Gespräch zu   taxis
von
Peter Wolf (Landesstudio Steiermark)
mit
Gerfried Stocker, Rupert Huber und Martin Schitter,


aufgenommen am 8.Okt.1995 in Graz
Peter Wolf: Gerfried Stocker, es ist an sich schon spannend, dass 22 Autoren einen Roman schreiben, dessen Vorwurf eines der grössten Werke der Weltliteratur ist, man kann das Spannende noch um ein Stück weitertreiben, man kann daraus auch ein Kunstradioprojekt machen, eine Odyssee im Radio und im Internet.

Stocker: Wir haben die Strategie, die mit diesem Romanprojekt vorgegeben wurde, die Autorenschaft zu hinterfragen, verteilte kollektive Autorenschaft als Modell durchzuziehen, um einige Drehungen weitergedreht und auch durch die Verwendung des WWW - also eines klassischen Hypertextmediums - in Kombination mit dem Medium Radio den nächsten Schritt gesetzt und die Werkstruktur, die Autonomie des künstlerischen Werks, das in Verbindung mit dem Autor im Buch noch immer drinnen ist, völlig gesprengt und eine rein auf akustische und geografische Assoziationen aufbauende Struktur entwickelt.

P.W.: Wie funktioniert das ganze jetzt. Es ist ja ein interaktives Projekt, es ist sozusagen Radio on Demand, der Zuhörer sofern er Internet User ist, kann aktiv an dieser Sendung mitwirken.

G.St.: Wir haben die Texte der Autoren zerlegt, wir haben Fragmente aus den Texten herausgenommen, sie in Webpages umgesetzt, d. h. das sind Textpassagen, die dem Besucher unseres Webservers dann auf dem Bildschirm präsentiert werden und ..

P.W.: ... und die man zugleich im Radio hört ..

G.St.: .. und eine Anbindung gemacht, sodass, wenn immer jemand in der Welt sich eine dieser Seiten, eines dieser Textfragmente anschaut, lokal in Graz die zugehörige Sprachaufnahme des Autors gestartet, d. h. was sich die anderen in der ganzen Welt anschauen, das hören wir im Radio.

P.W.: Die zweite Spielstätte ist Frankfurt.

G.St.: Die zweite Spielart des ganzen, die von Frankfurt ausgehen wird, ist, daß man die Bewegungen, die die User im Internet machen, verfolgen kann. D. h. jeder Nutzer, der sich im Internet bewegt, hinterlässt Spuren. Diese ganzen Parameter und Daten aus dem technischen Prozess leiten wir ab und leiten wir um und bauen sie in Steuerbefehle für ein akustisches Environment um. Es entsteht so quasi eine akustische Landkarte der Internetbewegungen.

P.W.: Und da gibt es dann noch eine dritte Ebene, musikalisch-akustisch, wenn ich es einmal vorsichtig so formuliere, Herr Huber.

R.H.: Ja, es gibt in der dritten Ebene - die das Zusammenmischen der beiden anderen plus Hinzufügen von Zuspielungen im Studio direkt ist - in dieser dritten Ebene gibt es eigentlich auch drei Ebenen, nämlich den Versuch, die drei Ebenen Sprache, Sprache als Klang und reinen Klang zusammenzuführen.

P.W.: Martin Schitter, Graz ist also einerseits der geistige Ausgangspunkt für das Romanprojekt von Walter Grond, welche Position hat Graz und das Gewi-Lab in diesem Projekt?

M.Sch.: Das Gewi-Lab ist eine kleine Abteilung auf der Uni, in der schon in den letzten Jahren relativ viele Kunstprojekte nebenbei realisiert und unterstützt worden sind, konkret in diesem Projekt würde ich sagen, daß das Gewi-Lab erstmalig versucht, nicht nur Know-How nach aussen zu tragen sondern wirklich innerhalb seiner Strukturen zuhause zu arbeiten und, ohne diesen erzwungenen Event-Charakter vor Ort zu erfüllen, Arbeit sauber zu beenden mit maximalen technischen Mitteln, die man einfach nur im Labor zur Verfügung hat.

P.W.: Das ist sozusagen die technische Seite und die ideelle?

M.Sch.: Man kann das nicht wirklich trennen - wir spielen mit der Technik, wir versuchen sie zu reflektieren und kreativ damit umzugehen.

P.W.: Gerfried Stocker hat in der Pressekonferenz auch den Begriff "Party" verwendet - ist das Spiel, ist das mehr als Spiel?

G.ST.: Der Begriff "Party" ist eigentlich entstanden aus den Überlegungen, wie formuliert man das am besten, wie findet man einen möglichst einfachen Begriff für das, was da passiert. Für einen ganz wichtigen Ausgangspunkt von uns, dass der immer wieder zitierte elektronische, virtuelle Raum in solchen Netzwerken in dem Moment entsteht, wo sich verschiedene Kommunikationsstränge überschneiden und überlappen, im Prinzip dort, wo Menschen aktiv sind im Netzwerk. Ein ganz wesentlicher Aspekt dabei ist, dass man dabei sein muss. Kommunikation ist einfach nur dann interesssant, wenn man selbst dabei ist, und aus dem heraus entstand der Begriff einer "Party", d. h. man hat die Möglichkeit sich in das Geschehen, in das Gewühl hineinzubegeben und aktiv daran teilzunehmen oder auch rauszugehen, aber dann steht man wirklich ausserhalb und wird, so wie man dann bei einer Party keinen Spass hat, an diesem Projekt wahrscheinlich sehr wenig Interesse finden.

P.W.: Als Nicht-Internetuser bin ich also sozusagen der Zuschauer auf der Galerie.

G.St.: Ich gehe einmal auf jeden Fall davon aus - und dafür wird der Rupert Huber sorgen -, dass das Ganze akustisch eine sehr interessante und schöne Sendung wird, aber von dem ganzen Aufbau der Struktur, vom Verständnis her, wird sich das Ganze nur dem erschliessen, der wirklich auch über das WWW teilnimmt.

P.W.: Wie sehen Sie Ihre Rolle - sind Sie DJ in dieser Party?

R.H.: Für mich persönlich ist eigentlich jeder, der mit elektronischen Klangerzeugern arbeitet ein DJ. Was mich sehr interessiert, ist dieser Vergleich zur Vorlage, die ja als Epos eigentlich akustisch wiedergegeben worden ist, - quasi die Urform wiederzubeleben und ein von den Zuhörern gleichzeitig gestaltetes Epos zu machen.

M.Sch.: Als DJ würde ich mich keinesfalls verstehen, weil ich glaube, dass das Arbeiten mit dieser Technologie - mit Netzwerken, mit wirklich experimentellen Aufbauten - sehr wenig von dem typischen Improvisatorischen an sich hat und vielmehr versucht, auf einer Metaebene Konzepte umzusetzen. Konkret: ich glaube, autonome Environments sind ein ziemlich wichtiger Schritt, um aufzuzeigen, was hinter dieser Technologie steckt.

G.St.: Ich glaube, daß der Begriff DJ sehr attraktiv ist, weil der DJ im Prinzip nicht der Autor der Musik ist, die er spielt sondern der Mediator der Musik. Generell zu dem Begriff der autonomen Einvironments, der jetzt aufgetaucht ist: diese ganzen Strukturen müssen ja erst geschaffen werden. Das ist ja gar nicht anders denkbar, als dass die Künstler, die in dem Bereich arbeiten, diese Strukturen selbst erarbeiten und dann quasi als Teil ihrer Arbeit zur Verfügung stellen.

P.W.: Autoren sind also dann die Mitspieler, die Internet-User.

G.St.: Im Prinzip sind die ein kollektiver Autor, der aus diesem kollektiven Gedächtnis, das wir geschaffen haben durch das Kompilieren der Text- und Tonfragmente einen Aggregatszustand der Idee von einer Odyssee schaffen.

P.W.: Es kann ja auch für den Surfer im Internet wirklich eine Odyssee werden. Er wird auf eine Reise mit ungewissem Ziel geschickt.

G.St.: Man logt sich ein in das System, kriegt zwei Seiten mit Erklärung und kann dann so quasi reinspringen, eintauchen in das Projekt und im Gegensatz zu den normalen Hypertextseiten, die man aus dem Web kennt, sind die Links auf unseren Seiten keine permanenten, stabilen Links, sie werden vielmehr im Verlauf der Sendung automatisch generiert. Hinter jedem Link kann jedesmal ein anderes Zieldokument stehen. Assoziativ kommt man da auf verschiedene Bereiche und hat an gewissen Punkten durchaus auch die Möglichkeit wieder auszusteigen.

P.W.: Man hat damit also dann die Party verlassen...

G.St.: Genau, es schmeisst einen quasi aus der Party hinaus, das ist mit dem ganz banalen Bild vergleichbar - man wird sozusagen an Land gespült, eben an irgendeinen Internet-Server, der ganz brav hierarchisch strukturiert ist .



"taxis I"

"taxis II"