H.P. Show - Underwater Special
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TONBANDDIENST"
In den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelten sich Kunstformen, die sich von greifbaren Objekten entfernten - eine bildende Kunst in der Zeit. Kunstformen, die als Konzept, als Skizze, als Partitur, als Text existierten mußten nicht immer unbedingt ausgeführt werden. Strategien und Techniken, wie die des Readymades - des Versetzens eines vorgefundenen Objekts in den Kunstkontext -, der Collage, der Montage, des Cut/Up wurden zu selbstverständlichen Ausdrucksformen dieser Kunst. Viele KünstlerInnen, die ursprünglich im Kontext der bildenden Kunst arbeiteten, beschäftigten sich nun auch mit Klängen, Geräuschen und Sprache als Material für ihr Werk. Der Radioraum als Ort für diese immateriellen, grenzüberschreitenden Skulpturen gewann immer mehr an Bedeutung. Der amerikanische Klangkünstler Max Neuhaus vertrat die Meinung, Musik müsse in erster Linie vom Raum ausgehen. Er arbeitete gegen die vorherrschende Auffassung, diese sei eine rein zeitabhängige Kunstform und schuf damit eine neue Art von Raum: die Klanginstallation. Zum ersten Mal war Klangkunst nicht mehr ausschließlich Zeitkunst, sondern auch Raumkunst. Sein erstes Radiostück "Public Supply I" von 1966 schuf Neuhaus für die New Yorker Community Radiostation WBA1 live im Studio des Senders. Er verwendete dazu das größte damals existierende Netzwerk – das Telefonnetz. Mit Hilfe einer selbst entwickelten technischen Vorrichtung konnte er Anrufe, die auf zehn im Studio vorhandenen Telefonen ankamen, zusammenmischen. Wenn AnruferInnen ihr Radiogerät eingeschaltet hatten, verwendete er auch die dadurch entstehenden Rückkopplungen. Dieser Mix aus Geräuschen, Lauten und Sprache wurde gesendet. Die HörerInnen wurden somit zu MitgestalterInnen und ausführenden MusikerInnen einer Komposition, die Neuhaus erstmals live im Radioraum entstehen ließ.
"Mir wurde klar, dass ich mit dem Telefon eine wichtige Tür zum Senderaum aufstossen konnte: Wenn ich im Studio Telefonleitungen legte, könnte jeder von jedem Telefon aus diesen Raum akustisch betreten. Damals gab es noch keine Livesendungen, bei denen man anrufen konnte. […] Auch wenn ich diese Gedanken 1966 noch nicht artikulieren konnte, erscheinen mir diese Arbeiten heute […] als Aufforderung zur Rückkehr zu einer Musik, die in Vergessenheit geraten ist und die vielleicht der Ursprung allen menschlichen Musizierens ist: nicht die Produktion eines Musikerzeugnisses für Zuhörer, sondern die Schaffung eines Dialogs ohne Sprache, eines Dialogs der Klänge." Mit "Drive-In Music" verwirklichte Max Neuhaus 1967 als einer der ersten die Idee einer Klangarbeit im öffentlichen Raum und realisierte damit die erste Klanginstallation.
Am Lincoln Parkway in Buffalo, New York, installierte Neuhaus 20 lokal begrenzte Radiosender, die verschiedene Klänge sendeten. Die Klangstrukturen veränderten sich mit Umwelteinflüssen wie etwa der Helligkeit. Die Autofahrer auf dem Lincoln Parkway hörten je nach Fahrgeschwindigkeit oder Fahrtrichtung, je nach der Tageszeit oder Wetterlage unterschiedliche Klangmischungen.
Doch nicht nur synthetisch erzeugte Klänge, sondern auch die an diesem Ort vorhandenen Geräusche sind Teil der komplexen Klanginstallation im öffentlichen Raum. Zur selben Zeit bildete sich Kanada eine äußerst lebendige Radiokunstszene. Diese Radiokunst fand fast ausschließlich ausserhalb der großen Rundfunkanstalten auf den Frequenzen von Universitäts- und Community Radios im vorwiegend lokal-regionalen Radiobereich statt. Künstler wie Murray Schafer, Maryanne Amacher, lan Murray, Hildegard Westerkamp, Hank Bull, Dan Lander, Michael Snow, G. X. Jupiter Larsen und viele andere waren ihre Entwickler, Theoretiker und Ausführende. Zu den wichtigsten Pionieren der kanadischen Radiokunstszene zählt Ian Murray. Er war einer der ersten, die sich dafür einsetzten, dass Kunst im Radio nicht nur Dokumentation oder Vertonung eines Kunstwerkes, sondern als eigenständiges Werk zu behandeln sei. Murray über seine Radioarbeiten: Murray ist der Ansicht, dass sich vor allem KünstlerInnen aus dem Bereich der bildenden Kunst für die Strukturen von Radioproduktionen interessieren. Mit seinem Projekt "Radio by Artists" versuchte Murray der Radiokunst zu mehr Popularität zu verhelfen. Von 1978 bis 1980 produzierte er insgesamt zehn Tonbandkassetten mit Arbeiten bildender KünstlerInnen für und mit dem Medium Radio. Beispielhaft sind hierfür Michael Snows Kurzwellenradiostücke: Auch Hank Bulls und Patrick Readys "H.P. Undersea-Show" können diese Haltung verdeutlichen: Der Text der Show wurde, wie der Name schon sagt, unter Wasser aufgenommen. Ein Pionier auf dem Gebiet der internationalen Klangforschung war der Kanadier Murray Schafer. 1971 gründete er in Vancouver das World Soundscape Project, dessen Ziel es war, die wissenschaftlichen, soziologischen und ästhetischen Aspekte unserer akustischen Umwelt zu untersuchen. Es führte in der Folge zu einer Reihe von weltweiten Untersuchungen über akustische Wahrnehmung, Klang-Symbolik und Lärm-Verschmutzung. Die erste Feldstudie des World Sound Projects wurde 1973 veröffentlicht: die Vancouver Soundscape. "To record sounds is to put a frame around them. Just as a photograph frames a visual environment, which may be inspected at leisure and in detail, so a recording isolates an acoustic environment and makes it a repeatable event for study purposes. The recording of acoustic environments is not new, but it often takes considerable listening experience to begin to perceive their details accurately. A complex sensation may seem bland or boring if listened to carelessly. We hope, therefore, that listeners will discover new sounds with each replay of the records in this set – particularly the first record, which consists of some quite intricate environments. It may be useful to turn off the the room lights or to use headphones, if available. Each of the sequences on these recordings has its own direction and tempo. They are part of the World Symphony. The rest is outside your front door." 1977 entstand auch in Österreich, initiiert von Heidi Grundmann, ein Forum für Radiokunst: die "Kunst zum Hören" in dem, meist in Ausschnitten, Arbeiten von internationalen und bald auch österreichischen KünstlerInnen gesendet wurden. Der amerikanische Künstler Terry Fox, Teilnehmer der "Audioszene '79", produzierte 1972 das Stück "Labyrinth scored for the purrs of 11 cats“. "CatPurrs" war die erste Arbeit von Terry Fox mit aufgezeichneten Tönen. Sie war Teil seiner Auseinandersetzung mit dem aus 11 konzentrischen Kreisen bestehenden Labyrinth auf dem Boden der Kathedrale von Chartres: Für jeden Kreis nahm Terry Fox 8 Minuten ununterbrochenes Schnurren einer Katze auf. Die Aufnahmen wurden dann so aneinandergereiht, dass sie dem Weg durch das Labyrinth entsprachen, wobei jede Katze einen der Kreise darstellte und das Stück schließlich eine Dauer von 90 Minuten erreichte. "Ein wesentliches Movens für die Arbeit von Autoren der unterschiedlichsten Herkunft für das Radio ist die Bildkraft dieses Mediums. Auf geradezu exemplarische Weise werden hier Duchamps Sätze von der Fertigstellung des Kunstwerks durch den Rezipienten, von den Bildern, die nicht auf der Netzhaut, sondern im Kopf entstehen, belegt." Angeregt durch die neue Plattform der "Kunst zum Hören“ und durch die Information über internationale Tendenzen im Bereich der Radiokunst entstanden in der Folge auch in Österreich zahlreiche Radiokunstproduktionen. Bill Fontana, in einem Interview mit Heidi Grundmann für "Kunstradio-Radiokunst" im März 1988: Bei der Ars Electronica 1989 in Linz rekonstruierte Bill Fontana seine erste Radioarbeit, "Music from Ordinary Objects". 1977 hatte er sie in Australien realisiert: Bill Fontana: 1988 realisierte Bill Fontana "Sonic Projections from Schlossberg Graz" als Teil der Ausstellung "Bezugspunkte 38/88". An acht Orten im öffentlichen Raum der Stadt Graz, die bei der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1938 eine Rolle gespielt hatten, brachte Fontana Mikrophone an. Im Renaissancehof des Landhauses – einen weiterem topographisch-historischen Bezugspunkt – wurden die Sounds zu einer Klangskulptur gemischt, die sich live in den Radioraum ausdehnte, einen ganzen Tag hindurch immer wieder im Programm Österreich 1. Bill Fontanas Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Simultaneität, des sich via Live-Schaltung gleichzeitig an zwei oder mehreren Orten Befindens, fand im Projekt "Klanglandschaften/Landscape Soundings" einen Höhepunkt. Direkt von den Donau-Auen wurden Soundscapes live auf den Wiener Maria-Theresien-Platz sowie ins Radio projiziert. "Zeitgleich" eine Ausstellung und Symposium veranstaltet von Heidi Grundmann, dem Verein TRANSIT und dem ORF versammelte viele dieser Klangkünstler, unter anderen Bill Fontana, Max Neuhaus, Andres Bosshard, Ros Band und Alvin Curran. Letzterer lieferte einen wichtigen Beitrag zu einer Radiokunst, die sich mit Gleichzeitigkeit und Vernetzung beschäftigt, insbesondere mit seiner Arbeit "Crystal Psalms“. 1988, das Jahr in dem sich die sogenannte "Reichskristallnacht" zum 50. Mal jährte, wurde das Stück zum Gedenken an die Geschehnisse im Jahr 1938 aufgeführt und von 7 europäischen Radiostationen simultan live übertragen. "Crystal Psalms“ ist ein Konzert für sechs Chöre, sechs Instrumentalensembles, Schlagzeug, Akkordeons und Tonband. Die Chöre und Ensembles, die an dem Live-Konzert mitwirkten, befanden sich an weit auseinander liegenden Orten: in Berlin, Kopenhagen, Frankfurt am Main, Paris, Wien und Rom. Curran erstellte eine genaue Partitur, nach der die unterschiedlichen Performer an den verschiedenen Orten des Konzertes agierten. Alvin Curran selbst saß in Rom in einem Studio der italienischen Rundfunkanstalt RAI und mischte die aus den verschiedenen Städten zeitgleich eintreffenden Klänge zu einer Live-Komposition, die wiederum von den beteiligten Rundfunkanstalten zur selben Sendezeit ausgestrahlt wurde. Alvin Curran über "Crystal Psalms": > Weiter zu Teil 5 - Eine Kunst ohne Zeit und Raum |
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