Sonntag, 2. Oktober 2011, 23:03 - 23:59, Ö1
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KUNSTRADIO - RADIOKUNST





"Der Pfad zur linken Hand"

von Marcus Maeder
Übertragung in 5.1 Surround Sound


A COPY OF THIS PROGRAM CAN BE ORDERED FROM THE "ORF TONBANDDIENST"
„Der Pfad zur linken Hand“ ist ein akustisches Sittengemälde, ein des Schweizer Medienkünstlers Marcus Maeder. Im Rahmen des musikprotokolls im steirischen herbst ist „Der Pfad zur linken Hand“ als topographisches Hörspiel erlebbar. Das Kunstradio präsentiert eine Radiofassung.

Seit einigen Jahren wächst der Einfluss rechtskonservativer Politik. Das unverhohlene Ausgrenzen vermeintlich Anderer, von Menschen mit unterschiedlichen nationalen, ethnischen oder religiösen Wurzeln scheint wieder salonfähig zu werden. Rechtspopulistische Polemik, oftmals religiös argumentiert, übertönt die Diskurse jener, die versuchen, die nötigen Grundlagen zu erforschen. Der Pfad zur linken Hand ist ein begehbares, akustisches Sittengemälde einer Gesellschaft, die globalisierte Märkte und Machtverhältnisse zur Grundlage ihrer kulturellen, sozialen und politischen Strukturen hat werden lassen. Ausgestattet mit Smartphones, Kopfhörern und einer eigens für dieses Projekt geschaffenen Applikation werden die Besucherinnen und Besucher zu einem Spaziergang durch die Grazer Innenstadt eingeladen, über die Marcus Maeder ein virtuelles Diskursfeld gespannt hat: Bei einer Stadtwanderung vom Schloßberg in den Stadtpark eröffnen sich neue Denkpfade und Argumentationswege. Zum Erkunden des topografischen Hörspiels in Graz kann man das  Smartphone benutzen oder sich auf  http://www.thelefthandpath.net für ein Leihgerät anmelden.

 
6. Oktober 2011, 18 Uhr: Dom im Berg, Projektstart und Präsentation „Der Pfad zur linken Hand“

7.-9. Oktober 2011, 12-18 Uhr: Dom im Berg, Startpunkt des topografischen Hörspiels Der Pfad zur linken Hand  in Graz


Konzeption, Text, Regie, Musik: Marcus Maeder
Software, Musik, Interaktivität: Jan Schacher
Sprecherinnen und Sprecher: Helmut Bohatsch, Michou Friesz, Karl Hoess, Michael Köppel, Aimie Rehburg


Unterstützt durch: Schweizer Kulturstiftung Pro Helvetia und sitemapping des Bundesamtes für Kultur BAK sowie SRF Schweizer Radio und Fernsehen, Völkerkundemuseum der Universität Zürich.
Projektpartner: HTC (Smartphones) und Holding Graz Schlossberglift-Service.

Eine Koproduktion des Kunstradios mit dem musikprotokoll im steirischen herbst in Graz.

Präsentation: Shedhalle Zürich, Testversion im Rahmen der Ausstellung 'connect'.


Zum Konzept:

Der Pfad zur linken Hand als Begriff entstammt der indischen Mythologie und bezeichnet religiöse und weltliche Praktiken, welche dem etablierten, homogenen, dem "rechten" Glauben gegenüberstehen. In Indien und in anderen Kulturkreisen werden die so genannten "schmutzigen" Tätigkeiten mit der linken Hand verrichtet; die linke Seite steht für die Überschreitung gesellschaftlicher Tabus. Im Westen wird der Begriff für die Bezeichnung von Denkweisen verwendet, die sich mit dem Widersächlichen, Oppositionellen beschäftigen: Auf dem Pfad zur linken Hand ist meist der Teufel höchstpersönlich der Weggefährte. Die Hörerinnen und Hörer des topografischen Hörspiels Der Pfad zur linken Hand werden auf Denkpfade geführt, die entlang einer Opposition "gegen die Verhältnisse" in einer Gesellschaft verlaufen, deren sozialer und ökologischer Fortschritt einem monetären Neofeudalismus zu erliegen droht.

Mit den globalen Wirtschafts- und Terrorismuskrisen der letzten Jahre hat sich konservatives Denken reinstalliert. Rechtspopulistische Politik und ihre Ausgrenzungsbestrebungen im Wohlstandsgefälle, sei es über nationale/ethnische Identität oder religiöse Ansichten, werden wieder salonfähig. Populistische/konservative und religiöse Heilsversprechungen übertönen rationale Diskurse darüber, wie wir unser Leben führen wollen und wie sich die Gesellschaft weiter entwickeln soll. Heute zeigt sich ein von der Omnipräsenz monetärer Beziehungen geprägtes Gesellschaftsbild, in dem die Dichte der in ihm versammelten Mythen unüberschaubar, zum eigentlichen Dickicht geworden ist und wo Macht, Geld und Glaube ineinander diffundieren - der (post-) postmoderne, globale Kapitalismus ist zum von Deleuze/Guattari's gemalten, unüberschaubaren und kunterbunten Gemälde, von alldem, was geglaubt worden ist, geworden. Hinter dem "ideologischen Vorhang des hygienischem Fabrikraums, von Volkswagen und Sportpalast," wie es Adorno und Horkheimer in Dialektik der Aufklärung bereits 1944 formulierten, zieht sich erneutes Unheil zusammen, das in der Re- und Neuinstallation von Machtverhältnissen besteht und die Weltgesellschaft deutlicher den je in Besitzende und Besitzlose aufteilt.

Es stellt sich von neuem die Frage, worin heutzutage aufklärerische Prozesse - damit sind gesellschaftliche Bewusstseinsprozesse gemeint, die Machtverhältnisse offenlegen und überwinden - bestehen müssten. Wenn als Emergenz des künstlerischen Systems des Pfads zur linken Hand ein "luziferischer" Geist aufscheint, so tritt dieser als aufklärerischer Archetyp, als Gegenspieler und Aufbegehrer auf den Plan, der in seiner Polemik und seinem Scheitern an den Verhältnissen die Hörerinnen und Hörer zu einer Sache ganz konkret auffordern will, nämlich der Grundforderung der Aufklärung schlechthin, wie sie Kant bereits mit seinem "sapere aude! - Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!" formuliert hat. Auf dem Pfad zur linken Hand wird sich die grundsätzlich aufklärerische Frage stellen: In welcher Gesellschaft leben wir? Wollen wir so leben? Wie können wir unser Schicksal gemeinsam bestimmen? Im Hörspiel werden diese Fragen von Figuren aufgeworfen, die sich durch ihre oppositionelle Haltung gegenüber ihrem Umfeld auszeichnen: Künstler, politisch Radikale, Intellektuelle, Sektengurus, Trinker, Ausgebeutete, Alternative. Der Pfad zur linken Hand ist ein inhaltlicher Irrgarten. Meinungen sind hier in ihrer Vielzahl vertreten, Sackgassen zuhauf vorhanden. Doch welche Denkpfade führen heraus? Finden die Hörer/innen ihren eigenen Weg aus diesem Labyrinth des Denkens? Dabei spielt die historische Entwicklung von Labyrinthen und der Wandel ihrer Funktion eine wichtige Rolle: "In der Abkehr vom Labyrinth des Spätmittelalters ohne Wegverzweigungen und mit einem Zentrum und der Zuwendung zum Irrgarten mit Abzweigungen, Kreuzungen, Sackgassen und Wegschlaufen spiegelt sich auch ein geistiger Wandel, der die selbstverantwortliche Entscheidung des einzelnen Menschen, der sich nicht mehr bedingungslos durch göttliche oder weltliche Fügung geleitet sieht, wiedergibt," so der Wiki-Eintrag.

Das topografische Hörspiel Der Pfad zur linken Hand ist als GPS- und Audioanwendung für Smartphones (iPhone und Android-Geräte) herunterladbar. Der Pfad zur linken Hand ist als nomadisches Game angelegt. Die Hörerinnen und Hörer sollen mit ihrem Gerät, einem Kopfhörer und der darauf installierten App in einem ausgesuchen Gebiet herumgehen - "umherirren" - und auf in der Landschaft angelegte Erzählsegmente treffen. Das Spiel ist in seiner Erzählform nichtlinear. Die Segmente weisen wohl inhaltliche Zusammenhänge untereinander auf, sie sind aber nicht Teil einer kausalen Erzählstruktur, vielmehr entsteht ein Zusammenhang als Emergenz des Systems. Das heisst, dass für jede/n den Pfad Begehende/n durch seine individuelle Wegroute eine eigene Abfolge von Erzählsegmenten entsteht, auf die sie/er sich einen Reim machen muss. Sinn muss zu einem grossen Teil selbst, über die eigene Erfahrung und das eigene Denken hergestellt werden, auch wenn die Thematik vorgegeben ist. Der Pfad zur linken Hand ist so eine eigentliche Aporie, ein philosophischer Weg ohne Weg: Eine Ausweg-,  eine Weglosigkeit, aus der verschiedene und widersprüchliche Wege hinaus führen können.

Links:                  
http://musikprotokoll.orf.at
http://www.derpfadzurlinkenhand.net
http://www.domizil.ch/marcus_maeder


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