)
hing uns weitweit nach, waren wir doch glückhaft einsgeworden
(unisono) als Wiesengrund, Nasssport, Amalgam!"

Das Radioprojekt "Der himmelblaue Proteus" besteht, wie man (leicht) sehen kann, aus einem einleitenden Gedicht "(Dem Waldknauf gehörte ich an)", einem Video mit dem Titel "Proteus, Allhau, 15. August", einem 8 - teiligen Tableau aus 25 Fotografien, sowie einem ca. 40 minütigen Hörstück (wiederum konzentriert in 8 Parts).
Ineinander (fein) verzahnt von der HörerIn, BetrachterIn, von der beweglichen (und bewegten) LeserIn, bilden die (grundsätzlich schon auch) frei rangierenden Bestandteile ein Epyllion, also ein höchst verspieltes, kleines Epos ("Epchen") in lyrischer Form, in Himmelblau, ein sagenhaftes Antwort – Epyllion auf den omnipräsenten Vergil, das als fröhlicher Einschub gelten kann (und gilt) in meine vierbändige Textarbeit der "Aufzeichnungen aus dem Himalaya" (die seit 2006 im Ritter-Verlag Klagenfurt erscheint).