KUNSTRADIO


"Wien Radioshow"


Listen

"Wie der Krieg im Äther beendet werden kann"



von Oliver Augst und Stefan Beck.


Kunstradio live aus der KUNSTHALLE Wien


Die "Wien Radioshow" ist Teil einer Serie von Radio-Live Sendungen in verschiedenen Städten, in denen die beiden Künstler stets auch den jeweiligen Lokalkolorit in Bezug auf Sprache, auf Klang- und Musikmaterial zu respektieren wissen. Angriffsziel der "Radioshow" ist die Maschinierie, die das System massenmedialer Realität permenent hervorbringt: das Duo Augst und Beck simulieren gekonnt "Krieg und Äther".

Für ihre Live-Radio-Shows, die sie zuvor schon in Frankfurt (1992) und Amsterdam (April 1994) dargeboten haben, benötigen die beiden deutschen Künstler - Oliver Augst ist Bühnenbildner, Komponist und Musiker, Stefan Beck Computer- und Medienkünstler - keine aufwendige Technik. Aber der simple Kassettenrecorder, ein Schallplattenspieler, ein CD-Player, Mikrophone, ihre Rhythmusmaschine und ihr Keyboard a la Supermarkt/Musikwarenabteilung reichen aus, um auf "aufdringliche" und "aufsässige" Weise "aufzufallen": Attribute, die sie sich selbst als Optionen an ihre "Radio-Show" zuteilen und - auch verdienen.

Das Auffällige ihrer "Radioshow" besteht darin, daß der typische Radiosound ebenso fehlt wie die Nachrichten-gerechte linear-inhaltliche Mitteilung. Aufdringlich ist sie dadurch, daß darin verwendete Elemente nicht in ihrem gewohnten Zusammenhang stehen, sagen die beiden Künstler. Vorhandene Geräte werden "mißbraucht" und außerhalb ihres gewohnten Zusammenhangs eingesetzt. Übersteuerung, Rückkopplungen, Verzerrungen u.a. sind die Folgen dieses "Mißbrauchs". Die "Aufsässigkeit" von Augst und Beck zeigt sich in ihrer Weigerung, den strengen Konventionen, die die Radioarbeit beherrschen, Folge zu leisten.

Sie tragen - jeder für sich und zugleich interaktiv - radiophone Gefechte aus und verwenden zu diesem Zweck akustische Readymades, Tapes, Discs und live gespielte Instrumentalmusik. Sie gebärden sich als Radio-Show-Master, indem sie typische Formen der Live-Radio-Show anwenden (Moderation, Interview, Musikeinspielung, etc.), um schließlich jene, die sich eine Performance im Sinne konventionellen "Radiomachens" erwarten, gewaltig vor den Kopf zu stoßen. Sie interagieren in einem bipolaren Spannungsfeld, indem sie sich beim Moderieren, Verlesen von Texten oder beim Spielen von Live-Instrumenten und Musikkonserven gegenseitig stören; einer kommentiert die Aktionen des anderen, verzerrt sie oder zerstört sie, um einen Augenblick später den Text des Partners harmonisch zu begleiten, ein musikalisches Live-Stück zu variieren oder zu neuer Musik zu verarbeiten.

Oliver Augsts und Stefan Becks "Radioshow" kommt ganz ohne Partitur aus. Ihre einzige Vorbereitungsarbeit besteht in der Auswahl und Bearbeitung der (diesmal) Wien-bezogenen Texte, Musiksamples, Discs, Tapes und Readymades: "Das Publikum bekommt kein vorgefertigtes, ausgewogenes und "geprüftes" Studioprodukt zu hören. Obwohl das Vokabular, das Material bekannt ist, weiß keiner von uns genau, wann was vom anderen zum Erklingen gebracht wird. Der Akteur, wie auch der Zuseher/Zuhörer, wird zum Augen- und Ohrenzeugen einer nicht wiederholbaren Situation", erklären die beiden Performer.

Augst ist Bühnenbildner und Komponist, der neben seiner Bühnen- und Musikarbeit seit vielen Jahren auch als Vocalist in verschiedenen Musik- und Performancegruppen tätig ist. Beck, von der visuellen Kunst herkommend, bezeichnet sich selbst als Computer- und Medienkünstler und arbeitet vorwiegend mit Text und Sprache, seit dem Zusammentreffen mit Augst auch als Vocalist. Zusammen haben sie in Frankfurt das Musikprojekt "Freundschaft" gegründet, Konzerte in Deutschland, Holland und New York City gegeben und zwei CDs veröffentlicht. Neben dieser Live-Musikarbeit haben Augst & Beck im Dezember 1992 im "Institut für Neue Medien" an der Städelschule Frankfurt ihre erste einstündige "The Radioshow" realisiert. Als Fortführung dieser Radioarbeit fand im April 1994 bei "Radio 100" in Amsterdam die 90-minütige Live-Sendung "The Amsterdam Radioshow" unter Mitwirkung des Musikers Radboud Mens statt. Neben der jetzt in Vorbereitung befindlichen "Wiener-Version" der Radioshow ist für 1995 bei "Radio Loretta" in Hamburg das nächste Projekt geplant.

Die "Radioshow" ist also zu einer Reihe von Radio-Live-Sendungen in verschiedenen Städten geworden, immer unter Einbezugnahme aktuellen, lokalen Sprach-, Klang- und Musikmaterials und auf den jeweiligen Aufführungsort und das Medium Radio inhaltlich und formal bezogen.

In ganz handwerklichem Sinne steht auch bei der "Wien Radioshow" das Radiomachen, das Benutzen und Ausloten der dazugehörenden Parameter wie Sprache/Text/Wortbeitrag, Moderation/Interview, Musikeinspielung (akustischer Readymades, Tapes, Discs und handgespielter Musik etc.) im Mittelpunkt des Interesses von Augst & Beck. "Der Krieg im Äther, der Bezug zur Medienrealität, das Bloslegen des Apparates, des Systems innerhalb dessen die Arbeit stattfindet wird von den zwei simultan agierenden Künstlern untersucht. Nebeneinander produzieren sie quasi gleichzeitig "eigene" Sendungen, die unter einem musikalischimprovisatorischen Gesichtspunkt teilweise miteinander aber auch gegeneinander laufen können. Diese "Sendungen in der Sendung" beruhen auf jeweils vorher gesammelten Materials, Recherche vor Ort, auf Texten und Klängen als Konserve oder vorbereiteter Komposition bzw. "Dichtung". Beck hat in Wien studiert und auch einige Jahre gelebt, Augst, DAAD-Stipendiat für Wien 1994, ist erst seit September und zum ersten Male hier. Beide werden demgemäß eine völlig andere Sichtweise auf die Stadt, das Land als Ausgangsmaterial in die "Radioshow" einbringen. Nach vorherigem Austausch und eingehender Absprache werden die erwählten Materialien von beiden ohne Partitur oder Notation intuitiv-musikalisch in die "Radioshow" eingegeben. Wichtig ist der interaktive Aspekt beider Akteure zueinander, der Zusammenhänge zuzulassen oder verhindern und die Arbeit mitoder gegeneinander lenken soll. Sprache, Moderation oder das Verlesen eines Textes kann in diesem Spannungsfeld zwischen den beiden Aktionspolen in Gesang/Musik fließend übergehen, eine Musikkonserve, ein Sample, ein Readymade vom Band kann mit einem Live-Instrument begleitet, variiert, zu einer neuen Musik verarbeitet, kommentiert, verzerrt oder restlos zerstört werden...

Das klangliche Realisat dieser Vorgehensweise hat einen a u f f ä l l i g e n, a u f d r i n g l i c h e n und a u f s ä s s i g e n Charakter (diese Formulierung bezieht sich auf Heidegger), damit die Dinge, die'uns'am Nächsten sind (hier: das vorgefundene alltägliche Ausgangsmaterial) überhaupt in unser Wahrnehmungsblickfeld geraten können. D a s A u f f ä l l i g e ist das Fehlen des gewohnten Zeugs an seinem Platze und entspricht dem fehlenden typischen Radiosound, dem Fehlen einer linear-inhaltlichen Mitteilung und dem gänzlich fehlenden "Radiodrumherum".

A u t d r i n g l i c h ist die Arbeit, abgesehen von der Lautstärke der Live-Performance, dadurch, daß bestimmte Elemente darin vorhanden sind, die nicht mehr in ihrem gewohnten Benutzungszusammenhang stehen. es werden vorhandene Geräte "mißbraucht" und außerhalb ihres gewohnten Zusammenhangs eingesetzt. (Übersteuerung, Rückkopplung, Verzerrung etc.) D a s A u f s ä s s i g e ist in diesem Zusammenhang das, was dem gewohnten Benutzen, dem alltäglichen Tun im Wege steht. Augst & Beck verweigern sich beständig die gewohnten (klanglichen) Wege, die das Radio üblicherweise nimmt, einzuschlagen.

Die "Wien Radioshow" findet als Performance live vor Publikum statt. Es gibt keinen kompositorischen Gedanken und Bogen, der - festgelegt in einer Partitur bereits zu Beginn schon auf das Ende hinzielt oder hinarbeitet. Obwohl das Vokabular, das Material den beiden Performern gegenseitig bekannt ist, weiß keiner ganz genau, wann was vom anderen zum Erklingen gebracht wird, Der Akteur, wie auch der Zuhörer/Zuschauer, wird zum Augen- und Ohrenzeugen einer nicht wiederholbaren Situation. Gleich einem Reporter, der im Anblick eines Geschehens unvorgefertigt direkt in das Mikrophon sprechen und Berichterstatten muß, sind auch Augst & Beck immer gezwungen unmittelbar zu reagieren und Unvorhergesehens sofort zu verarbeiten. In diesem formal "offenen" Ablauf der Show wird das Jetzt, der jeweilige Moment der Aktion unterstrichen, thematisiert. Sich selbst ausstellend, arbeiten sich Augst & Beck in den Zeitraum von exakt einer Stunde in ihr Material, in die Sendung hinein. Anknüpfend an ihre Erfahrungungen von Präsentationen live gespielter und auch improvisierter Musik, bekommt der Hörer kein vorgefertigtes, ausgewogenes, "geprüftes" Studioprodukt zu hören. Der Entstehungsprozeß der Arbeit und auch dessen physischer Aspekt von Stimmbeiastung, Ermüdung, Heiserkeit oä., liegt bloß und kann und soll miterlebt werden. Das Publikum bekommt also keine fertige Sache "serviert". Selbst wenn das Programm "Radioshow" heißt, so ist es weit von einem Tourneeprogramm, z. B. einer "Michael Jackson Show", entfernt. Es findet eine Herausforderung, eine Konfrontations-, eine Arbeits- und Laborsituation statt.

Der Aufführungsort: Im Ausstellungsraurn der Kunsthalte Wien wird mittels hoher Stellwände ein Bereich von ca. 6x10 Metern abgeteilt. Darin stehen nebeneinander zwei längliche Tische, auf denen - für das Publikum völfig sichtbar - die ganze zur Verwendung kommende Technik aufgebaut, ausgestellt wird. Die Bar der Kunsthalle ist geöffnet und es ergibt sich dort nach der Vorführung die Gelegenheit zum Gedankenaustausch und zur Diskussion.





1994 CALENDAR 2