SONNTAG, 14. September 2008, 23:05. - 23:45, Ö1
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KUNSTRADIO - RADIOKUNST


 


 

„Paradiesische Passage“

von Gerhard Rühm
Übertragung in 5.1-Surround-Sound


A COPY OF THIS PROGRAM CAN BE ORDERED FROM THE "ORF TONBANDDIENST"


 


Foto: Georg Weckwerth

Kunstradio präsentiert neue Sprechtexte, kurze Stücke mit Stimme und Klavier, für das Radio. Interpretiert werden diese von Gerhard Rühm und von seiner Frau Monika Rühm.

„Ich unterscheide ja prinzipiell - also nicht bei allen Sachen, die ich mache - zwischen reinen Lesetexten oder visuellen Texten. Das nenne ich visuelle Poesie, das ist ja auch schon ein Begriff. Und auditiven Texten, die zum Vortrag bestimmt sind. Visuelle Texte, die kann man nur wahrnehmen wenn man sie anschaut, die kann man gar nicht vortragen, weil man natürlich die Verteilung der Buchstaben oder Wörter auf der Fläche nicht akustisch anschaulich machen kann. Während man die Sprechtexte, um sie richtig zu rezipieren, hören muss.  

Ich unterscheide bei den auditiven Texten noch weiter: konzertante Texte, die man live vorträgt und Texte, die dann im Studio bearbeitet werden, die nenne ich synthetische Texte oder radiophone Texte, weil sie ausgesprochen mit den Möglichkeiten des Tonstudios arbeiten. Das sind aber auch Sachen, die noch für mich reine Literatur sind, sofern sie nur mit Wörtern oder mit Lauten arbeiten.“

„Wenn man sich intensiv mit Sprache beschäftigt, und zwar nicht mit der Sprache nur als bloße Mitteilung, sondern mit der Sprache als Material, dann kommt man bei geschriebener Sprache automatisch in den Bereich der bildenden Kunst und bei gesprochener Sprache automatisch in einen Zwischenbereich zur Musik. Weil ja die gesprochene Sprache musikalische Parameter hat, zum Beispiel: Tempo, Lautstärke, Tonhöhe. Das sind alles Momente, die den Text emotional differenzieren, die man nur durch das hören der Stimme in dieser Form wahrnehmen kann. Bei mir liegt das sehr nahe, weil ich Musik studiert habe, ich habe auch Komposition studiert, war auch bei Josef Matthias Hauer. Ich habe die Schönbergsche Zwölftontechnik ebenso wie von Hauer - die übrigens ganz anders ist - studiert. Und Musik ist für mich eine Art tägliches Brot. Dadurch ist das schon sehr nahe.

Genauso ist es auch mit der Zeichnung. Ich habe sehr früh schon visuelle Poesie gemacht, mit Handschrift auch, nicht nur mit Druckbuchstaben. Und wenn man mit Handschrift arbeitet, ist man eigentlich ganz nahe schon an der Zeichnung. Man braucht nur die Buchstaben aufzulösen und gerät schon in eine reine Zeichnung rein. Das ist auch für mich sehr wichtig.

Was noch für mich ein wichtiger Punkt ist, dass Sprache, so wie ich sie verwende, das wäre ein vollkommenes Missverständnis, das als abstrakte Angelegenheiten anzusehen, sondern für mich ist es eine sinnliche Angelegenheit. Wenn man sinnlich mit Sprache umgeht, muss man mit dem Material Sprache umgehen. Und nicht nur mit dem was Sprache mitteilt. Die sinnliche Form von Sprache ist eben die menschliche Stimme.“

Sprechtexte von Gerhard Rühm:

„Orange Ted"

„Schwanenwut, Trauerkatze“

„Rufe des letzten Menschen“

„Kleinanzeigen“

„Flugschwindel“

„Getäuschtes Vertrauen“

„Gewagte Klage“

„Gebären und Bestatten“

„Sprechtänze“


Von der Klangkunst-Initiative „Tonspur“ wurde Gerhard Rühm eingeladen, die Tonspur-Passage im öffentlichen Raum zu gestalten. Diese befindet sich an einer viel frequentierten Stelle: im Wiener MuseumsQuartier. Gerhard Rühm war es ein Anliegen, eine wohlklingende Arbeit zu entwickeln:

O-Ton Gerhard Rühm


Foto: Georg Weckwerth

„Ich habe zuvor noch nie eine Klanginstallation für den öffentlichen Raum gemacht und habe gedacht warum denn nicht. Es ist ja eine ganz spezifische Aufgabe. Es ist eine Sache, die vielleicht verwandt ist mit dem was Erik Satie als Möbelmusik bezeichnet hat: eine Klangkulisse, die eine bestimmte Atmosphäre, eine bestimmte Stimmung vermittelt, und die sonst nicht bewusst wahrgenommen wird. Das bedeutet natürlich, dass das - in diesem Fall - eine Sequenz ist, die konzipiert ist, die komponiert ist, sich dann aber stundenlang wiederholt. Das erfordert eine ganz bestimmte Art von Konzeption. Mein erster Gedanke war der - da ja viele Fremde und Ausländer durch diesen Durchgang gehen - etwas mit einer internationalen Plansprache, also mit einer Weltsprache zu machen. Da gibt es natürlich vor allem zwei, die sehr bekannt waren, teilweise noch sind.

Das eine ist das Volapük. Bei Volapük handelt es sich um eine sogenannte Apriori-Sprache. Man unterscheidet Apriori- und Aposteriori-Sprachen. Apriori-Sprachen sind diejenigen, die sprachlich alles vollkommen neu erfinden, die Syntax sowieso, möglichst nach logischen Gesichtspunkten, und auch neue  Wörter erfinden, was natürlich einen erhöhten Schwierigkeitsgrad beim Erlernen bedeutet, weil man keine Anhaltspunkte hat. Volapük ist also eine weitgehend neu erfundene Sprache.

Die zweite Möglichkeit war Esperanto, das eine Art Posteriori-Sprache ist, also eine Sprache die mit schon vorhandenem Vokabular und auch mit vorhandenen sprachlichen, syntaktischen Gesetzen arbeitet, diese aber nur aufs Äußerste vereinfacht und sie so leicht erlernbar macht.

Beide Sprachen sind klanglich sehr schön. Ich habe mich aber dann eben für Esperanto entschieden, weil da sehr viele Wörter vorkommen, die jedem bekannt vorkommen. Es sind sehr viele Südeuropäische Sprachen, also spanische, italienische Brocken drin. Sogar lateinische natürlich. Ebenso englische, deutsche. Aus dem Grund habe ich dann das Esperanto verwendet.

Die Idee war eben, dass diejenigen, die durchkommen so vage Assoziationen empfangen, nicht ganz genau wissen, worum es sich genau handelt. Aber dann vielleicht stehen bleiben und horchen, ob ihnen die Sprache bekannt vorkommt. Leider wird Esperanto ja kaum noch gebraucht. Es ist im Sterben begriffen und ist abgelöst worden weitgehend von der englischen Sprache.


Foto: Georg Weckwerth

Die Idee war eine klanglich schöne Sache zu machen. Ich habe mir dann aus einem Lehrbuch der Esperanto-Sprache die ganz einfachen Sätze herausgenommen, die man beim Sprachenlernen zuerst einmal sich einprägt, und die auch eine gewisse Assoziation geben für Leute, die neu in eine Stadt reinkommen. Zum Beispiel: wie ist heute das Wetter, oder wie gefällt Ihnen unsere Stadt, solche Sachen. Also, solche einfachen Sätze habe ich genommen und, damit das besonders schön und einschmeichelnd klingt, habe ich das von einem Frauenchor sprechen lassen, genaugenommen von fünf Stimmen (Chorgemeinschaft Neungsang, Leitung: Johanna Hollenstein).

Diesen Text habe ich dann noch zusätzlich rhythmisiert, sodass es noch rhythmisch gesprochen wird. Und dem habe ich gegenübergestellt die Klänge einer Celesta, die ja bekanntlich besonders schön klingt, das Tasteninstrument, das einen glockenartigen Klang hat. Das sollte aber nicht einfach beziehungslos danebenstehen, sondern das ist abgeleitet insofern vom Text, als ich die fünf Vokale vom Esperanto fünf übermäßigen Dreiklängen zugeordnet habe, teilweise grammatisch verschoben, sodass das ganze Grammatische total erfasst wird. Und das erfolgt dann immer nachdem der Text gesprochen wird, dieser Celesta-Part. Und die Akkorde genau in der Abfolge, in der die Vokale des Textes abfolgen. Dadurch kommt eine ziemliche Breite in der Variationsabfolge zustande.

Zuerst sind die Sätze, die ich rausgenommen habe, sind genau gebündelt zu zwölf Sätzen, dem entsprechend dann wieder die Celesta-Klänge. Dann sechs Sätzen, vier Sätzen und Einzelsätzen. Das heißt, dass die Celesta-Zwischenspiele immer knapper aneinander kommen. Und dann, wenn dieser Zyklus abgeschlossen ist, das dauert 12 Minuten ungefähr, werden sämtliche Vokale gleichzeitig gesprochen von den Sprecherinnen und die entsprechenden Akkorde von der Celesta dazu gespielt. Das ist im Großen und Ganzen das Konzept dieser Sache.“


Foto: Georg Weckwerth

Für die Radio-Übertragung im Ö1 Kunstradio hat Gerhard Rühm gemeinsam mit Techniker Martin Leitner eine 5.1-Surround-Sound-Version des Stückes produziert.

„Wir haben das jetzt so arrangiert, dass eigentlich zwei Hauptschallquellen sind, links und rechts, sodass die Celesta gewissermaßen von der anderen Seite her dem Text antwortet, dass fast so eine Art Echo-Effekt erscheint. Das ist ja eine Sache, die absolut dem Konzept auch entspricht. Denn die Celesta memoriert ja gewissermaßen rein klanglich die Abfolge der Silben. Silben empfindet man ja immer als eine Einheit, beim Sprechen. Man rhythmisiert ja immer Silben, also auf die Vokale hin. Und so entsteht dann dieser Nachklangeffekt, könnte man fast sagen.“

„Paradiesische Passage“

Statement von Gerhard Rühm zur „Paradiesischen Passage“


Foto: Georg Weckwerth

„Als ich eingeladen wurde, für einen öffentlichen Gebäudedurchgang im Wiener MuseumsQuartier eine Klanginstallation zu realisieren, wußte ich in den Grundzügen sehr schnell, was ich machen wollte: keine - womöglich elektronisch verfremdete - Geräuschbeschallung (wie man vielleicht hätte erwarten können), sondern etwas Sanftes, ja „Schönes“, das zum Hinhorchen, bestenfalls zum Verweilen animiert. Ich stellte mir spontan einen wohlklingenden, mehr lautlich als inhaltlich bestimmten Text vor, chorisch rezitiert von einschmeichelnden Frauenstimmen und durchsetzt mit musikalisch aus dem Text abgeleiteten Celestaklängen.

Da der Durchgang zu den Museen naturgemäß auch von zahlreichen fremdsprachigen Besuchern frequentiert wird, dachte ich an einfache Sätze einer künstlichen Weltsprache. Ich schwankte anfangs zwischen Volapük, einer weitgehend vergessenen Apriorisprache, und der - auch kaum noch lebendigen - Aposteriorisprache Esperanto, die mit ihren Anleihen aus mehreren natürlichen Sprachen mannigfache semantische Assoziationen weckt, ohne dabei für den Hörer einen eindeutigen Sinn zu ergeben. Man genießt daher primär ihren Wohlklang - eine Überlegung, die den Ausschlag für Esperanto gab.

Der etwa fünfzehnminütige, in Endlosschleife repetierte Textzyklus besteht, in Anspielung auf die Stundenzahl eines Tages, aus vierundzwanzig Sätzen, die in zwei Sechsergruppen, zwei Vierergruppen, zwei Zweiergruppen und zwei Einzelsätzen gegliedert sind. Die nach jeder Gruppe erklingende Celestasequenz basiert auf fünf übermäßigen Dreiklängen, die in zwei Ganztonkomplexen das Chromatische total umfassen. Diese den fünf Vokalen des Esperanto zugeordneten Akkorde zeichnen jeweils die Vokalabfolge des zuvor rezitierten Textteils nach. Was schon an den Worten musikalisch wirkt, wird hier gänzlich zu reinem Klang. Auf diese Weise entwickelt die Musik ein den Fluß der Sprache memorierendes Klangmuster. Das Ende eines Zyklus wird jeweils durch den Zusammenklang der fünf Sprachvokale mit den sie repräsentierenden Akkorden markiert.

Eine belebte Passage wird so zu einem Ort der Beruhigung, der Besinnung auf harmonisierte Zeit.“


Link:
http://www.tonspur.at/


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