Christian Philipp Müller

EINE WELT FÜR SICH
Ein Projekt rund ums Freihaus in Wien

Wie konstituiert sich Identität, was ist es, das einen Ort, eine Gegend, ein Stadtviertel ausmacht ? Wie entsteht der historische und soziale Raum ? Wann wird Lebenserinnerung Geschichte, und inwiefern haben die Menschen heute noch etwas mit dieser Geschichte und diesen Geschichten zu tun ?

Diese Fragen sind der Ausgangspunkt von Christian Philipp Müllers polyphonem Kunstwerk Eine Welt für sich. Ein Projekt rund ums Freihaus in Wien. Die Arbeit wird aus einer Vielzahl unterschiedlicher Elemente konstruiert, ist ein Ensemble scheinbar disparater Positionen, die der Künstler zu einem System fügt, das zwischen der Geschlossenheit des speziellen Themas und seinen Verzweigungen ins Allgemeine oszilliert.

Das ´Freihaus’ im vierten Wiener Gemeindebezirk war über 300 Jahre lang der größte Wohnbau der Stadt. Zwischen der Wiedner Hauptstrasse, Schleifmühlgasse, Margaretenstrasse und Mühlgasse lebten über 3000 Menschen in den 6 Höfen mit ihren 31 Stiegen. Das Freihaus war eine Stadt in der Stadt, ein autonomes Versorgungsgebiet mit eigener Gerichtsbarkeit. Auf dem Areal befanden sich Emanuel Schikaneders Theater auf der Wieden, wo 1791 die ´Zauberflöte’ uraufgeführt wurde, ein Konzertsaal, eine öffentliche Bibliothek und die Rosaliakapelle. Im 20. Jahrhundert wurde das Freihaus abgerissen und in den 70er Jahren an seiner Stelle die Technische Universität errichtet.

Das Freihaus existiert heute nur mehr in der Erinnerung seiner Bewohner. Christian Philipp Müller hat sie aufgesucht, mit ihnen gesprochen und ihre Geschichten gesammelt. Entlang der Schnittstelle von öffentlichem Stadtraum und den individuellen Mythologien der Benützer dieses Raums rollt Müller ein Soziotop als Oral History auf. Als Hörspiel im Rundfunk bietet er sein Thema großflächig , als CD für den persönlichen, privaten Gebrauch an. Ein Off-Space im Viertel ist Austragungsort für die Visuals des Projekts. Im Zentrum steht eine skulpturale Installation Müllers, die sentimental/ exzentrisches wie lakonisch/dokumentarisches Material zu einem Freihaus-Vaudeville sampelt. Eine Tonspur mit ausgewählten Kommentaren und Statements fügt dem Visuellen eine weitere, auditive Dimension hinzu. Schließlich geben ein Literaturcafé und ein topographischer Ausstellungsteil Auskunft über Facts und Fiction im Quartier. Die CD und ein ausführliches Katalogbuch erscheinen im Oktober.

Zahlreiche Begleitveranstaltungen, wie eine Filmreihe im Schikanederkino, Lesungen im Café Anzengruber, Spaziergänge durchs Freihausviertel u.v.a. mehr verankern Christian Philipp Müllers Kunstprojekt, das dem Besonderen im Allgemeinen nachspürt, in der Wirklichkeit des Bezirks. Eine Welt für sich ist eine multidisziplinäre Collage zur Realität eines Stadtteils, ein Universum, das sich im Lokalen widerspiegelt. Eine Welt für sich ist der komplexer Botenträger einer sich immer wieder neu formatierenden ´öffentlichen´ Kunst.
(B.Huck)


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