Sonntag, 13. Mai 2012, 23:03 - 23:59, Ö1
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KUNSTRADIO - RADIOKUNST





„Okeanide”

von Arsenije Jovanovic


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"Immer wenn ich aufgefordert werde, ‘ein paar Worte’ über ein neues Stück zu schreiben, bevor es im Radio uraufgeführt wird, bereitet mir das Unbehagen. Es erinnert mich an die Zeit, als ich Theaterdirektor war und zwangsläufig mein Konzept für die Besetzung, oder – noch schlimmer – für die Behörden, die gefürchteten Apparatschiks, darlegen musste.
Apparatschik ist freilich der umgangssprachliche russische Ausdruck für Vollzeit-Theater-Verwalter, die für die politische Korrektheit des Theaterprogramms verantwortlich waren. Glücklicherweise drehte sich mein Theaterleben in meinem vom Unglück verfolgten Land, Jugoslawien, vor allem um Belgrad und dessen Umgebung. Unsere Apparatischks waren milder als ihre Sowjetischen Kollegen. Nichtsdestotrotz, das Apparatschik-Syndrom bleibt in meinem Gedächtnis als chronischer, unheilbarer Frust eingebettet. Es löst in mir eine Art Revolutionswillen aus und eine Abneigung, das Konzept meiner Arbeit erklären zu müssen.

Warum schreibe ich das? Weil ich in meinem Gedächtnis Zeit und Ereignisse vertauscht habe. Heute gibt es die Apparatschiks nicht, und auch nicht die Verpflichtung Konzepte, ob im Theater oder Radio, auszulegen. Dennoch, die Aufforderung ‘ein paar Worte’ zu schreiben, wirft mich unweigerlich zurück in die Zeiten von ‘konzepcija’. Es bereitet mir ausgeprägtes Unbehagen, meine Arbeiten mit Worten erklären zu müssen, als wäre ich ein Händler am Markt. Ich könnte stundenlang über ‘Okeanide’ sprechen, und was ich in diesen Stunden mitteilen könnte, würde einige Zuhörer glücklich machen, aber nicht mich, und sicher nicht alle. ‚Okeanide’ ist, wie jedes andere Kunstwerk, grenzenlos, wie ein fließender Strom, nie gleich, nicht wiederholbar, ein Fluss in der Vorstellung der Hörer, anders als meiner. Es gibt daher viele Flüsse und viele Okeaniden. In der griechischen und in der römischen Mythologie waren die Okeaniden dreitausend göttliche Nymphen, die über die Wasserquellen der Erde walteten, über die Regenwolken, die unterirdischen Quellen, die Berge, Seen, Meer und Ozeane. Im Radioraum gibt es wohl viel mehr Gottheiten als in irgendeinem Ozean rund um den Globus. Warum sollte ein Autor mit ‘ein paar Worten’ sich darin einmischen? Seine Aufgabe ist erledigt, und der Rest ist Stille. Jegliche Wörter oder lange Monologe werden das, was außerhalb seiner Kontrolle im Fluss ist, nur trüben."

(Arsenije Jovanovic)

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