Es war einmal – zur Zukunft des Radios

Die meiste Zeit der Kindheit haben wir darauf verwendet zu spielen und immer wieder – bohrend, richtungslos oder ganz gezielt – zu fragen. Wir wollten wissen, um handeln zu können, wir wollten wissen, um zur Sprache zu kommen, wir stellten Fragen, um Unklares zu klären oder wenigstens das Unklare akzeptieren zu können.
Dieses Fragen-Stellen hieß Veränderung – und: Es war nötig, um zu leben.
Später haben wir feststellen können, dass auch das Antworten Lust und Erfolg vermittelt – es sorgt für Anerkennung und signalisiert Leistungsbereitschaft innerhalb einer funktional organisierten Gesellschaft.
Und noch viel später durften wir feststellen, wie wenig Fragen eigentlich gestellt werden und dass wir offenbar zunehmend in einer Umgebung von Antwortgebern leben.
Wissen ist Macht.
Mehr noch: Die Fähigkeit zu antworten ist eine Ware geworden.
Auch das Radio etabliert sich zunehmend als Ort von Angeboten, die uns nicht selten ratlos bleiben lassen. Unsere Wahrnehmung des Hörfunks schwankt zwischen dem unguten Gefühl, das wir von den Auslagen der Supermärkte kennen, und einer gewissen Lethargie. Fragen kann man schließlich auch anderswo stellen – im Kreise der Familie zum Beispiel. Allerdings bemerken wir hier, dass bestimmte komplexe Fragestellungen eben nicht beantwortet oder diskutiert werden können. Also braucht es doch die öffentliche Diskussion. Öffentlicher Raum allerdings ist rar geworden. Vorbei die Zeit der stundenlangen Diskussionen am Brunnen, vorbei die Zeit der offenen Fragestellungen im Radio… Gab es sie je? Das Radio verweigert seine Potenz als öffentlicher Raum – Verlautbarung statt Gespräch. Kommunikation hingegen zielt per se auf Veränderung – Veränderung von Zuständen, Haltungen, Verhältnissen. Das Mittel der Frage ist dabei nahezu unumgänglich.
Es gilt also, den Impuls aufzunehmen, der seit Jahren aus einem ganz chaotischen Feld selbstverwalteter Öffentlichkeit in die etablierte Radiolandschaft hineinfunkt: Freie Radios begreifen sich zunehmend als Ort von Fragestellungen, mehr noch, ihre Legitimation rührt daher: Ohne Bezahlung agierende Kommunikationspartner haben eine andere Motivation als Verlautbarung – sie agieren auf einem Feld des Mankos – dem Feld öffentlicher Diskussion und öffentlicher Fragestellungen. Und damit stellen sie – bewusst oder unbewusst – etwas zur Debatte: Sie stellen die Frage nach der Möglichkeit von Fragen.
Und damit ist vielleicht eine Zukunftsprämisse von Hörfunk beschrieben: Die Zukunft des Radios wird abhängen von der Kommunikationsbereitschaft der Gestaltenden. Der Fokus muss vom Service-Gedanken hin zu einer Möglichkeit offener Fragestellungen verschoben werden.
Denn: Das Radio ist öffentlicher Raum, ist der Brunnen auf dem Dorfplatz, der Ort fokussierter Diskussion. Und das ist nur herzustellen unter Einbeziehung aller gesellschaftlichen Akteure unabhängig von deren Fähigkeit, Antworten zu geben.
Die Zukunft des Radios wird bestimmt sein von einer Kultur der Fragen.

Ralf Wendt