KUNSTRADIO


I. "Meine tolle Freundin"

von Friedrich Hahn


II. "Schlummernummer"

von Gerhard Mittermayr


I.

"Meine tolle Freundin"

von Friedrich Hahn


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http://www.kunstradio.at/1994A/MP3/03_02_94a.m3u
In unserer heutigen Sendung stellen wir ihnen zwei ganz unterschiedliche Arbeiten vor, die zwar beide vom Medium Radio ausgehen, deren Autoren aber ganz unterschiedliche Kunstbegriffe vertreten. Außerdem hören sie heute eine Folge des Projektes Schlafradio, das Norbert Matt im vergangenen Jahr begonnen hat. Die Hörer wurden damals aufgefordert, Matt's Schlafradio mitzuschneiden und weiter zu bearbeiten. Eine solche Weiterbearbeitung mit dem Titel "Schlummernummer" stellen wir ihnen heute vor.

"Meine tolle Freundin", ein Stück von Friedrich Hahn, das zum ersten Mal im ORF-Kunstradio gesendet wurde, erzählt keine lineare Geschichte, sondern überläßt es dem Hörer und der Hörerin eine Geschichte aus scheinbar zufällig aufgeschnappten Text- und Geräuschfragmenten zu formen. Friedrich Hahn ist äußerts vielseitig und betätigt sich auf den verschiedensten Gebieten der Text- und Bildgestaltung, als Herausgeber einer Zeitung, als Autor zahlreicher Hörspiele und von Lyrik und Prosa, als Werbegestalter für Kampagnen von großen Firmen wie Coca Cola oder Campari, als Fotograf und als Theatermacher. Bei Friedrich Hahn sucht sich so zu sagen jede Idee das Medium. Bei dem Stück "Meine tolle Freundin" unternimmt er also den Versuch, die lineare Erzählstruktur des traditionellen Hörspieles ganz bewußt zu brechen. Alleinstehende Bilder an keinen bestimmten Ort - außer im Medium Radio selbst. "Was mich immer wieder interessiert - ob beim Theater oder Radio - ist, daß man dem Text Schwierigkeiten macht, nämlich durch das Medium. Theater heißt, daß man dem Text auf der Bühne Schwierigkeiten macht und im Radio durch die akustischen Möglichkeiten. Und so ist diese Geschichte eigentlich eine Nicht-Geschichte und so ist dieser Ort, wo diese Nicht-Geschichte abläuft ein Nicht-Ort. Es scheint zwar so, als könnte es so sein, aber eigentlich ist alles Täuschung. Täuschung eben durch das Medium, durch ein falsches Medium und durch falsche Texte."

Friedrich Hahn verzichtet in seiner Arbeit auf jegliche Etikettierung. Er macht, wie er sagt, den Hörer zum Ohrieur eines rätselhaften Experimentes. "Das Konzept war eigentlich auf Tarnen und Täuschen angelegt, das heißt ich habe Texte probiert und sie einem einzigen Kriterium unterzogen nämlich daß sie nicht für das Radio passend erschienen. In dem Moment, wo ich bemerkte, daß ich einen Text der für das Radio schreibe - sei es im Sinne eines Dialoges oder im Sinne einer Geschichte die sich in linearen Strukturen entwickelt - habe ich versucht z.B. durch kurze Musikpassagen wieder eine andere Richtung einzuschlagen, oder abzubrechen, und so die Erwartungshaltung des Hörers nach einer linearen Geschichte vielleicht zu täuschen. Wenn sich die einzelnen Trümmer doch zu einem Ganzen fügen, dann gehört es dem Hörer, dann ist es seine Geschichte."

Der Zuhörer wird also in die Rolle des Beobachters von scheinbar zusammenhanglosen Textfragmenten und akustisch vermittelten Alltagssituationen versetzt, die die Erwartungshaltung des Radiohörers immer wieder zu brechen versuchen."Es ist letztendlich eine Pose - also eine gewisse Haltung, mit dem Medium umzugehen, zu spielen und Dinge vorzutäuschen. Ich glaube das ist ein wesentlicher Punkt in sehr vielen meiner Arbeiten, das ich Erwartungshaltungen evoziere, die aber nicht eingelöst werden. "Meine tolle Freundin" klingt nach Geständnisliteratur, einer konservativen Erzählung von der Begegnung mit einer Frau aus der sich etwas entwickelt oder auch nicht. Es ist mir aber sehr wichtig mit dieser Haltung im Radio etwas vorzuführen ohne von vorneherein zu wissen, was wirklich dabei herauskommt bzw. sofort beim ersten Satz zu wissen, wie der letzte Satz, die letzte Note oder Strophe sein wird."

Daß gerade diese Vorgangsweise die Möglichkeit des Scheiterns impliziert nimmt Hahn bewußt als Risiko in kauf."Experimente sind heute ohnehin schon bald nicht mehr möglich, weil alles möglich ist. Experimente sind desshalb noch interessant, weil sie das Scheitern als Möglichkeit mit sich bringen und dieses Scheitern interessiert mich oft mehr als das Gelungene. Die Story als solche ist bereits ein Scheitern, weil, wie gesagt, die Nicht-Geschichte an einem Nicht-Ort passiert. Wollte man die einzelnen Trümmer, die sich eigentlich in keinen Kontext fügen, doch zusammenkitten, ergibt sich so etwas wie eine Geschichte. Es ist nicht unbedingt eine radiophone Arbeit die auf das Scheitern hin angelegt ist, sondern ein Experiment."


II.

"Schlummernummer"

von Gerhard Mittermayr
http://www.vorarlberg.at/pirgi/MittermayrGerhard/index.html


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http://www.kunstradio.at/1994A/MP3/03_02_94b.m3u

"Schlummernummer" ist eine neuen Folge des Projektes Schlafradio von Norbert Matt. Einem Work in Progress, das im April 1993 als Koproduktion des Vereines Transit mit dem ORF-Kunstradio begonnen hat. Damals wurden die Hörerinnen und Hörer aufgefordert die Sendung mitzuschneiden, den Mitschnitt zu bearbeiten und an das ORF-Kunstradio zu schicken. Norbert Matt definierte also nur die Ausgangssituation seines Projektes und trat dann als Autor zurück, zugunsten all jener, die vom passiven Rezipienten zum aktiven Koautor werden wollten. Norbert Matt: "Das Radio gibt nicht nur die Möglichkeit zu senden, sondern auch das, was gesendet wurde, wieder einzubringen und diesen Raum der durch die erste Sendung entstanden ist wieder mitzunehmen. Es war nicht meine Absicht selber ein Stück zu machen, das dann als Stück fertig und nicht mehr veränderbar ist, sondern die Idee bestand darin, das Stück oder diesen Prozeß dahinter weiterzugeben an andere und zu sehen, was passiert."

Bei seiner Arbeit im Umgang mit neuen Technologien geht Norbert Matt von einem Kunstbegriff aus, der sich vor allem in Netzwerkprojekten mit verschiedenen Kommunikationsmedien entwickelt hat. Darüberhinaus möchte er zu einer neuen Sprache finden, die nicht auf das Medium Radio beschränkt ist: "Mir schwebt eine Sprache vor, die nicht mehr mit den Bedeutungen dieser Klänge arbeitet, sondern mit der Geschichte dieser Klänge, wobei ich mich dabei nicht nur auf die Radioarbeit beschränken möchte. Hinter diesem Klang steht kein Autor mehr, sondern es ist eine kollektiv entstandene Aussage."

Ich möchte mich dabei nicht nur auf die Radioarbeit beschränken, sondern auch mit Hypertext und einem Computerneztwerk arbeiten. Ich könnte mir vorstellen, daß das diese Arbeit ergänzen könnte."

Unter dem Motto "schneiden sie mit und/oder schlafen sie ein" versteht Norbert Matt sein Schlafradio also auch als ein Infragestellen der konventionellen Kunst- und Radiorezeption."Der Titel ist eigentlich ziemlich direkt. Es ist ein Radio zum Einschlafen. Das unterwandert natürlich auch ein bißchen den herkömmlichen Kunst- oder Musikbegriff, der eine gewisse Konzentration, eine bestimmte Stimmung oder eine bestimmten Aufmerksamkeit voraussetzt. Ich gehe davon aus, daß es verschiedene Aufmerksamkeiten und verschiedene Möglichkeiten etwas zu erleben, gibt. Der Zustand des Einschalfens, wo sich sehr viele Bilder einfinden, sich auflösen und Verbindungen eingehen, die nicht immer logisch sein müßen, hat durchaus eine Analogie zur Arbeit mit dem Computer im digitalen Bereich.Ich wollte dieses strenge lineare Muster durchbrechen. Wir sind gewöhnt Bücher von vorne nach hinten zu lesen und Musik von Anfang bis zum Ende zu hören und uns nicht die Freiheit nehmen unsere eigenen Bilder zu sehen, zu hören und auf diese Weise durch die Musik durch zu spazieren." Eine Bearbeitung eines Mittschnittes aus der Reihe Schlafradio mit dem Titel "Schlummernummer" erfogte von dem Komponisten Gerhard Mittermayr. Von ihm weiterbearbeitet wurde eine Version des Mittschnittes von Gertraud Schleichert, die zu ihrem Mittschnitt auch den Text aufnahm, der dann als Einleitung zu "Schlummernummer" diente.



1994 Calendar 1