KUNSTRADIO


I. "Beziehungsweise: NOMADIN.ENTFALTUNG.RESONANZ"

von Petra Ganglbauer


II. "The Seattle Sound"

von Amy Denio


I.

Beziehungsweise: NOMADIN.ENTFALTUNG.RESONANZ
von
Petra Ganglbauer


Erste Stimme: Andrea Sproll
Zweite Stimme: Petra Ganglbauer

Technik: Gerhard Wieser
Regie: Petra Ganglbauer

Produktion: ORF Kunstradio, 1995

PLAY
- 18' 30"

A CASSETTE OF THIS PROGRAM CAN BE ORDERED FROM THE "ORF TONBANDDIENST"
In Petra Ganglbauers Hörstück symbolisiert die Nomadin nicht bloß ein "weibliches Prinzip", sondern - unabhängig von geschlechtsspezifischen Deutungsmustern - die Manifestation einer Haltung allgemein. Sie bringt sich unablässig ins Spiel, verkörpert Wechselhaftigkeit, Verzerrung und Entwicklung, sie beschreitet Wege mit ungewissem Ausgang, sie liebt die Zerstreuung, das Experiment, die Möglichkeit. Sie steht für das offene System, das durch bestimmte Geräusche und eine Stimme repräsentiert wird. Die zweite Ebene des Stücks steht dazu im Gegensatz: sie gibt sich als geschlossenes, hermetisches System zu erkennen, getragen von einer metallen tönenden Stimme und von Geräuschen, die das Ende von Träumen, Hoffnungen und von offenen, zukunftsträchtigen Verläufen signalisieren.

Petra Ganglbauer: "Die Nomadin steht (auf einer weiteren Handlungsebene) aber auch für das Individuum, für das verunsicherte Einzelschicksal im Zeitalter des kollektiven Massenvoyeurismus".

Die Nomadin wandert durch verschiedene Geräuschwelten, die dem von ihr repräsentierten System zuzuschreiben sind, durchquert aber auch akustische Zonen, die dem geschlossenen System angehören. In urbane Geräusche mischen sich unmerklich, später aber zunehmend, Naturlaute: Wind, der durch Bäume streift, Blättergeraschel, Vogelgezwitscher. Diese ländliche Akustik geht unmittelbar in jene des Meeres über, bis sich aus den immer stärker werdenen Wellen-und Windgeräuschen schließlich wiederum Stadtgeräusche heraushören lassen: ein Geräuschkreisel setzt ein, die verschiedenen Klangwelten wechseln sich in der Folge immer schneller ab. Am Ende aber folgen Geräusche, die zu einem Endpunkt führen - Todesgeräusche: Panzerkolonnenlärm, Schreie, Hilferufe und Schüsse. Sie bestimmen auch das Geschehen im Rahmen einer anderen Hörsequenz:
"Der Krieg kommt ins Haus. Die Linie des Blutes verfährt am linken Rand des Bildschirms....", sagt die Stimme der Nomadin. "Bildschirmbluff. Fünf zerstückelte Leichen. Die gängige Ware", antwortet zynisch die Stimme des geschlossenen Systems, die Stimme, die dem menschlichen Individuum gegenüber Distanz wahrt, in dem es die pervertierten Interessen eines destruktionslüsternen Kollektivs verfolgt.
Noch wissen wir nicht, ob es der Nomadin gelingen wird, ihre eigenen Wege der Freiheit, der transitorischen Muster, der Zukunftschancen weiterzuwandern, oder ob sie, wenn sie in die Zonen des hermetischen, todessehnsüchtigen Systems gerät, von diesem für immer verschlungen wird....



II.

The Seattle Sound
von
Amy Denio


Produktion: Audiobox, RAI (Pinotto Fava/Pino Saulo)

PLAY
- 14' 56"
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Abseits von musikalischen Modestrends und Klischees, die sich auf subkulturelle Strömungen und Bewegungen in Seattle beziehen (z.B. "Generation X"), hat Amy Denio eine radiophone Komposition aus Tönen und Klängen aus dem akustischen Umfeld verschiedenartiger Erscheinungen und Phänomene der Stadt realisiert. "Seattle hat so viele verschiedene Subkulturen und Ausdrucksformen, die in den Straßen der Stadt zur Geltung kommen", erläutert die Autorin die Auswahl des Klangmaterials für ihr Stück.

Mit ihrem Tape-Recorder suchte sie das Universitätsviertel und den großen Marktplatz auf. Auf ihrer akustischen Entdeckungsreise durch diese Gegenden der City gelang es ihr, eine Vielfalt an natürlichen Rhythmen und interessanten Tönen aufzuspüren. Die Schritte der Passanten, die Geräusche einer Maschine, die am Postamt Quittungen druckt, der Lärm, der aus einer Videospielhalle dringt, das Dröhnen einer metallenen Brücke, wenn sie von Autos befahren wird, die Gespräche mit einem alten Geschäftsbesitzer, der vor 60 Jahren seine Heimat Italien für immer verlassen hat, der Gesang eines Mannes am Fischmarkt - aus all dem und aus einigen anderen akustischen Eindrücken "konstruierte" Amy Denio ein Stück musique concrete.
Von ihr selbst komponierte musikalische Elemente (Saxophon, Akkordion, Percussionsinstrumente, Gitarre, Bassgitarre, Singstimme und Keltische Harfe) vervollständigen Amy Denios "Seattle Sound".



1995 Calendar 2