Punto Singular ist eine akustische Auseinandersetzung mit der Wahrnehmung von Wirklichkeit: es spielt mit den Versuchen und Anstrengungen, raum-zeitliche Realität objektiv zu messen. Die jeweils subjektive Erfahrung, wie auch der Faktor der Erinnerung, der unsere Wahrnehmung beeinflusst, unterstreichen die Unmöglichkeit eines solchen Unternehmens und machen das Spiel der Täuschungen deutlich hörbar. Ähnlich der optischen Täuschung in Spiegelsälen, wo der Raum durch die exakte Anordnung von Spiegeln unendlich multipliziert wird – bis an die Grenze der visuellen Auflösung –, und so eine scheinbare Erweiterung erfährt, geht der Radiokünstler José Iges bei der Bearbeitung und beim Arrangieren des Klangmaterials für Punto Singular vor: Ein Satz bestehend aus acht Wörtern ist das Grundmaß. Er wird von vier Frauen gesprochen. Das Vortragen des Satzes dauert jeweils exakt acht Sekunden. Allerdings werden die Aufnahmen des Rezitierens derart transformiert und parzelliert, dass die gesprochenen Worte nur noch als purer Klang wahrgenommen werden, oder als scheinbar bedeutungslose Phoneme, deren ursprüngliche Bedeutung unentzifferbar geworden ist. Die Wörter werden gedehnt oder extrem komprimiert, sodass die Sprachmelodie stellenweise extrem dicht, dann wieder ganz lose, locker, brüchig wird. Durch diesen Kunstgriff wird die Zeiteinheit von acht Sekunden auf sehr vielfältige Weise erfahren, und das macht uns bewusst, dass die versuchte Objektivität der Messung von Zeit die eigentliche Illusion ist, dass wir aber gleichzeitig diese Hilfsmittel der Messung benötigen, um Wirklichkeit überhaupt erfahren zu können.

Diese neue Version von Punto Singular, entstanden im Dezember 2006 im Wiener Funkhaus für das Kunstradio, ist die Fortsetzung einer Arbeit, die José Iges bereits 1989 als Soundinstallation, die im Dialog mit einer Installation der Künstlerin Concha Jerez stand, in Alicante, Spanien realisierte. Anläßlich der 6. Radiobiennale in Mexico City 2006 erarbeitete Iges bereits eine erste Radioversion.

Für Punto Singular – Vienna version hat José Iges ganz neue Sequenzen ausgearbeitet. Diese bilden neben den Originalaufnahmen von 1989 und Auszügen der Arbeit "La Ciudad Resonante/The Resonant City" von 1999 die Basis für eine neuerliche Annäherung an die akustische Erfahrung von Zeit und Wirklichkeit.

Eine Produktion von Ö1 Kunstradio 2006

CREDITS

PUNTO SINGULAR (1989):
Realized at GME, Cuenca (Spain), Sept. 1989
Commissioned by CDMC-INAEM (Spanish Ministry of Culture)
Premiered at Contemporary Music Festival of Alicante, 1989

Voices: Yolanda Alvarez, Cristina Argenta, Charo Monreal, Victoria Hernández, Carolyne Frazier and José Iges
Sound engineer: Leopoldo Amigo

LA CIUDAD RESONANTE (1999):
Realized at MUSEO INMATERIAL STUDIO, 1999
Commissioned by M.O.P.U. (Spain)
Original recordings and mixes by José Iges
Electronic improvisations by Pedro López.