KUNSTRADIO


I. "Hallo Bonsai"
von
Gertrude Moser-Wagner


II. "Die Welt von morgen"
von
Robert Zahornicky


I.

Hallo Bonsai


Gertrude Moser-Wagner
Technik: Friedrich Trondl
Produktion: ORF-Kunstradio, 1995

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Die europäische und japanische Kultur bildet den Handlungsrahmen des Zweikulturenstücks "Hallo Bonsai". Im Mittelpunkt steht ein Stück Natur: es wird "Bonsai" genannt - ein kleingezüchtetes Bäumchen, das als japanisches "Traditionsgut" auch in Europa bekannt und käuflich zu erstehen ist. In Japan gilt Bonsai als vielfältig einsetzbares Sinnbild. Im Stück wird das Bonsai-Bäumchen nie erwähnt. Es bleibt lediglich als akustische Imagination hör-und vorstellbar.

Ein anderes Element, das den Handlungsstrang des Radiostücks "Hallo Bonsai" bestimmt: ein Interview von Ursula Baatz mit Gertrude Moser-Wagner über Kunst und Natur, dessen Hörumfeld in einem Wiener Garten angesiedelt ist. Eine weitere Ebene entsteht durch drei japanische Stücke, die von Mana Furuyama aus Tokyo vorgetragen werden. Mana Furuyama, die vor kurzem nach Wien übersiedelt ist, blickt mit einer gewissen Distanz auf ihre eigene Kultur. Sie zitiert aus einem Buch, das Sprech-und Schreib-Anweisungen enthält, die japanische Frauen zu bestimmten Anlässen befolgen sollten. Eine davon richtet sich an Heiratsvermittlerinnen, die von japanischen Müttern beauftragt werden, für ihre Töchter passende Ehegatten zu finden. Die zweite wendet sich an junge Ehepaare in den Flitterwochen, die an ihre Eltern Postkarten schreiben sollen. Bei der dritten handelt es sich um einen konventionellen Sprech-Text, der für alle verbindlich ist, wenn zur Teezeremonie gebeten wird.

Partiell dazu zieht sich ein Sprechgesang, ein altes Lied, das die Zeit nach der Öffnung Japans beschreibt, wie Blattwerk durch das ganze Stück. Dieses Lied - gesungen von einem Mann - warnt in ironischer Form davor, die Kleidervorschriften zu ignorieren. Eine hellklingende Glocke, die in Japan üblicherweise bei Hitze an offene Fenster gehängt wird, läßt dazu ihre Töne erschallen. Ihr Klang assoziiert Kälte und bringt den Menschen, die sie hören, Abkühlung. Tropf-und Wassergeräusche verweisen auf japanische Gärten, für die diese Känge symbolische Bedeutung haben.

Gegen Ende des Stücks folgt ein Interview über künstlerische Arbeit, die die Schranken der Konvention zu durchbrechen vermag. Mit einem "Opekepe" - einem für japanische Rapper typischen Schrei - schließt das Stück an den mit Robert Zahornicky gemeinsam erarbeiteten Mittelteil an, der die Verbindung zu seinem Stück "Die Welt von morgen" darstellt.

Anläßlich des Symposiums "Art in Nature, Art in the City" wird ein Bonsai-Bäumchen im Ausstellungsraum des Naturhistorischen Museums der Stadt Wien in einer Vitrine quasi als "Modell" ausgestellt. Zum Bonsai-Anblick gibt es für Besucher die Möglichkeit, sich über Kopfhörer in den dazugehörigen Sound hineinzuträumen.


II.

Die Welt von morgen


Robert Zahornicky
Produktion: ORF-Kunstradio, 1995

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Der Mensch als Teil der Natur - dieses Thema bildet den Ausgangspunkt beider Stücke, die im Mittelteil der Sendung ineinander überfließen: "...jede Reflexion des Menschen über die Natur ist zugleich eine Reflexion der Natur über sich selbst. Auch die Erforschbarkeit der Natur aus der Distanz bleibt letztlich Darstellung der Natur ihrer selbst" (Robert Zahornicky).
Ausgerechnet eine Bayrische Nudelfirma lieferte vor 33 Jahren die Textvorlage für diese akustische Science-Fiction-Story der gruseligen Art.
1962 warf sie gleichsam als Werbegeschenk ein Sammelalbum mit dem Titel "Die Welt von morgen" auf den Markt. Wie sich damals die Strategen und Visionäre einer "freien Welt des Fortschritts" die Zukunft vorstellten, läßt heute selbst die größten Wirtschaftswachstumsfetischisten erschaudern.
Robert Zahornicky präsentiert dieses Szenario als Radiostück: um die Naivität der Fortschrittsgläubigen der frühen 60iger zu verdeutlichen, läßt er die Texte von Kindern sprechen. Die Einspielung von verfremdeten Naturgeräuschen verweist auf die zunehmende Entfremdung und Distanz zwischen natürlichen realen Gegebenheiten und den absurden utopistischen Vorstellungen und Wunschträumen von Produzenten und Konsumenten.

Geschwärmt wird etwa von atombestrahlten Tomaten, die die Größe von Kürbissen erreichen, von "Atomlocks, die wirtschaftlicher fahren" und von "Hormonkügelchen, die Hühner größer und schneller wachsen lassen". Selbst die Zukunft der indigenen Völker liegt den Propheten des unaufhaltsamen technologischen Fortschritts am Herzen: den Indianern wird eine Zukunft als Volk der Holzfäller vorausgesagt, die sich somit - und das ganz ohne zynisch-böse Hintergedanken - der letzten Reste ihrer Lebensgrundlagen in Eigenregie selbst entledigen.



1995 Calendar 2