Sonntag, 1. Mai 2011, 23:03 - 23:45, Ö1
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KUNSTRADIO - RADIOKUNST






„vom Umarmen des Komponisten auf dem offenen Soffa“

von Friederike Mayröcker und Bodo Hell

Ton: Martin Leitner

in 5.1 Surround Sound


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Das Hörstück von Friederike Mayröcker und Bodo Hell ist ursprünglich als Soundinstallation für den Außenraum aufgenommen worden war: „vom Umarmen des Komponisten auf dem offenen Soffa“ ist als Zusammenarbeit von Mayröcker und Hell für die Organisation Tonspur in Wien entstanden. Zu hören war die Soundinstallation letztes Jahr in der Tonspur-Passage im MuseumQuartier, sowie in Berlin auf dem Schlossplatz. Fürs Kunstradio wurde das Hörstück zu einer Radioversion in 5.1-Surround-Sound verarbeitet.

Der Text der 1924 in Wien geborenen Dichterin Friederike Mayröcker bezieht sich auf das Leben des Komponisten Robert Schumann, der mit der Pianistin Clara Schumann verheiratet war und seine letzten Lebensjahre an Wahnvorstellungen leidend in einer Nervenheilanstalt bei Bonn verbrachte. Die ärztlichen Aufzeichnungen aus dieser Zeit, die detailliert Tagesabläufe, den gesundheitlichen Zustand Robert Schumanns bis hin zu seiner Verdauung und therapeutische Methoden enthalten, sowie Briefe und Tagebücher Clara Schumanns hat Mayröcker für die Recherche verwendet. Dennoch löst sich ihr Text von der Biographie Schumanns los, etwa in dem sie seinen Charakter mit anderen Persönlichkeiten, auch ihrer eigenen, überlagert, oder indem sie die Personen in die Gegenwart holt, wenn sie etwa telefonieren oder ins Café Drechsler gehen.
In Reaktion auf Mayröckers Neologismen und Traumwörter hat der Autor Bodo Hell den Text mit zwischenrufartigen Anmerkungen versehen und seine Gedanken dazwischengeschaltet – für beide eine sehr anregende Form des literarischen Austauschs.

soundFriederike Mayröcker und Bodo Hell im Gespräch



Eingelesen haben die beiden ihre jeweiligen Texte selbst und separat, um nicht auch noch auf die akustisch direkt aufeinander einzugehen, denn im Grunde handelt es sich um eine Lektüre mit zwei Stimmen. Arrangiert wurde das Material in 5.1 Surround Sound von Tonmeister Martin Leitner, wobei die Stimmen jeweils unterschiedliche Spuren belegen.


Foto by Didi Sattmann


Elisabeth von Samsonow

Zu Friederike Mayröckers TONSPUR

„vom Umarmen des Komponisten auf dem offenen Soffa“

MuseumsQuartier Wien / Schloßplatz Berlin


„Glücklicherweise ist Friederike Mayröcker eine Autorin, die Texte produziert, in denen das Ereignis der Textwerdung selbst Thema ist. Das sind dann die Texte, auf die sich die Literaturwissenschaftler stürzen wie Ertrinkende, um aus ihnen das jeweilige Textgeheimnis herauszusaugen. Friederike Mayröckers innere Maschinerie der Textproduktion wird von berufenen Anatomen bzw. Literaturwissenschaftlern, dies ich auf derlei Organe spezialisieren, ausführlich unter die Lupe genommen. Ihre Anatomie ist soweit schematisch bekannt, ungefähr wie die der Vaucansonschen Ente. Dieser berühmte Automat wurde mit Weizenkörnern gefüttert und produzierte dann wirklich ein Verdauungsprodukt. Die Vaucansonsche Ente war eine Sensation, ein lebendiger Apparat. Friederike Mayröckers Anatomie ist etwa folgendermaßen angelegt, wie sie selbst nicht müde wird, zu versichern: Die Ausgangsmaterie der Textproduktion ist immer das zu Sehende. Dieses zu Sehende, welches Mayröcker nicht nur als radikaler Augenmensch, sondern auch als veritable Seherin – wenn es erlaubt ist, diesem medialen Titel an dieser Stelle einen neuen Sinn zu geben – zu sich nimmt, wird also nun „umgesetzt“, wie der schlechte neudeutsche, allerdings sehr treffend an die Dimension des Stoffwechsels erinnernde Begriff hieße. Friederike Mayröcker setzt also nun das zu Sehendem in Geschriebenes um, an sich bereits ein Vorgang, der an Kunstfertigkeit den Mechanismus der Vaucansonschen Ente weit in den Schatten stellt. Der französische Anthropologe Leroi-Gourhan hätte gesagt, besagter Akt vollzieht sich im Auge-Hand-Feld, indem das Auge in inniger Komplizenschaft mit den Händen (tippend) eine ungeheuerliche Transformation am sichtbaren Ausgangsstoff vollzieht. Die Seherin evaporiert gewissermaßen die Zeilen aus den Augen, unterstützt durch die schwirrende und schwärmende Tätigkeit der Finger auf den Tasten. Damit könnte der Vorgang soweit in seinen wichtigsten Zügen beschrieben sein, wäre da nicht eine weitere Umsetzung, die am Medienkreis des Sichtbaren-Lesbaren hängt wie ein weiterer, nämlich wie ein Operationsverstärker (dies ein Begriff aus der Elektrotechnik). Es handelt sich um den (Schalt-)Kreis, der zwischen dem Lesbaren und dem Hörbaren, sofern diese wiederum mit Sprechen und Hören in ein und demselben Selbstverständigungsakt zusammenhängen, vermittelt. Die Schrift also,  die sich ihrerseits so klar einem Exzeß, nämlich dem exzessiven Sehen, der concupiscentia oculorum, verdankt, ist nicht bereit, sich in sich selbst in Schranken zu halten (content, Inhalt). Beziehungsweise: es ist ihr nicht möglich. Das volle Auge, aus dem die Schrift wie aus einer Quelle hervorgequollen ist, nämlich als Tränenschrift, verpflichtet also die Autorin zum medialen Exzeß, was nichts anderes heißt wie: immer und wieder überquellen wollen und müssen, wie der berühmte Hirsebrei im Märchen überläuft. Gewissermaßen in Befolgung der biblischen Devise, die da besagt, daß des Mund überläuft, wes Herz voll ist, blähen sich einige der Texte gleichsam auf (se gonflent) in der Forderung nach Intonation. In dem so harmlosen klingenden Gattungsbegriff des „Hörspiels“ ist dieser Imperativ des nach seiner Verlautbarung drängenden Geistes unter den Tisch gefallen. Die Forderung des Textes nach seiner Verlautbarung führt also die Aufgabe  ein, nicht nur, wie üblich, die Sprechwerkzeuge die lautlosen und eigentlich lächerlichen Schrumpfbewegungen ausführen zu lassen, die wir reflexartig bei der stillen Lektüre vollbringen, als physische Erinnerung an ein ehemals lautes Lesen, sondern durch den volltönenden gestalteten Vortrag diejenige Dimension aus dem Text wieder zu explizieren, zu entfalten (Exzeß, „Hervortritt“ werden zu lassen), die an ihm „Lautschrift“, Komposition aus Gurr-, Knack-, Summ- und Schnalzlauten, durchsetzt vom Vokaltönen, ist.

Das zu Sehende, das zu Hörende


Im luziden Text eines Hörspiels aus dem Jahr 1997 läßt Mayröcker die beiden Protagonisten – man könnte auch sagen: Genien – ihres künstlerischen „Operationsverstärkers“ (Schaltkreis zwischen dem zu Sehenden/Lesenden und dem zu Hörenden) logischerweise nebeneinander auftreten. Es sind dies Narkissus und Echo, wie es auch nicht anders sein kann. Narkissus steht für die Instanz, die im Sichtbaren unmittelbar Spiegelbildlichkeit verzeichnet. Alles Sichtbare ist demnach Narkissus-relevantes, diesen selbst widerspiegelndes Objektives. In Narkissus ist ein besonderes Verhältnis zum Sichtbaren ausgedrückt. Wenn man sich beispielsweise an Caravaggios Narziß-Bild erinnert, wird man darin die Ikone einer Kunst ausmachen können, die insofern dem Sichtbaren den Vorrang gibt., als in ihm wohl ein Löwenanteil an Wahrnehmbaren zu Verfügung steht (auch die Schrift, dann. Insofern nicht nur Privileg der MalerInnen). Mayröckers Narkissus im Stück „das zu Sehende das zu Hörende“ starrt etwa „das mit weißer Kreide gezeichnete Fenster“ an, während Echo tut, was sie tun muß, nämlich als Zwittergestalt über dem Schädel des Narziß kreisen. In der Nähe eines Sofas, auch diesmal, wiederholt Echo mechanisch selbst die Schmerzensschreie des Narziß. was die Autorin mit einem in Klammer gesetzten Kommentar versieht: „(sie echot vor sich hin, echot ihre eigenen Phantasien)“ (Friederike Mayröcker: das zu Sehende, das zu Hörende, Frankfurt/Main 1997, S.18f )

Mit der TONSPUR für die Passage im MuseumsQuartier ist eine Arbeit entstanden, die das Thema der reflektierenden Sprache (Echo) wieder aufzunehmen scheint, diesmal gebunden an das Thema des Komponisten und dessen Frau, Clara. Die imaginäre Anatomie Mayröckers, die dem Sichtbaren den Vorrang gibt, wird auch in diesem Stück eingeführt, und zwar gleich in den einleitenden Passagen, in denen von einer fehlenden Person auf einer Photographie die Rede ist. Bevor also noch der Komponist zur Sprache kommt, also das Thema Ton und Tönendes Gegenstand der Tonspur wird, versucht die Autorin, den Hörer durch die Einführung einer raffinierten bildlogischen Erzählung zu fesseln  Die bildlogische Erzählung ist berichtet von einer Frau, die man unfreiwillig photographiert hat und die dann auf dem Bild fehlt. Dort, wo sie zu sein hätte, ist sie auf dem Bild ausgeschnitten. Das Bild, auf dem etwas fehlt, nämlich die Figur der Frau fehlt, zwingt uns zum Sprung mitten in Mayröckers Medien- oder Mädchenlogik. Die fehlende Frau auf dem Bild  kann die nicht sichtbare Sprecherin sein, die abwesende Sprecherin. Ist es vielleicht sogar die Autorin? Dann der Schwenk, die Kurve zur Pianistin, die weiterhin die  Instanz bleibt – so die Pianistin - , die alles bezeugt oder deutet. Auch der Komponist hat, in armseligem moribunden Zustand, Recht auf ein: „so der Komponist.“. Dann wird allmählich klar, was den Bauplan dieses Stücks ausmacht: die Verweise auf das Telefon, auf den Hörer, auf das Grammophon, auf die ganze Phonie und Telephonie, ineinandergeflochten mit der Dramaspur des „verwelkenden“ Komponisten und den interessanten Zuständlichkeiten der Pianistin, unter ihnen insbesondere das „bisschen Schwangerschaft“. Wenn die Ohren ins Spiel kommen, wird immer von Hörigkeit und Empfängnis die Rede sein, von Wahrnehmungsqualitäten also, die den Operationsverstärker (als vertonter Text, als gesprochene Rede, als Verlautbarung des Geistes) ausmachen und ihm die Farbe geben.

Diesmal tönt es so, als seien die Rollen vertauscht: der Text, außerordentlich gut gesprochen von der Autorin selbst, wird umflattert und umrauscht von einer suggestiv wispernden, aufgeregten Stimme. Diesmal ist Echo männlich, spricht mit der Stimme von Bodo Hell. Die mit Schumann und Clara „befreundete“ Autorin, die die beiden aus nächster Nähe beobachtet und mit ihnen in der Stadt herumgeht, in einer fiktiven privilegierten Interaktion, ist aber eigentlich nicht Narziß. Auch sie ist Echo, eine Version der Echo, eine aufgeklärte, sich selbst als Ursprung der Erzählung konstituierende Echo. Das ganze Stück ist also Echo-Stoff, d.h. der Herstellung und gleichzeitigem Lauschen des Halls der eigenen Stimme, die sich in einer Erzählung von der Verzweigung der hörbaren Dinge ergeht, verpflichtet.

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