SONNTAG, 22. Februar 2009, 23:03 - 23:45, Ö1

KUNSTRADIO - RADIOKUNST


 

in memoriam - Max Neuhaus 1939 - 2009


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Max Neuhaus, US-amerikanischer Musiker und Künstler, ist Anfang Februar im Alter von 69 Jahren in Italien verstorben. Als Musiker ausgebildet, arbeitete Neuhaus in den 1960er Jahren unter anderem mit Pierre Boulez und Karlheinz Stockhausen zusammen und erfand frühe elektroakustische Instrumente. Neuhaus zählt zu den ersten Künstlern, die Klang als skulpturales Element in die zeitgenössische Kunst einführten.

1939 in Beaumont, Texas, geboren, absolvierte Max Neuhaus ein Schlagzeugstudium in New York und war bereits in jungen Jahren als Interpret experimenteller Musik höchst erfolgreich. Er arbeitete mit Komponisten wie Pierre Boulez, Karlheinz Stockhausen und John Cage; er tourte durch Europa und die USA, wo er unter anderem in der New Yorker Carnegie Hall auftrat.

In den 1960er Jahren begann sich Max Neuhaus zunehmend dafür zu interessieren, was man mit Sound noch machen könne, außer Musik. So konstruierte er 1967 ein Gerät namens „Maxfeed“, das einem Transistorradio ähnelt - nur dass es keine akustischen Signale empfängt, sondern sie selbst produziert.

Außerdem überlegte er als Musiker Möglichkeiten, den Konzertsaal zu verlassen und das Publikum in den öffentlichen Raum mitzunehmen - zu beschränkt schienen ihm die Konventionen eines Konzertbesuches. Da seine Experimente mit Sound Installationen jedoch nach wie vor als Musik aufgefasst wurden, sah er sich gezwungen, einen Bruch zu machen: er nannte das später einen karrieretechnischen Selbstmord als Musiker.

Eine seiner bekanntesten Arbeiten - die erste permanente im öffentlichen Raum - entstand 1977 am Times Square in New York. Nach mehrjähriger Unterbrechung ist sie dort seit 2002 wieder zu hören.

Sound Installationen im öffentlichen Raum, die nicht als Kunstwerk gekennzeichnet sind, erlauben zufällige Begegnungen auch mit einem Publikum, das den Konzertsaal oder das Museum nicht besuchen würde. Für Max Neuhaus war die Sound Installation - diesen Begriff sollte er prägen - eine Weiterentwicklung der Musik. Die Klassifizierungen „Musik“ und „Skulptur“ hinkten ihrer Zeit hinterher, sagte er rückblickend.

Zur Vorbereitung seiner Sound Installationen gehörte, sich mit dem Raum vertraut zu machen und vor allem damit, wie Klang darin funktioniert. Die ortsspezifische Installation wächst dann aus dem heraus, was bereits an akustischem Umfeld vorhanden ist.

Für die Menil Collection http://www.menil.org/ in Houston, Texas, hat Max Neuhaus erst unlängst, 2008, eine permanente Arbeit realisiert.

Interview mit dem Leiter der Menil Collection, Josef Helfenstein (02/2009, in englisch) von Anna Soucek

Entworfen wurde das Hauptgebäude er Menil Collection in Houston vom Architekten Renzo Piano. Zur Sammlung gehören Arbeiten von Mark Rothko, Barnett Newman und Andy Warhol, aber auch byzantinische und mittelalterliche Kunstwerke.

Zur Eröffnung der “Sound Figure“ im Außenraum der Menil Collection, zeigte das Museum 2008 eine Ausstellung von Zeichnungen, die Max Neuhaus „Circumscription Drawings“ nennt. Diese sind zweiteilige graphische Arbeiten - links ein Bild und rechts Text. Für die Sound Figure in Houston fand der Künstler die folgenden Worte, untereinander notiert, wie ein Gedicht:

Neuhaus fertigte die Circumscription Drawings einige Zeit nach der Umsetzung der Installationen an. Sie sind also nicht Vorbereitungsskizzen, sondern stellen eine Art geistige Inventur dar, wie Josef Helfenstein meint.

Nachdem viele temporäre Installationen der 1970er und 80er Jahre nicht mehr bestehen, sind die „Circumscription Drawings“ manchmal auch das einzige, was an Dokumentation übrig bleibt. Auf seiner Website erklärt Max Neuhaus die Funktion dieser Zeichnungen:

In Max Neuhaus' graphischem Werkkatalog findet sich auch eine beschreibende Zeichnung einer Klanginstallation, die er 2004 für das das Kunsthaus Graz realisierte. Sein „Time Piece Graz“ ist seit der Eröffnung des Kunsthauses im Stundentakt zu hören. Eingeladen wurde Neuhaus von den Kuratoren Katrin Bucher Trantow und Peter Pakesch.

Statement Katrin Bucher Trantow (02/2009)

Statement Peter Pakesch (02/2009)

Das „Time Piece Graz“ basierte übrigens auf dem gleichen Prinzip, wie ein Wecker, den Neuhaus in den 1970er entwickelt hatte: Das störende Moment ist nicht die Anwesenheit, sondern die plötzliche Abwesenheit des Tones. Der Künstler reihte diese in eine Gruppe von Arbeiten, die er Moment Works nannte. Er schrieb dazu:

„Ich benutze das Wort ‚Moment' um eine Gruppe von Arbeiten zu bezeichnen, die in der Form öffentlicher Signale auftreten und diese gleichzeitig benutzen. Diese entwickeln sich aus den traditionellen Klängen der Kirchenglocken und Turmuhren - sind Vereiniger, die auf geistiger Ebene die verschiedenen Plätze und Tätigkeiten während des gesamten Tages periodisch verbinden. Diese Kunstwerke führen eine alte Tradition weiter, Töne als fundamentale Referenz für die Gemeinschaft zu nutzen. Nur das Konzept ändert sich dabei: Im Gegensatz zum tradierten akustischen Signal, das einen Ton verursacht und entstehen lässt, nutzen diese Arbeiten das Verschwinden des Tons, um einen Moment der Stille zu formen.“
(Katalog „Einbildung. Das Wahrnehmen in der Kunst“, Kunsthaus Graz, 2003)

Mit Signaltönen im öffentlichen Raum hatte sich Max Neuhaus bereits in den 1980er Jahren befasst - allerdings nicht im Rahmen von Kunstprojekten, sondern aus Interesse an der akustischen Umgebung in der Stadt.

Dazu schrieb er:

„In den achtziger Jahren beschäftigte ich mich mit den Problemen der Sirenen von Rettungsfahrzeugen in den Städten. Die Schwerpunkte des Projekts waren: Wie erzeugt man Signale, die im urbanen Raum geortet werden können, damit die Menschen richtig reagieren, wenn sie eine Sirene hören; wie erzeugt man Signale, die es den Fahrern von Rettungsfahrzeugen ermöglichen, einander bei eingeschalteten Sirenen zu hören, um Kollisionen zu vermeiden; und wie erzeugt man Signale, die wir leichter ertragen können, weil sie Autorität haben, ohne autoritär zu sein.

Das Projekt war rein zweckorientiert - ich wollte mit meinem technischen Fachwissen, das ich bei meinen Klangprojekten erworben hatte, ein meiner Meinung nach ernstes Problem lösen. Ich war deshalb überrascht, als andere Kulturschaffende das Projekt als Kunst interpretierten; meine Überraschung steigerte sich zu Entsetzen, als sie es die ultimative ‚Urbane Symphonie' nannten - als ob man als Künstler oder Komponist lebenslänglich dazu verdammt wäre, nichts als Kunst hervorzubringen. Ich glaube nicht, daß ich komponiere, wenn ich mir ein Spiegelei brate, nur weil dabei ein Geräusch entsteht.

Meine Arbeit am Sirenenprojekt bot mir unter anderem die Möglichkeit, zu beweisen, dass wir nicht einmal die hässlichsten Geräusche in unserem Leben als unvermeidlich akzeptieren müssen. Sound tut etwas, und wir können mit Sound etwas tun.“

(Max Neuhaus „Sound Design“, in „ZEITGLEICH“, Triton Verlag, 1994)

Tonaufnahmen seiner Arbeiten lehnte der Künstler entschieden ab. Ohne die spezifische Umgebung, für die die Klänge gemacht wurden, seien sie bedeutungslos, so seine Ansicht. Josef Helfenstein, Direktor der Menil Collection in Houston, erklärt dazu: das Kunstwerk ist der Ort, Sound allein nur ein Bestandteil davon.

Keine Aufnahmen - diese Anweisung gab Max Neuhaus auch den Technikern, die bei seinen großangelegten Radioperformances an den Reglern waren. Dass sie sich nicht daran hielten, das kam später wohl auch Max Neuhaus entgegen - hat er Mitschnitte von Performances doch auf seine Homepage http://www.max-neuhaus.info/ie.htm gestellt.

„Public Supply 1“ war die erste Arbeit für Radio, die der amerikanische Künstler Max Neuhaus umsetzte. 1966 ging „Public Supply“ auf Sendung: mittels selbstgebauter Technik konnte Max Neuhaus Anrufe, die auf zehn Telephonen im Studio des Senders WBAI eingingen live zusammenmischen und senden. Livesendungen mit Anrufen gab es damals im Radio noch nicht - die Verbindung von Telephonnetzwerk und Radio war daher neu.

Entgegen der Erwartungen der Sendeverantwortlichen, artete die Ausstrahlung nicht zu einer Tirade von Schimpfwörtern und fraglichen Inhalten aus. Nach erweiterten Wiederholungen in anderen Städten, schlug Max Neuhaus dem amerikanischen National Public Radio vor, nicht nur mit einem Sender zu arbeiten, sondern das ganze landesweite Netz einzubinden. In fünf Städten - New York, Dallas, Atlanta, Minneapolis und Los Angeles sollten die Hörer beim Sender anrufen und sich somit an einem gigantischen nonverbalen Dialog beteiligen.

“Radionet” war 1977 über zwei Stunden lang auf über 200 Radiostationen in den USA zu hören. Max Neuhaus nannte es eine live Radio-Komposition mit zehntausenden beteiligten Musikern, eben den Anrufern.

„Radionet“ von 1977, sowie die vorhergehenden „Public Supply“-Projekte, bildeten die Grundlage für Max Neuhaus Internet-Projekt Auracle http://www.auracle.org, einen vernetzten Klanggenerator, der durch die menschliche Stimme gesteuert wird. Dem Gedanken des vernetzten Kommunikationsraums kam das Internet für Neuhaus freilich entgegen - zudem unterliegt es auch keiner zeitlichen Einschränkung wie etwa eine Radiosenddung.

Links:
Max Neuhaus http://www.max-neuhaus.info
Auracle http://www.auracle.org 
Kunsthaus Graz http://www.kunsthausgraz.steiermark.at/cms/ziel/8784561/DE/
Menil Collection http://www.menil.org

Max Neuhaus beim Symposium ZEITGLEICH (1994):
http://www.kunstradio.at/ZEITGLEICH/neuhausd.html
http://www.max-neuhaus.info/ie.htm





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