SONNTAG, 16. September 2001, 23:00. - 24:00, Ö1

KUNSTRADIO - RADIOKUNST




"BORDER SOUNDS"

Ein Projekt des Kollektivs wr im Rahmen der NOborder NOnation Kampagne.

Projekt-Page von wr

soundPLAY

english


A CASSETTE OF THIS PROGRAM CAN BE ORDERED FROM THE "ORF TONBANDDIENST"

Dass Gebiete naturgemäß weniger aneinander grenzen als vielmehr ineinander überfließen, wird zum Beispiel dann deutlich, wenn man mit dem Auto eine Grenze überquert und bereits längst auf sogenanntem ausländischen Terrain noch immer die heimatlichen Radiowellen empfängt. Radiowellen halten sich nun mal nicht an Grenzposten und Grenzsteine. Welche politische Kraft dieses Faktum in sich birgt, wird etwa dann bewusst, wenn man die Geschichte der ersten auf Demokratie und Meinungspluralismus aufbauenden Community-Radiostationen in ehemals kommunistischen Staaten zurückverfolgt, die an den Westen grenzen. Unter den ursprünglichen Initiatoren jener Radiostationen befinden sich nämlich oft auch Personen, die in Gebieten nahe der Grenze aufwuchsen, in Gebieten also, in denen sich die Radiowellen aus dem kapitalistischen und aus dem kommunistischen System überlappten.

In diesem Zusammenhang wird es leicht verständlich, warum sich Künstler und Künstlerinnen bei dem Versuch der Darstellung gesellschaftlicher Spannungsfelder rund um Grenzbereiche, auf akustische Spurensuche begeben. Das Radio dient ihnen dabei oft nicht nur als Trägermedium sondern als integraler Bestandteil ihrer künstlerischen Arbeit. Zum einen deshalb, weil Inhalte, die über das Radio transportiert werden selber ständig Grenzen überschreiten, in einem ständigen Transformationsprozess befinden — auf dem Weg von einem Raum-Zeit-Kontinuum in ein nächstes. Zum anderen deshalb, weil das Medium Radio eine tragende Rolle bei der Konstruktion von Grenzen und der damit verbundenen Zugehörigkeiten spielt. (Die Linkliste am Ende dieser Seite liefert einen Überblick über Radiokunststücke und -projekte aus dem Kunstradio Archiv, die sich mit den Themen Grenze und Migration auseinandersetzen.)

"Border Sounds" entstand im Rahmen der NOborder NOnation Kampagne im Anschluss an eine vierwöchige Reise des Kollektivs wr Ende Juli 2001 entlang der Ostgrenze der EU, - also direkt entlang der physischen Grenzlinie, die das Territorium "der Festung EUropa" demarkiert. Während des gesamten Zeitraums sammelten die Protagonisten von wr Tonbandaufnahmen, die die jeweiligen soundscapes der Umgebung festhielten. Zusätzlich stellten die KünstlerInnen Kontakt zu verschiedenen Institutionen her, deren Tätigkeitsfeld die Grenze darstellt. Auf der einen Seite suchten sie offizielle Behörden auf, z.B. den Grenzschutz, auf der anderen Seite sprachen sie mit Vertretern von MigrantInnen-Initiativen, Flüchtlingskampagnen und Menschenrechtsorganisationen. Für das Kunstradio haben wr nun ihre unterschiedlichen Erfahrungen in eine halbfiktionale Dokumentation gepackt.


wr: "Was uns in Genua an herrschaftlicher Kontrolle brutal vor Augen geführt wurde, ist die spektakuläre Allegorie dessen, was an den Grenzen wie auch innerhalb der EU der Alltag für Flüchtlinge und Illegalisierte ist. Schengen ist eine an jedem beliebigen Ort flexibel errichtbare Festung, deren Macht man spürt, sobald man in verbotene Zonen gelangen will."

"Wenn eine Gruppe von KünstlerInnen vier Wochen an der Ostgrenze der europäischen Union entlangfährt, von der Adria- an die Ostsee-Küste, um die Grenze als auditiven Raum zu vermessen, dann ist das ein in zweifacher Hinsicht absurdes Unterfangen. Zum einen, weil das "historische Friedensprojekt EU" in wenigen Jahren seine Ostgrenze verschoben haben wird, und die Grenzen zu Slowenien, Ungarn usw. verschwunden sein werden. Zum andern, weil das "Festungsprojekt EU" auch schon heute seiner Außengrenze einen friedfertigen Schein der Durchlässigkeit gibt: das wahre Grenzregime mit Namen Schengen ist nicht mehr auf eine sichtbare Frontlinie aus Stacheldraht und Wachttürmen angewiesen. Das Schengen Informationssystem durchzieht das Innere des Territoriums ebenso wie seine Ränder; die Grenze entfaltet sich an der Autobahnraststätte, am Flughafen, an der Strassenecke.

Dennoch materialisiert sich die Abschottungsrealität auf besondere Weise direkt an der territorialen Demarkationslinie. Auf ihrer konzeptuellen Reise durch ein modernes imperiales Randgebiet haben wr erlebt, wie Heerscharen an "GrenzschützerInnen" die Gebiete diesseits und jenseits durchforsten, unterstützt von einer Überwachungstechnologie, die vor allem auch medial funktioniert. Wer sich dieser Maschine nähert, sei es um Vogelgezwitscher oder ihr Rattern aufzunehmen, wird kontrolliert, identifiziert, kriminalisiert."

(Amon Brandt, Jungle World, Berlin)

wr: "Die Entscheidung, in der freien Natur soundscapes einzufangen, ist eine zutiefst persönliche — die Entscheidung diese Aufnahmen an der Schengengrenze durchzuführen, ist politisch motiviert. Das Konfliktpotential zwischen diesen Polen - wie auch der Widerspruch zwischen Aktivismus und Symbolpolitik beginnt jedoch zu schwinden, sobald man mit dem Mikrophon in der Hand einen "Aufgriff" durch die Grenzpolizei erfährt."


Aus dem Kunstradio-Archiv:

03.05.2001
"There´s a risk of arrest if you turn right"

von Anna Friz und Richard Williams Quebec City, April 20. 21, 2001

30.04.2001
"Anrufen und senden lassen" von Irene Athanasakis und Rosa von Süss und
"destination: nyc" und "5 vor 12" von gal

04.02.1999
Metamorphosen aus Schuberts "Winterreise"
Ein Grenzkonzert von den "Zärtlichen Zöllnern" (Peter Cerny und Martin Stepanik)

05 - 06.09.1996
RIVERS&BRIDGES

22 - 23.06.1995
HORIZONTAL RADIO


10.11.1994
"STATE OF TRANSITION"
Ein telematisches Live Radio Event von Sodomka / Breindl, x-space & Norbert Math

04.11.1993
"Nickelsdorf"

ein Hörstück der ORF-KUNSTRADIO-Reihe "TRANSIT" von Lucas Ceipek

LINKS:

BORDER HACK 2.0



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