SONNTAG, 23. April 2000, 23:00. - 24:00, Ö1

KUNSTRADIO - RADIOKUNST



"Wie Gott ist auch der Arzt ein Mörder"
Ein Hörstück von Bernhard Kathan

Sprecher:   Klaus Horst, Wolfgang Schopper, Sophie Wendt
Akkordeon:   Julia Rohmberg
Aufnahme und Tontechnik:   Rudi Schweighofer
Mit freundlicher Unterstützung:   Hans Soukup



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Dauer: 38'35
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Im Hörstück von Bernhard Kathan geht es um die wahrhaftige Geschichte eines Mannes, der im Alter von 18 Jahren in ein Nervenkrankenhaus eingeliefert worden war. Damals schien er eigentlich noch weitgehend normal, bemerkt Kathan in einer Beschreibung zu seinem Stück. Schon nach wenigen Jahren des Psychiatrieaufenthaltes jedoch sei er psychisch und physisch so zerstört gewesen, dass an eine Entlassung nicht mehr zu denken war. Mit kurzen Unterbrechungen vegitierte besagter Mann über dreissig Jahre in der Nerbvenheilanstalt, bis er schlussendlich an seinen eigenen erbrochenen Speiseresten erstickte.

Sein Wissen bezog der österreichische Künstler und Sozialwissenschaftler aus dem umfangreichen Aktenmaterial, das sich im Laufe der dreissigjährigen Krankengeschichte des Mannes angesammelt hatte. In einer Sprache, die jedem Einfühlungsvermögen entbehrt, wurden die Stimmungsschwankungen des zum Nervenkranken degradierten penibelst genau aufgelistet. Einen Einblick in das Wesen dieses zu tiefst unglücklichen Menschen vermögen die ärztlichen Gutachten jedoch nicht zu vermitteln. Um so erschütternder stellen sich dem gegenüber die zahlreichen Briefe dar, die der Patient geschrieben aber nie abgeschickt hat und die ihre letzte Ruhestätte ebenfalls in besagtem Aktenordner fanden. "Jene spärlichen Reste, die nach seinem Tod noch vorhanden waren, zeigen uns einen Menschen mit einer erstaunlichen Sprachbegabung.", schreibt Kathan.

Für das Hörstück "Wie Gott ist auch der Arzt ein Mörder" hat Bernhard Kathan die Aktengeschichte neu strukturiert und montiert. Der Sektionsbefund ist zerhackt und in das letzte Drittel des Textes eingearbeitet. In seiner Arbeitshaltung orientiert sich der Künstler und Sozialwissenschaftler an Dokumentarfilmern wie etwa Frederick Wiseman, die die Ansicht vertraten, jeder Kommentar würde nur den Blick auf das Eigentliche verstellen und sei deshalb zu vernachlässigen. "Wie für den Dokumentarfilm gilt, die in der Institution vorgegeben Blicke aufzugreifen, so bediente ich mich konsequent der Sprache der Institution."

Alles spitzt sich auf den Augenblick des Erstickens zu. "Dieser Tod hat sich dreissig Jahre lang in der Vorstellung des Patienten festgesetzt, in vielen Körperängsten, die sich insbesondere auf den Mund bezogen." Die Ärzte schienen davon jedoch kaum Notiz zu nehmen. Sie behandeln den Mann mehr wie einen "schlecht gehenden Motor, der ständig neu eingestellt werden muss."






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