SONNTAG, 8. Oktober 2006, 23:05. - 23:45, Ö1

KUNSTRADIO - RADIOKUNST


 


La Selva

von Francisco Lopez

PLAY


A CASSETTE OF THIS PROGRAM CAN BE ORDERED FROM THE "ORF TONBANDDIENST"


 

Anläßlich des musikprotokolls 06 beim steirischen herbst in Graz präsentiert Kunstradio nicht, wie geplant, die neue Arbeit des spanischen Elektronikmusikers Francisco López „untitled 10/2006“ (seine Teilnahme wurde aus Gesundheitsgründen kurzfristig abgesagt), dafür seinen 1997 veröffentlichten und immer noch höchst außergewöhnlichen Soundscape des lateinamerikanischen Regenwaldes „La Selva“.

Der aus Madrid stammende Biologieprofessor betreibt seit Anfang der 1980er Jahre auf sehr unorthodoxe Weise Soundstudien und hat in den letzten 25 Jahren ein erstaunliches, sehr persönliches, geradezu ikonoklastisches akustisches Universum geschaffen. Im Mittelpunkt seines Interesses als Musiker und Soundforscher steht der pure Klang, wobei in der Behandlung der Materie keinerlei Unterscheidungen  zwischen industriellen „Zivilisationsgeräuschen“ und den Klangkulissen unberührter Natur gemacht werden.
Ohne die Klangquellen oder den Kontext, in dem die Aufnahmen gemacht wurden, in den Vordergrund zu stellen verfolgt López das künstlerische Ziel, ein „tiefgründiges, konzentriertes Hörerlebnis“ zu bereiten. Um diese rein akustische Wahrnehmungsweise unserer (Um)Welt, die von den leisesten / tiefsten Tönen an der Grenze zur Wahrnehmung bis hin zu einer fast unerträglichen, physisch spürbaren Kraft brummender Drones reicht, auch bei Live-Auftritten nicht zu zerstreuen, spielt er konsequenterweise immer in völliger Dunkelheit.

Seine Musik der Drones, bei dem sich organische und industrielle Sounds überlappen, impliziert meist auch einen bewußtseinserweiternden Zustand, der imaginäre Bilder von "exotischen" Orten evoziert. Seine Arbeiten können als eine assoziative Klangreisen in fremde Regionen gelesen werden – als radikale Erweiterung musikalischer Eindrücke und als Brückenschlag zwischen sehr alten und sehr modernen sozialen und natürlichen Verhältnissen.

Francisco López' bevorzugte Soundquellen stellen u.a. seine regelmäßig abgehaltenen Forschungsreisen in die Regenwälder Lateinamerikas dar. Er hat sich darauf spezialisiert, mittels Fieldrecordings die „archäologischen" Sounds von Insekten und Mikroorganismen, von Stadttopografien, Medien und Psychogeografien zu Tage zu fördern.

Eine Aufnahme eines „neotropischen“ Regenwalds in Costa Rica ist zu hören, strukturiert wie ein fortlaufender, ungebrochener Tagesablauf. Mit „La Selva“ taucht López vollends in diesen ein und bringt mit seinen Klangflächen eine scheinbar endlose Abfolge an bemerkenswerten akustischen Eindrücken zu Gehör: die einzelnen Klangmomente werden in einem mühelosen Fluß erlebt und bilden so eine kohärente und doch abwechslungsreiche akustische Reise voller subtiler Zwischentöne und Beziehungen, die sich einem bei genauem, konzentrierten Hinhören entfalten.

López beschreibt die „Klangräume“ des schrumpfenden Regenwalds folgendermaßen:
„Die Vielfalt an Klängen die durch Wasser (Regen, Bäche und Flüsse) verursacht werden erzeugt gemeinsam mit dem unglaublichen Klanggewebe, das aus der Dichte an Insekten- oder Fröschenrufen sowie durch Pflanzengeräusche hervorgerufen wird, einen Klangraum mit wunderbar kraftvollen Spektrum von aufregender Vielschichtigkeit. Die daraus resultierenden Klangstrukturen sind äußerst reich und haben eine Vielzahl an Klangebenen, die durch Addition bzw. Subtraktion miteinander verschmelzen oder erkennbar werden und damit unsere Wahrnehmung selbst wie auch genau die Idee individueller Klänge in Frage stellen.“

Zur 1997 auf CD veröffentlichten Aufnahme von „La Selva“ verfasste der Soundtheoretiker López auch einen längeren Essay. Bezeichnenderweise war dieser versiegelt und mit der Empfehlung des Autors versehen, es auch dabei zu belassen. Im Text erläutert López seinen philosophischen Ansatz und seine Herangehensweise für die Aufnahmen; eine detaillierte Liste der Klangquellen sowie zeitlich-räumliche Informationen zu den Aufnahmeorten rundet das Ganze ab. López scheint hier im Zwiespalt zwischen Theoretiker / Forscher und Künstler zu stehen, da er fürchtet, dass dieses theoretische Wissen das „Echte“, das „Unbearbeitete, Rohe“ der Arbeit beeinträchtigen könnte und zweifellos das Hörerlebnis beeinflussen würde, was diametral zu seiner Forderung (als Künstler) des konzentrierten Hörens eines reinen Klanges steht:

Link musikprotokoll:
http://sendungen.orf.at/musikprotokoll/

[ ENGLISH ]


[TOP]


PROGRAM
CALENDAR